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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 48
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Kulturpolitik
Investition in Kultur und Bildung
Podiumsdiskussion über die Zukunft der sächsischen
Musikerausbildung
„Ausbildung für das Arbeitsamt?“ Unter diesem
Tenor stand der diesjährige „dies academicus“ der
Leipziger Hochschule für Musik und Theater am 2. April. Podiumsgäste
waren die kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen des Sächsischen
Landtages, es moderierte Thomas Bille vom Mitteldeutschen Rundfunk.
v.l.n.r.: Karl-Heinz Kunckel
(SPD), Gunhild Lattmann-Kretschmer (PDS), Thomas Bille (Moderation,
MDR) und Roland Wöller (CDU); im Hintergrund ist die
Collon-Orgel des Kammermusiksaales zu sehen. Foto: Katrin
Seidel
Wahlkampf bleibt weitgehend draußen an diesem Nachmittag.
Sachsens Landespolitik bemüht sich um den Erhalt möglichst
breiter kultureller Strukturen. Da sind sich Gunhild Lattmann-Kretschmer
(PDS), Dr. Karl-Heinz Kunckel (SPD) und Dr. Roland Wöller (CDU)
ziemlich einig. Damit ist das Bundesland vermutlich kein Einzelbeispiel,
ebenso wenn Spaltungen und Brüche zum Thema quer durch die
Parteien gehen. Die Hochschulpolitiker der Fraktionen fehlen am
Leipziger Podiumstisch. Beide Bereiche fallen in die Landeshoheit
und dass die Betroffenheit eine gemeinsame ist, tritt nicht nur
bei den Hack-Ergebnissen der jährlichen Haushaltsberatungen
zutage.
Zu Beginn gibt es einiges zum sächsischen Kultur-Ist-Stand:
Trotz der durchgekämpften Verlängerung des Kulturraumgesetzes
bis 2007 – immerhin eine bundesweite Einmaligkeit –
ist es kein Geheimnis, dass durch steigende Fixkosten die Probleme
insbesondere bei der Kofinanzierung der Kommunen größer
werden. Das hat Literatur und Film getroffen und es wird weiter
Theater und Orchester treffen.
Wie engagiert sich nun die sächsische Kulturpolitik konkret
für ihre Musikstudenten? Es ist bekannt, dass Musiker zum besonders
flexiblen Völkchen gehören, das oft mit unschlagbarem
Optimismus gesegnet ist. Immerhin schaffen es vier Studenten zur
Veranstaltung. Sie sind sehr aktive Diskussionsteilnehmer und erreichen
eine gewisse Polarisierung zwischen den Parteienvertretern. Die
Crux der Diskussion zeigt sich beim Problem der Verantwortung für
Kulturfinanzierung auf lange Sicht. Das Engagement ist glaubhaft
und bleibt hilflos.
Frau Lattmann-Kretschmer kennt als langjährige Intendantin
des Dresdner Theaters der Jungen Generation die Verknüpfungen
von Kultur und Bildung. Für sie ist Sachsens Musiklandschaft
immer noch reich, die Kulturpolitik der Landesregierung per se falsch.
Die PDS leidet an den Umständen, weiter bringt das nicht. Mehr
Eigenverantwortung und Freiberuflichkeit heißt die neue Zauberformel
für Herrn Dr. Wöller. Keine Antwort gibt es auf Billes
spitze Moderatorenfrage, ob damit „kostengünstig alle
Symphonieorchester zu Kammerorchestern eingeschmolzen werden.“
Sollen oder können, wobei auch die Frage gewachsener Klangkultur
hier nicht berücksichtigt werden kann. Der Volkswirt gerät
schließlich ins Schleudern, als er das Allheilmittel „Kulturmanagement“
als komplexe Lösung und den Hochschulen Kurse für „Erfolgreiche
Selbständigkeit“ empfiehlt. Rektor Christoph Krummacher
kontert mit einer dezidierten Verständnisfrage: „Bitte
deklinieren Sie mir das doch einmal durch. Unsere finanziellen Ressourcen
reichen gerade für die elementare Ausbildung – sollte
ich vielleicht die Hälfte der Oboenausbildungsstellen streichen?“
Die blinde Orientierung auf die materielle Infrastruktur macht
Kultur zum ausschließlichen Standortfaktor. Das ist Rettungsanker
für manche Institution, aber auf lange Sicht zu wenig. Eine
wirkliche Kommunikation über Inhalte gibt es nicht und hat,
nach Meinung von Dr. Kunckel „mit der desillusionierten gesellschaftlichen
Entwicklung der letzten fünfzig Jahre zu tun. Bundes- und Gesamtdeutsch.“
Und auch das gehört unbedingt mit in das Ressort Bildung.
Kunckel ist einer der wenigen Politiker, der es bemängelt,
bei Kultur langjährig nur noch über Finanzen geredet zu
haben. Er spart nicht mit dem Vorwurf der „politischen Dummheit“
bei einzelnen Entscheidungsträgern. Seine Offenheit mag auch
mit seiner letzten Legislaturperiode im Landtag zu tun haben. Aber
lang genug ist der Mann dabei um zu wissen, wo es bereits 5 nach
12 ist.