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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 13
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Internet/Computer
Das Urheberrecht remixen
Creative Commons will Kreativen zu mehr Freiheiten verhelfen
Als das Audio-Art-Kollektiv Negativland im August 1991 die Parodie
eines U2-Songs veröffentlichte, war man beim Warner-Sublabel
Island Records gar nicht amüsiert. Das Cover der Platte zierten
groß die Buchstaben U2 und der Titel selbst bestand aus zahlreichen
Samples und Fragmenten des U2-Songs „I still haven’t
found what I’m looking for“. Eine Genehmigung für
die Nutzung des Materials hatten Negativland nie eingeholt. Island
Records verklagte deshalb die Band und ihr Label und erwirkte schließlich
die Einstampfung der Restauflage. Zudem sicherte man sich gesalzene
Schadensersatzzahlungen. Negativland machten den Prozess selbst
zum Medienereignis. Sie ließen keine Gelegenheit aus, die
geltenden Urheberrechtsgesetze zu kritisieren und posierten mit
T-Shirts, die den Slogan „Just say Bo-No“ formten.
Per Lizenz zum Sample-Pool
Mitglieder der Gruppe Negativland
posieren mit ihrem Anwalt, Hal Stakke. Foto: Archiv
Negativland sind auch zehn Jahre später ihren Überzeugungen
treu geblieben. Doch anstatt vor Gericht Kopf und Kragen zu riskieren,
schickt sich die Band an, nun aktiv ins Geschehen einzugreifen.
Nicht gegen die Regeln zu verstoßen, sondern sie zu verändern.
Gemeinsam mit der kalifornischen Nonprofit-Organisation Creative
Commons arbeitet das Musiker-Kollektiv daran, eine Lizenz für’s
Samplen zu erschaffen. Wer seine Musik unter den Bedingungen dieser
Lizenz veröffentlicht, macht sie automatisch zum öffentlichen
Sample-Pool – frei zitier- und remixbar von jedermann. „Technologie
und Kultur des Internets machen das Remixen von Kultur bereits sehr
einfach“, so Creative Commons-Direktor Glenn Otis Brown. „Die
Gesetzgebung macht es nicht. Wir helfen, diese Lücke zu schließen,
indem wir das Urheberrecht selbst remixen.“
Die Sample-Lizenz ist nur eins von vielen Creative Commons-Projekten
zur praktischen Umgestaltung des Urheberrechts. Die im Mai letzten
Jahres gegründete Organisation orientiert sich dabei an der
Open Source-Softwarebewegung.
Deren Programmierer veröffentlichen bereits seit Jahren Software
unter Nutzungslizenzen, die es jedem ermöglichen, selbst Anpassungen
am Programm vorzunehmen. Berühmtestes Beispiel dafür ist
das Betriebssystem Linux, das von tausenden Freiwilligen auf der
ganzen Welt weiterentwickelt wird. Aus dem Hobbyisten-Projekt ist
dabei längst eine internationale Erfolgsgeschichte geworden,
das Microsofts Windows in einigen professionellen Marktsegmenten
längst abgehängt hat.
Schon seit Jahren gibt es die Idee, ähnliche Lizenzen auch
in anderen Bereichen einzusetzen. So schuf die Netz-Bürgerrechtsorganisation
EFF (Electronic Frontier Foundation, http: //www.eff.org/) im April
2001 die „Open Audio License“ für Musiker. Französische
Künstler haben eine „Free Art License“ ins Leben
gerufen. Manch ein Autor experimentiert auch damit, seine Texte
einfach unter den Bedingungen einer der Software-Lizenzen zu veröffentlichen.
Breitere Akzeptanz unter Kreativen fanden diese Ansätze bisher
jedoch nicht. Viele haben Angst davor, so radikal auf ihre Urheberrechte
zu verzichten. Ihnen gehen diese Lizenzen schlichtweg zu weit. Oder
sie finden, dass die auf Software zugeschnittenen Lizenzen nicht
auf ihre Werke anzuwenden sind.
Nicht erst den Anwalt anrufen
Creative Commons geht auf diese Vorbehalte ein, indem es individuelle
Lizenzen anbietet, die sich an den spezifischen Interessen von Autoren,
Musikern und Künstlern orientieren. So kann ein Komponist seine
Noten ins Netz stellen und anderen die unkomplizierte Aufführung
erlauben, so lange sie damit kein Geld verdienen. Ein Fotograf kann
seine Bilder unter der Bedingung zum freien Gebrauch anbieten, dass
er als Autor genannt bleibt. Eine Band kann ihre Songs im MP3-Format
ins Netz stellen und es Informatik-Studenten erlauben, diese als
Soundtrack für ihre Computerspiel-Projekte zu nutzen –
so lange ihre Kreationen wiederum unter der gleichen Creative Commons-Lizenz
veröffentlicht werden. Die dem eigenen Projekt angemessene
Lizenz lässt sich in wenigen Minuten auf der Creative Commons-Website
zusammenstellen. Das Endprodukt gibt es dann in zwei verschiedenen
Versionen: Als bindenden Lizenzvertrag in einer einfach verständlichen
Textfassung für Nicht-Juristen und als maschinenlesbare Version.
Letztere soll es beispielsweise Suchmaschinen ermöglichen,
in Zukunft speziell nach Werken mit einer bestimmten Lizenz zu suchen.
So könnten Musiker schon bald ganz einfach nach Songs fahnden,
die ihnen das Samplen ermöglichen, ohne vorher erst den Anwalt
des Original-Urhebers anzurufen.
„Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Klauen
und Collagen“, erklärt Negativland das Projekt der Sample-Lizenz.
„Ursprünglich waren Urheberrechte dazu ausgelegt, das
Klauen ganzer Werke zu verhindern. Das war und ist ein ehrenhaftes
Ansinnen. Aber heutzutage werden Urheberrechte regelmäßig
auch dazu genutzt, Collagen zu verbieten, als wären sie nichts
anderes als offene Piraterie. Gemeinsam mit Creative Commons arbeiten
wir daran, eine Lizenz zu schaffen, die es Copyright-Inhabern erlaubt,
zur Veränderung ihrer Werke – auch gegen Geld –
einzuladen und gleichzeitig den buchstäblichen Diebstahl zu
verhindern.“