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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 31
52. Jahrgang | Jul./Aug.
GNM
Die Münchener Gesellschaft für Neue Musik
Die MGNM hat sich erst vor wenigen Jahren gegründet. Was
auch ein Vorteil sein kann
Münchener Musikgeschichte verläuft wohl immer etwas
anders. Oft hinken hier Institutionen lange Zeit hinter dem allgemeinen
Level hinterher, dann wieder setzt fast sprunghaft ein Auf- oder
Überholvorgang ein. Im eher konservativen Ambiente, so scheint
es, stauen sich manchmal Kräfte, die sich dann plötzlich
entladen. Das war 1860 so, als Wagner die Stadt für seine utopischen
Entwürfe nutzte, um 1900, als München zur Bruckner- und
Mahlerstadt wurde, und kurz vor 1930 etablierte sich hier eine Szene
der Neuen Musik, die als führend in ganz Deutschland angesehen
wurde.
Gewiss kann die Münchener Gesellschaft für Neue Musik
nicht für sich beanspruchen, Musikgeschichte zu schreiben oder
gar schon geschrieben zu haben. Auf jeden Fall kam man münchentypisch
sehr spät. Es war Mitte der 90er-Jahre, als einige Musiker
(in erster Linie Instrumentalisten, die sich im Ensemble für
zeitgenössische Musik Xemble zusammengefunden hatten) und einige
Musiktheoretiker verwundert feststellten, dass es in der Stadt der
musica viva, der Musiktheaterbiennale oder auch der Münchner
Klangaktionen von Josef Anton Riedl, der Experimentellen Musik München
und der A*DEvantgarde noch keine Gesellschaft für Neue Musik
gab. Von vornherein war also weitgehend ausgeschlossen, dass hier
einmal ein IGNM-Festival stattfinden würde. Man (das waren
ungefähr zehn Personen) traf sich 1996 und besprach diese Situation.
Zur Klärung stand vorab, ob es überhaupt einer MGNM (dieses
Kürzel stand da freilich noch nicht fest) bedürfe.
Es gab zwei untschiedliche Gruppen. Die einen, das waren die ausführenden
Musiker, suchten über die zu gründende Gesellschaft eine
Basis für musikalische Aufführungen, das Ensemble dachte
zum Beispiel daran, festes Ensemble des Vereins zu sein. Eine zweite
Stoßrichtung war es, gewissermaßen als Dach- oder Vernetzungsorganisation
zu wirken, die die in unterschiedlichen, oft auch sich rivalisierend
gegenüberstehenden Gruppen der zeitgenössischen Musik
zu Austausch, Kommunikation und gegenseitige Befruchtung bewegt.
Eine festgeschriebene „Leitästhetik“ gab es in
den 90er-Jahren längst nicht mehr, auf diesen Zustand suchte
man zu reagieren. Pluralismus der Meinungen, der künstlerischen
Standpunkte war von Anbeginn an ganz offensiv die Basis der MGNM.
Hierin hatte man vielleicht ganz plötzlich einen Vorsprung
vor anderen Gesellschaften für Neue Musik in Deutschland. Es
war eine Verbindung von Interessierten, deren künstlerische
Vorstellungen durchaus in verschiedene Richtungen gingen. Man fand
sich zusammen, um gegenüber der Stadt oder auch gegenüber
anderen Institutionen eine bessere Verhandlungsposition zu besitzen.
So dachte man auch gar nicht primär an eine Fülle von
eigenen Veranstaltungen, sondern wollte bei bestehenden Projekten
und ihren Wünschen zur Ausweitung und zur besseren Verankerung
im Münchener Kulturleben unterstützend tätig werden.
Gedacht war an begleitende theoretische Veranstaltungen, an Maßnahmen
zur Bekanntmachung et cetera.
So formierten sich denn auch die einzelnen Arbeitsgruppen, wobei
Modelle anderer GNMs herangezogen wurden. Zunächst waren es
drei Arbeitsgruppen: Information, Theorie und Konzerte. Beim Kulturreferat
der Stadt wurden die Aktivitäten der Stadt begrüßt,
finanzielle Hilfe wurde bereitwillig zugesichert. So gibt die Arbeitsgruppe
Information eine vierteljährliche Broschüre heraus, die
die Veranstaltungen mit neuer Musik in München möglichst
flächendeckend verzeichnet. Die Mitglieder erhalten diese Broschüre
per Post, daneben liegt sie bei Konzerten und anderen Veranstaltungen
zum kostenlosen Mitnehmen aus. Bald auch wurde eine Internetpräsenz
ins Auge gefasst. Große Erfolge konnte auch die Arbeitsgruppe
Theorie verzeichnen. Es gibt ein jährliches Symposion zu zeitgemäßen
musikalischen Fragen (so zum Beispiel im letzten Jahr „Genie
versus Konzept“, wo der Umbruch von subjektiver, individueller
Werksaussage zu Aspekten der konzeptiven Kunst, der offenen Form,
des Happenings et cetera. beleuchtet wurde. Davor standen Begriffe
wie „Ornament“ oder „Grenzüberschreitung“
zur Debatte). Zugleich war man federführend beim einen Symposion
zur Musiktheaterbiennale (1999) über Fragen neuer Musiktheatertheorien
oder man beteiligte sich beim Münchner Pfingssymposion mit
dem Oberbegriff „Das Ganze“ mit einem musikdramaturgisch
inszenierten Gruppenvortrag.
Als bisher vielleicht stimmigstes Ergebnis darf das jährlich
stattfindende, von der AG Konzerte betreute, Musikfest bezeichnet
werden. Es ist in der Tat als Fest aufgezogen, die Dauer beträgt
(an einem Samstag) an die zwölf Stunden (von 14 Uhr bis nach
Mitternacht). Dazu schreibt die MGNM eine große Zahl („alle“)
Musiker in München an, die sich auf dem Feld der zeitgenössischen
Musik betätigen (selbstverständlich auch die Komponisten).
Man bittet um einen kleinen Beitrag (circa 10 bis 20 Minuten), der
den gegenwärtigen Stand der eigenen Aktivitäten dokumentieren
soll. Die Finanzen erlauben es bisher nicht, dafür ein Honorar
zu zahlen, es soll sich ja auch mehr der Charakter eines Schaufensters
ergeben. Natürlich zahlen die Personen, die solch ein künstlerisches
Geschenk mitbringen, keinen Eintritt, Essen und Trinken ist frei
oder ermäßigt. Allen Mitwirkenden wird später auch
eine CD von dem Konzert, in dem sie auftraten, zugeschickt. Es gab
in all den letzten Jahren eine große Zahl von Anträgen,
die MGNM war immer gezwungen, einige Kürzungen vorzunehmen,
um den Andrang zu bewältigen. Als Ergebnis stehen circa sechs
Konzerte, die den Tagesverlauf füllen. Es gibt einen Nebenraum,
wo man etwas essen und trinken und vor allem miteinander plaudern
kann. Nach jedem Stück in einem Konzert kann man vom Konzertraum
zum Kommunikationsraum (oder umgekehrt) wechseln. Es ergibt sich
eine offene Form, zwanglos kann jeder seine Interessenschwerpunkte
setzen. Hinzugefügt muss werden, dass von Seiten der MGNM keinerlei
Zensur ausgeübt wird (freilich wird auf ein gewisses Niveau
der Darbietung geachtet, dilettierende Versuche können schwer
berücksichtigt werden, aber Fälle dieser Art, das sichert
schon das Anschreiben, treten kaum auf; manchmal müssen, wie
gesagt, den Interpreten/Komponisten Kürzungen – also
zum Beispiel ein Stück weniger – vorgeschlagen werden;
auch hierbei gab es bislang kaum Konflikte). Dieses Fest im Herbst
ist seither immer eine sich kreativ austauschende Versammlung von
Komponisten und Musikern Münchens, bei dem schon manche neue
Kontakte geknüpft wurden. Und spannend ist dieses musikkulturelle
Konturbild Münchens ohnehin.