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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 31
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Hochschule
Schulterschluss mit dem Rücken zur Wand
Wie Berlins Musikhochschulen durch Kooperation ihre Eigenständigkeit
erhalten wollen
Berlins Bestand an Kunsthochschulen ist herausragend und erhaltenswert.
Doch die entscheidende Senatssitzung zum Doppelhaushalt 2004/2005
Anfang Juli könnte alles in Frage stellen: Drastische Sparvorschläge
liegen auf dem Tisch.
Berlin ist pleite. Das ist allgemein bekannt. Nicht bekannt ist
jedoch, wie und wo die dringend nötigen Einsparungen stattfinden
werden. Und da auch der von allen Seiten stets als zukunftsträchtig
gerühmte Sektor Bildung hiervon nicht ausgenommen sein wird,
herrscht in der Hochschulszene große Unsicherheit. Welche
Sparhämmer wird der neue Doppelhaushalt noch mit sich bringen?
Insbesondere die Situation der Kunsthochschulen scheint alles
andere als gesichert. Dabei hätte doch eigentlich eine von
Kultursenator Thomas Flierl (PDS) beauftragte Expertenkommission
frühere Debatten beenden sollen, indem sie prüfte, ob
das gegenwärtige System von drei kleinen Kunsthochschulen und
einer großen, der Universität der Künste (UdK),
erhalten werden sollte. Das Resultat war durchweg positiv und bestätigte
den status quo. Geplant ist außerdem, die kleinen (Ost-) Berliner
Einrichtungen Kunsthochschule Weißensee, Hochschule für
Schauspielkunst „Ernst Busch“ und Hochschule für
Musik (HfM) „Hanns Eisler“ erstmals wie die Universitäten
mit Hochschulverträgen zu versehen, damit sie nicht mehr von
der jeweiligen Haushaltslage abhängig sind, sondern Planungssicherheit
erhalten. Darüber wird zur Zeit verhandelt.
Doch während Flierl nun die Vorschläge der Kommission
umsetzen möchte, sieht er sich mit Sparforderungen seines Kollegen
im Finanzressort Thilo Sarrazin (SPD) konfrontiert, der lautstark
die Halbierung der Studienplätze im künstlerischen Bereich
und damit Einsparungen von 40 Millionen Euro fordert. Sarrazin war
in der Vergangenheit öfter mit populistischen Äußerungen
aufgetreten („Entweder heile Straßen oder alle Opern!“).
Er soll Gerüchten zufolge zwar im Senat an Rückhalt verlieren,
doch gilt es, auch andere Vertreter des Gießkannenprinzips
beim Sparen zu überzeugen, dass hier entscheidende ideelle
Ressourcen der deutschen Hauptstadt auf dem Spiel stehen.
Die geforderte Summe entspricht dem Etat aller kleinen Hochschulen
zusammen und zusätzlich einem Viertel der UdK. Einigen wird
man sich natürlich im Endeffekt auf einen niedrigeren Betrag.
Aber für den Kultursenator liegt „die Mitte zwischen
Null und 40 Millionen nicht bei 20 Millionen.“ UdK-Präsident
Lothar Romain sieht die Chance bei 50 Prozent, auf der Basis der
Kommissionsempfehlungen neue Hochschulverträge abschließen
zu können. Wenn jedoch drastische Einschnitte geschähen,
so befürchtet er, würde „das gesamte System zertrümmert.
Und mit vier Ruinen kann man nicht leben.“
Die Experten waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die drei kleinen
Kunsthochschulen unbedingt eigenständig bleiben sollten, da
sie sich jeweils einen ausgezeichneten Ruf erworben haben. Bei einer
möglichen Fusion mit der Universität der Künste würde
so innerhalb der jeweiligen Studienrichtung ein unverwechselbares
Profil verloren gehen. Trotzdem wurden einige Vorschläge zur
inhaltlichen Konzentration gemacht. So soll etwa der Studiengang
Kultur- und Medienmanagement von der HfM an die UdK verlagert werden,
da er dort besser zu bereits bestehenden Angeboten passt. Dagegen
gibt es von beiden Hochschulen zwar keine prinzipiellen Einwände,
die betroffenen Dozenten und Studierenden wollen aber lieber an
der HfM bleiben. Aus dieser Verlagerung würde sich allerdings
ohnehin keinerlei Einsparungspotenzial ergeben.
Wichtiger noch ist der Vorschlag, Zentren für Jazz/Popularmusik
sowie für Musiktheater einzurichten. Dabei könnten sich
UdK und HfM tatsächlich einander annähern und die Qualität
steigern, ohne Kürzungen hinnehmen zu müssen. Zumindest
nach Meinung von Lothar Romain und HfM-Rektor Christhard Gössling
sind solche Zentren begrüßenswert, sollten sich jedoch
auf die Projektarbeit konzentrieren. Bei den jährlichen Opernprojekten
stellen sich praktisch jeder Musikhochschule Probleme. Denn es muss
ein geeigneter Theatersaal zur Verfügung stehen, die Ausstattung
erfordert gewaltige Anstrengungen, es fällt schwer, eine doppelte
Sängerbesetzung zusammenzustellen und die eigenen Studierenden
im instrumentalen Hauptfach neben den vielen anderen Projekten auch
noch für die Oper zu rekrutieren. Hier könnten sich die
beiden Hochschulen gewinnbringend ergänzen, zum Besipiel durch
den nur an der HfM bestehenden Studiengang Regie oder den größeren
Theatersaal der UdK. In der vielfältigen Berliner Opernlandschaft,
wo sich auch noch zahlreiche Off-Projekte tummeln, wären so
Hochschulaufführungen von noch höherer Qualität und
größerer öffentlicher Resonanz realisierbar.
Beim Jazz sind gemeinsame Projekte weniger naheliegend. Doch auch
hier sieht Gössling die Möglichkeit, in einem Zentrum
das Angebot und die Vielfalt für die Studierenden zu erhöhen,
da die beiden Hochschulen unterschiedliche stilistische Schwerpunkte
setzen. Natürlich besteht bei diesen Vorschlägen die Gefahr,
dass sie als Einstieg in Sparmaßnahmen dienen könnten.
Wenn man nicht gewillt ist, die existierenden Studienplätze
zu erhalten, dann ist der Weg vom Zentrum zur Zusammenlegung nicht
mehr weit. Diese Ziele hatte die Kommission nicht im Auge, vielleicht
aber manch sparwütiger Politiker.
Auch bei der Berufung von Professoren können und wollen sich
UdK und HfM näher kommen. Zwar wird es keine gemeinsame Abstimmung
bei Berufungen geben, wie in dem Gutachten vorgeschlagen wird. Dies
würde in der Praxis auch eine zu große gegenseitige Bevormundung
bedeuten. Aber ein Mitglied der jeweils anderen Hochschule soll
in den Berufungskommissionen sitzen, um über das aktuelle Niveau
auf dem Laufenden zu sein. Auch könnte so der heilsame Blick
über den eigenen Tellerrand hinaus verstärkt werden. Man
ist sich also durchaus einig, dass verstärkte Kooperation nicht
die Eigenständigkeit beschneidet, sondern im Gegenteil, verbunden
mit charakteristischem Profil, beide Partner stärkt. Wenn sich
allerdings eine Hochschule ständig in Frage gestellt sieht,
dann muss sie ihr Profil auf Kosten der anderen schärfen; so
kann es keine Kooperation geben, sondern nur Konfrontation.
Berlin besitzt mit den beiden Musikhochschulen ein in ganz Deutschland
einzigartiges Erbe. Wichtiger als die Bewahrung dieses geschichtlich
gewachsenen Duos ist jedoch der Erhalt der Studienplätze. Deren
Zahl ist im künstlerischen Bereich eher geringer als in Wien,
London, oder Paris, wie das Gutachten der Experten zeigt. Mit diesen
Metropolen muss und will Berlin sich jedoch immer vergleichen, nicht
mit dem Rhein-Main-Gebiet oder mit Hamburg. Denn wo sonst in Deutschland
gibt es solch ein reichhaltiges Kulturleben und ist der wichtige
Praxisbezug der Kunsthochschulen so stark? „Wenn man zum Erhalt
der Studienplätze steht“, so Christhard Gössling,
„dann kann man auch zu zwei Musikhochschulen stehen.“
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will die
Studienplätze erhalten – ob aber seine Bekräftigungen
auch noch nach der entscheidenden Senatssitzung etwas wert sind,
wird sich zeigen.