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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 23
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Hochschule
Die Ziele an Münchens Hochschule neu definieren
Zur geplanten Fusion von Münchens Richard-Strauss-Konservatorium
mit der Musikhochschule
Die Überschrift „Sterbende Konservatorien?” in
der Oktober-Ausgabe der „neuen musikzeitung” 1968 löste
eine Diskussionslawine aus. Es gab Aufruhr im Musik(ausbildungs)staat,
Unruhe bei den etwa zwei Dutzend Instituten, die sich „Konservatorien”
nannten. Weil ein hochkompetent besetzter Fachausschuss der Generalversammlung
des Deutschen Musikrats einen Neuordnungsplan für das Musikschulwesen
vorgelegt hat und dessen Umsetzung empfohlen wurde. Er war einsichtig.
Laienausbildung und Berufsausbildung klar zu trennen, hie Musikschule,
da Hochschule. Was bleibt zwischendrin: (nur) die Vorbereitung auf
die Berufsausbildung. Das ging an den Nerv der Konservatorien, die
in unterschiedlicher Qualität teils Berufs- teils Laienausbildung
betrieben.
Ausgelöst und hochgeschaukelt wurde die ganze Auseinandersetzung
wegen der Harmonisierung der Abschlussprüfungen, weil fast
gleiche oder ähnliche Ausbildungen zu unterschiedlichen Berufsqualifikationen
führten, sprich letztlich auch zu unterschiedlichen Vergütungen.
Hochschule mit Diplomprüfung – das hat quasi Universitätsrang.
Aber wer sich mit „nur“ Staatlicher (oder staatlich
anerkannten Abschluss-) Prüfung von Konservatorien und Fachakademien
bewarb, hatte das Nachsehen, fühlte sich benachteiligt, degradiert
durch die angewandte Tarifautomatik der Anstellungsträger.
Erst recht verwirrend, wenn es um gegenseitige (Nicht-) Anerkennung
der verschiedenen Institutsabschlüsse im europäischen
Raum geht.
35 Jahre später sind sie tatsächlich weitgehend verschwunden,
diese Konservatorien. Jetzt fungieren sie noch da und dort, nicht
nur in unserem Land, als sogenannter Mittelbau, soweit nicht aufgelöst,
aufgeteilt, zugeordnet je nach Schwerpunkt Laienarbeit und beruflicher
Ausbildung also teils als Musikschule, teils umfunktioniert als
Hochschule.
Utopie: Zwei Hochschulen
Aber einige Konservatorien bewahrten noch Name, Aufgabe und Tradition,
so in Hessen und Rheinland-Pfalz und einige Privatinstitute. Münchens
städtisches Richard-Strauß-Konservatorium allerdings
fühlt sich schon fast Hochschul-like und wäre es auch
gerne. Und eine „Richard-Strauss-Hochschule München”,
so mag der Gitarrist Martin Maria Krüger als Direktor seines
Konservatorium gelegentlich träumen, wäre kein schlechtes
Image. Wenn es nicht schon die Hochschule für Musik und Theater
München (mit Kooperation mit der Theater-Akademie August Everding)
gäbe, die auf die Gründung 1846 als privates „Conservatorium“
zurückgeht, später als königliche Staatsanstalt übernommen.
Zwei Hochschulen mit gleichem Bildungsauftrag in München, eines
links, eines rechts der Isar, ist Utopie. Solches leistet sich allenfalls
(und vielleicht nicht mehr lange) die Bundeshauptstadt Berlin, freilich
Überbleibsel aus der vereinigten geteilten Hauptstadt. Und
Weltstädte wie Tokio.
So wurden im Verlauf von 35 Jahren aus den meisten Konservatorien
in Deutschland – einige nannten sich Akademien oder ähnlich
– eigenständige Hochschulen oder Außenabteilungen,
also Zweigstellen der bestehenden 24 staatlichen Hochschulen. Selbst
die meisten Kirchenmusikschulen titulieren inzwischen als (kirchliche)
Hochschulen. Andererseits wird immer bewusster, dass der Arbeitsmarkt
für die vielen in Ausbildung befindlichen Musiker immer dünner
wird. Also rät die Vernunft, bereits die Ausbildungskapazitäten
zu bremsen. Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen der Experten-Rat:
unter dem Deckmantel struktureller Überlegungen will das Land
aufräumen. So soll Detmolds Außenstelle Münster
aufgegeben und mit veränderten Aufgaben der Westfälischen
Universität Münster zugeschlagen werden.
Dortmunds ehemaliges Konservatorium, seit 1972 Hochschulabteilung
Detmolds, wird aufgelöst. Stattdessen soll dort eine für
ganz NRW dienliche spezielle Orchesterschule entstehen. Betroffene
Studierende müssen sich um andere Studienplätze bemühen.
Den einen oder anderen Lehrenden, soweit nicht anderswo untergebracht,
mutmaßt man, trifft betriebsbedingte Kündigung.
Entlassen oder verkaufen
Nun gilt es, das Quo Vadis auch der letzten der ehemals fünf
Fachakademien für Musik in Bayern, auszumachen, eben für
jenes Richard-Strauss-Konservatorium, dem ein breites künstlerisches
Ambiente mit Hochschulnähe nicht abzusprechen ist. Da trifft
es sich nun, dass die Stadt München, finanziell fast pleite,
ihre 1962 in städtische Regie übernommene Berufsausbildungsstätte
für Musik, hervorgegangen aus dem 1927 gegründeten privaten
Trapp’schen Institut, dann Händel-, 1957 schließlich
Richard-Strauss-Konservatorium genannt, schlichtweg los werden will.
Einfach schließen, so wie man andernorts getrost Orchester
um Orchester auflöst, über zehn Dutzend Lehrkräfte
einfach in die Prärie schicken und fast 500 hoffnungsvolle
Studierende orientierungslos entlassen?
Oder meistbietend verkaufen an einen privaten Investor und kommerziell
weiterführen? Das rechnet sich nicht in einem Land, das keine
Studiengebühren kennt. Oder dem Freistaat die Übernahme
anzubieten, ja dringlich anzutragen, zumal er bisher schon einen
gehörigen Batzen zum Lehrpersonal beisteuert. Der fühlt
sich als Kulturstaat. Soll einspringen, wo die Kommunen nicht mehr
können. Gestern für die Bamberger Sinfoniker, weil der
Bund nicht mehr kann. Morgen das Nürnberger Opernhaus verstaatlichen.
Und gerade erst die stolz verkündete (Zwischen-)Lösung
für die beiden Konservatorien von Nürnberg und Augsburg:
jenes Unikat einer gemeinsam getragenen Kommunalen Musikhochschulen
ohne hohe Lebenserwartung schreit ebenso nach Vater Staat als Pate.
Die Münchner Musikhochschule sperrte sich seit Jahren vehement
gegen alles heimliche und offene Werben um eine Ehe mit dem städtischen
Instituts am Gasteig. Erst allmählich formt sich eine Beitritts-
besser Adoptionslösung, nachdem Bayerns Parlament und Kunstminister
sich ebenso klar für eine Fusion, für eine Übernahme
ausgesprochen hat. Schnell waren die Rechner an der Hand, was all
das kosten soll. Und wer soll das bezahlen? Denn mit Auswechseln
eines Türschildes am Gasteig ist es nicht getan.
Die einen sorgen sich, welch berufliche Perspektiven haben die
rund 30.000 Studierenden in Musikberufen, davon an deutschen Musikhochschulen
über 25.000 mit jährlich fast 4.000 Absolventen in einem
nahezu bankrotten Gemeinwesen, das für Bildung und Kultur,
erst recht für Musikkultur den Geldhahn beängstigend drosselt.
Daneben öffnet sich europaweit der Arbeitsmarkt. Es drängen
mehr hoch motivierte, hochqualifizierte Musiker und Künstler
ins Land als deutsche Musiker anderswo in der Welt Auskommen, Erfolg
und Bleibe finden. Das lehrt eindringlich, dass nur hohe, höchste
Leistungsfähigkeit, Mobilität, vielseitiges Fachkönnen
Chancen haben, sich durchzusetzen. Da erscheint es in der Tat höchst
widersprüchlich, angesichts solcher Situation die Anzahl von
teuren Studienplätzen zu erhöhen anstatt zu reduzieren
und im Lehrpersonal-Etat zu sparen.
Der (noch amtierende) Rektor Robert M. Helmschrott sieht mit der
Teilübernahme der Ausbildungskapazität des Konservatoriums
die einmalige Chance: Denn „eine größer werdende
Hochschule übernimmt eine größer werdende Ausbildungsverantwortung.
Einziges Kriterium: Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung,
also Leistungsverbesserung, erweitertes Studienangebot, das auf
gesellschaftliche und technologische Veränderungen reagiert“.
Sein Plan: natürlich angemessen reagieren und auftragsgemäß
übernehmen, was der zunächst wenig geliebte Partner zum
Einstand als Mitgift, an spezifischem Ausbildungsangebot des RSK
mit einbringt: Frühe und Alte Musik, Ausbildungsfächer
Blockflöte, Saxophon, Gitarre, Hackbrett und Zither, Kirchenmusik
B, Ausbildung von Lehrkräften und Ensembleleitern für
Jazz und Popularmusik für deren qualifizierten Einsatz in Sozial-
und Jugendarbeit, bei Verbänden und Ämtern. Musikpädagogik
soll an der dann erweiterten Musikhochschule einen neuen Akzent
bekommen. Schwerpunkt wird dabei die Neueinrichtung eines Studiengangs
Elementare Musikpädagogik.
Dazu gehört die vermehrte und gezielte Frühförderung
von Hochbegabten. Mehr Kammermusik. Kontinuierliche Auseinandersetzung
mit Neuer Musik. Umstritten bleibt das Volksmusik-Diplom als nicht
mit „dem akademischen Selbstverständnis einer Hochschule
vereinbar“. Erweitert werden muss das aktuell immer nötiger
werdende Lehrangebot in Fächern wie Kulturmanagement, Multimedia,
Musik-Journalismus. Dazu soll die weitere Integration der quasi
privaten Ballettakademie kommen, die mit der Bosl-Stiftung verbunden
ist.
Übernahme durch Abbau
Vernünftig hört sich angesichts der Berufsaussichten
an, die Studierendenzahl zu reduzieren. Das war Voraussetzung für
die kürzlich erfolgte Übernahme des Würzburger Konservatoriums
an die dortige Musikhochschule: Reduzierung um etwas ein Drittel
der Studienplätze. Dieses Beispiel soll auch als Prozedur für
München herhalten, aber sie braucht Zeit und muss in der Übergangszeit
bis zur Fusion der beiden Institute gelingen, die für Herbst
2005 im Visier ist. 300 der fasst 500 Studienplätze des Konservatoriums
sollen der Hochschule zugeschlagen werden, und dafür ist zusätzliches
Lehrpersonal notwendig. Dementsprechend sollen rund 50 Lehrkräfte,
ebenfalls etwa zwei Drittel des Konservatoriums-Lehrkörpers
von der Hochschule übernommen werden, – freilich nur
für den Mittelbau der Hochschule, also für die Routine-Ausbildung,
nicht für das künstlerische Diplom. Aber bis dahin muss
auch die Stadt München Schulaufgaben machen, das erwartet die
Hochschule, nämlich die übrig bleibenden Lehrer des Konservatoriums
„entsorgen”, besser: versorgen. Viele haben unbefristete
Verträge für ihre pädagogische Nebentätigkeit
neben dem Dienst in einem der Münchner Orchester. Diese werden
Ansprüche geltend machen und sind nur über Auflösungsverträge
und Abfindung zu befriedigen. Das wiederum kostet die Stadt München
Geld. Kommt es zur Betriebsübernahme des Konservatorium an
die Hochschule, so würde die Hochschule, sprich der Staat,
sich mit diesem Problem auseinander zu setzen haben und zur betriebsbedingten
Kündigung greifen, weil er alle Lehrkräfte weder wird
beschäftigen noch bezahlen können und wollen.
Die ihrerseits auf Besitzstand pochen. Der arbeitsgerichtliche
Konflikt ist durch diese Personalauseinandersetzung vorprogrammiert
– hier können nur gemeinsame good-will-Vereinbarungen
zu tragfähigen Lösungen führen. Denn schon heute
fragen sich die Konservatoriumslehrkräfte: bin ich dabei oder
nicht? Wenn ja, wird meine BAT-Stelle II oder III in eine Beamtenstelle
A oder in die begehrtere C oder in Sonderverträge münden?
Noch ist ziemlich viel in der Schwebe. Denn so ganz entpflichten
will weder die Hochschule noch der Freistaat den bisherigen Träger
ihres Konservatoriums, die Stadt München. Wo sollen 300 Studierende
und 50 neue Lehrkräfte ihren Arbeitsplatz haben? Auf die 50
Unterrichtsräume im Kulturzentrum Gasteig, fachgerecht mit
Instrumentarium ausgestattet, spekuliert die Hochschule auch schon
deshalb, um an Münchens kulturellem Mittelpunkt ähnlich
präsent sein zu können wie bislang das Konservatorium
mit seinen regelmäßigen musikalischen Präsentationen.
Helmschrott, nur noch wenige Wochen im Rektoramt und auf der Suche,
einen geeigneten Verfechter für die Weiterverhandlungen als
Nachfolger zu finden, hat noch andere Visionen. Die Münchner
Musikhochschule klettert mit der Fusion von ihrem zehnten auf den
vierten Patz in der Bedeutung im Studienangebot der deutschen Musikhochschulen.
Nebenan kränkeln die gerade installierten kommunalen Hochschulinstitute
von Nürnberg und Augsburg, die über kurz oder lang doch
vom Staat gerettet oder ganz aufgegeben werden müssen.
Statt Verzettelung in Bayern rät er, sich auf zwei leistungsfähigen
Berufsausbildungsstätten in Bayern zu konzentrieren. Diese
auszubauen mit einem aktuellen Komplettangebot künstlerischer,
pädagogischer und anderer aktueller sich verzahnender Disziplinen:
dafür reicht mit der Musikhochschule Würzburg eine in
Nordbayern mit dem ehemaligen Meistersingerkonservatorium Nürnberg
als Hochschul-Außeninstitut und die Musikhochschule München
für Südbayern mit der Abteilung Augsburg, dem ehemaligen
Leopold-Mozart-Konservatorium.
Kostenloses Geschenk
Eines der dauerhaftesten Geschenke, welches das Institut rechts
der Isar in das ehemalige Führer-Palais am Königsplatz
– kostenlos – mitbringen könnte, das wäre
der anspruchsvolle, aber angemessene Name „Richard-Strauss-Hochschule
für Musik und Theater München“. In Würzburg
könnte entsprechend einer der mit dieser Stadt eng verbundenen
Komponisten und Dirigenten, Hermann Zilcher oder Winfried Zillig,
(wieder) Namenspatron werden. Und mit dieser Bezeichnung würde
man lediglich die Praxis der ostdeutschen Musikhochschulen (und
der in Düsseldorf), die den Namen großer Komponisten
tragen, nachvollziehen.