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Ausgabe 2003/06
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nmz 2003/7-8 | Seite 11
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Medien

Globalisierung im Musikbetrieb

Von Armin Diedrichsen und Jochem Wolff

Ein alter Menschheitstraum findet sich eingefangen in einem der berühmtesten Musikstücke aller Zeiten: „Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt!“ In der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven werden für den Augenblick der idealistisch gedachten Feier unterm Sternenzelt wahrhaftig „alle Menschen Brüder“. Aber müssen sie deshalb auch alle einer „global community“ angehören? Kulturelle Entgrenzung führt unter Umständen nicht zu der gewünschten Pluralität von Kulturen und deren Leistungen. Vielmehr könnte durch technischen Fortschritt und die Ausweitung aller denkbaren Beziehungen eher eine kulturelle Hegemonie entstehen, die durch Staaten, Systeme oder Industrieunternehmen aufgebaut und genutzt wird. Erste Anzeichen sind zu erkennen und kaum eine Debatte wird gegenwärtig so erbittert geführt wie die um die Globalisierung der Märkte, der Ressourcen, der Fähigkeiten und Errungenschaften von Völkern.

Dabei hat in seiner philosophischen Theorie der ein wenig in Vergessenheit geratene Günter Anders bereits vor fünfzig Jahren vor einer Verkümmerung der Welt und ihrer Wahrnehmung gewarnt. Er stellte fest, dass die Phänomene der Kommunikation, der Wirklichkeitsvermittlung und damit auch des Umgangs mit Realität einer Verfremdung durch ihre mediale Abbildung unterliegen. Die Welt als Matrize – so sein Bild; und die Welt, in der die atomare Bedrohung besteht, ist die endliche Erfüllung jahrhundertealter Schreckensszenarien von den apokalyptischen Reitern. Als Motto hat er seinen Betrachtungen über die „Antiquiertheit des Menschen“ eine Ermahnung vorangestellt, die gerade im Zeichen der Globalisierung von großer Bedeutung sein wird: „Es genügt nicht, die Welt zu verändern. Das tun wir ohnehin. Und weitgehend geschieht das sogar ohne unser Zutun. Wir haben diese Veränderung zu interpretieren. Und zwar, um diese zu verändern. Damit die Welt sich nicht weiter ohne uns verändere. Und nicht schließlich in eine Welt ohne uns.“

Und weiter: „Die Vorstellung von grenzenloser Globalisierung ist so faszinierend, dass vielleicht gar nicht dominante Tendenzen der Erzeugung einer Weltgesellschaft in einer Anstrengung des ‚wishful thinking‘ als geschichtsmächtig herausgestellt wer- den. Im Sinne des ,thinkful wishing‘ jedoch sind nicht nur die Tendenzen der Globalisierung, sondern auch die Gegentendenzen, jene der Errichtung von Grenzen der Globalisierung zu analysieren.“

Damit sind wir beim Gegensatzbegriff der Regionalisierung angelangt. Es gibt überall in der Kultur und vor allem in der Musik die Betonung des Besonderen, Einzigartigen, das diese seine Bedeutung aus dem mit der Region oder doch wenigstens der nationalen Herkunft verbundenen unverwechselbaren Charakter bezieht.

Schwer wiegt indes die Tatsache, dass einerseits diese Unverwechselbarkeit, die Einmaligkeit des Musikereignisses verloren geht, dass andererseits das durch unendliche Vervielfältigung erzeugte Überangebot unser traditionelles Musikleben kollabieren lässt. Chancen der Behauptung, Chancen, das Alte mit Neuem, Tradition mit Innovation zu verbinden, liegen eben noch im regionalen Bereich, in so genannten „Sinn stiftenden Regionen“ mit ihren kulturellen Ressourcen und Potenzialen an Kreativität. Insofern ist der Begriff der „Regionalisierung“ gegen den der „Globalisierung“ aufgekommen, und zwar in paradoxem Sinne. So bilden die „regionalen Quellen“ durchaus einen eigenständigen Fundus für die überregionale, globale Verwertung, doch hält eine solche Balance nur so lange stand, bis diese Ressourcen möglicherweise auch vereinnahmt und vermarktet werden.

Ein dementsprechender Trend zeigt sich wohl, und so resümiert Richard Münch in seiner Publikation „Kulturwandel und Globalisierung“: „Es ist eine immer engere Verschränkung von Globalkultur und Regionalkulturen festzustellen“. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrat, zeigt aus der Sicht des Verantwortlichen in einem föderalen System die bislang vernachlässigten Probleme der Globalisierung für die Musik einerseits und den Kulturbereich insgesamt andererseits deutlich auf: Kulturelle Leistungen werden zur Ware degradiert und unter den Gesichtspunkten des Weltmarktes beurteilt. Außerdem verkommt die Dienstleistung zu einer Wettbewerbsfrage, bei der Vorsicht geboten ist. Wohl kaum ein Kulturschaffender hat sich ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt, dass seine Arbeit unter dem Einfluss der Globalisierung obsolet werden kann, weil er damit innerhalb eines geeinten Europa gegen Bestimmungen verstößt. Die Angleichung von Inhalten unter dem Druck internationaler Abhängigkeiten hat aber nivellierende Begleiterscheinungen, die dem Produkt Musik seine elementare Herkunft aus der Regionalität entwenden. Ein Blick in die Geschichte lehrt uns allerdings, dass dies gerade für die Verbreitung von Kompositionen und Stilen noch nie ein Hemmnis war, sich sogar Qualität im Transfer von Ausdrucksmöglichkeiten am Ende durchsetzte.

Es gab in diesem Zusammenhang eine Reihe bedeutender Interpreten und Komponisten, die in unterschiedlichen Epochen für einen regen Kulturaustausch sorgten, indem sie beispielsweise auf diesem Wege musikalische Materialien adaptierten oder gar – im Fortsetzen ihres Wirkens – regelrechte Schulen gründeten. Ein paar herausgegriffene Namen sollen diesen Prozess in Erinnerung rufen und verdeutlichen. Um zunächst und vor allem im 19. Jahrhundert zu bleiben: da wäre Franz Liszt zu nennen, der als Pianist Triumphe in ganz Europa feierte und als Schöpfer einer neuen Klaviertechnik in verschiedensten Ländern Schulen ins Leben rief, die bis in das 20. Jahrhundert hinein fortwirkten. Ein Reisender war auch Antonin Dvorak, der sich zwischen 1892 und 1895 überwiegend in den USA aufhielt und auf bemerkenswerte Weise in mehreren Kammermusikwerken, in seinem Cello-Konzert und der so betitelten Sinfonie „Aus der neuen Welt“ afro-amerikanisches und indianisches Material sowie nordamerikanisches Volksliedgut verarbeitet beziehungsweise stilisiert hat.

Wenn etwa die italienische Schule in Venedig durch den Niederländer Willaert geprägt wird oder der gebürtige Italiener Lulli als aufstrebendes Talent die französische Musik „unterwandert“, so treffen wir hier auf zwei willkürlich ausgewählte Beispiele, die der Entwicklung zur jeweiligen Zeit nicht geschadet haben.

Die Schwierigkeiten beginnen da, wo die stromlinienförmige Einheitsware die Suche nach dem neuen oder doch zumindest typischen Ausdruck zu ersetzen vermag. Auch hierfür gibt es leider historische Vorbilder: Vor allem die Barockzeit importierte und exportierte Konzertstrukturen und Klang-bilder, die eine betörende Gleichförmigkeit zum Ergebnis hatten. Dies wurde von theoretischer Seite sogar unterstützt. Johann Mattheson in Hamburg, auf dessen Einschätzungen und Werturteile die musikalische Welt zu hören pflegte, bevorzugte genau jenen Mainstream: „Daß in allen Melodien etwas seyn muß, so einem jeden bekannt ist. Alles gezwungene, weitgeholte Wesen muß vermieden werden. Die Kürtze wird der Länge in jeder Weise vorgezogen. Muß man alle Verbrämung mit großer Behutsamkeit meiden. Sich eine edle Einfalt angelegen seyn lassen.“

Produkte der Pop-Kultur

Die vorgetragene Haltung erinnert fatal an die Produkte der Pop-Kultur. Gehen diese dann noch eine Verbindung mit dem symphonischen oder balladesken Typus gehobener Klasse ein, so sind der Vermischung, die als pädagogischen Effekt den Umbau der Wertvorstellungen einer ganzen Gesellschaft hervorruft, keine Grenzen gesetzt. Die von der Industrie immer wieder litaneiartig vorgetragene Sehnsucht nach der Ubiquität aller Waren einschließlich der Kultur ist aber nicht dazu angetan, die Qualität der einzelnen Komposition zu heben. Im Vordergrund der Globalisierung jedoch steht die Verfügbarmachung aller Ressourcen für eine sich stetig konzentrierende Wirtschaft, die längst die Funktion einer Weltregierung übernommen hat.

Konfektionierte Massenware

Das alles überwölbende Steuerungselement in Politik und Gemeinwesen ist ja der Zusammenhang von abhängiger Arbeit, Produktivkraft, Infrastruktur und sozialer Vereinbarung einerseits und dem Besitz der Produktionsmittel und Vertriebswege zu Zwecke der Gewinnmaximierung anderer- seits. Mit den Worten des Feudalismus: Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird. Marlies Hummel, Ökonomin mit vielfältigen Erfahrungen aus zahlreichen internationalen Studien, stellt den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Globalisierung und Regionalisierung in den Vordergrund. Die notwendige Traditionspflege gilt ihr als Voraussetzung für das erfolgreiche Produkt, das sich auch am transnationalen Markt behauptet. Unterschlagen wird aber in allen Statements und Untersuchungen, welchen Zustand die Globalisierung am Ende ansteuert: die Globalität. Eine solche Welt ist schlechterdings nicht denkbar. Ein einzelner Staat ist schon, unabhängig von seiner Größe, ein hochkomplexes Gebilde, das immer nur zeitweise von Mehr- oder Minderheiten regierbar scheint. Eine total geöffnete Welt setzte voraus, dass die Lebensbedingungen an jedem Ort angeglichen werden, was schlicht unmöglich ist. Hier befinden wir uns auf dem Boden der surrealen Utopie vom Schlage eines „Raumschiff Enterprise“. Wenn also Globalität nicht erreichbar ist, was will dann Globalisierung anderes, als eine fern von jeder Ästhetik, Ethik und Moral für sich existierenden Marktordnung zu errichten? Auf diesem Markt ist die Kultur dann allerdings nur noch die Petersilie des gesellschaftlichen kalten Buffets.

Für die Musik im globalen Netz heißt dies: noch mehr konfektionierte Massenware, austauschbare Klänge, bewusstseinsbildende und beeinflussende Allerweltsprodukte. Den bürgerlichen Einrichtungen, den Konzerthäusern, Theatern und Museen kommt bei all dem die Aufgabe der Bestandssicherung und der kulturellen Bewahrung von Eigenheiten zu. Rolf Bollwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins, hält jedenfalls den Trends zur Internationalisierung von Kultur die Funktion der deutschen Theaterlandschaft entgegen, die helfen könnte, mit den Veränderungen, die durch die Globalisierung hervorgerufen sind, fertig zu werden.

Quo vadis, Kultur? Was wird aus der Musik in Zeiten härterer Gangart? Der Intendant des Festspielhauses Baden-Baden tut im Spiegel-Interview kund, er finde es „nur gerecht, dass auch der Kulturbetrieb seinen Beitrag zu leisten hat, wenn alle anderen Bereiche bluten müssen. Die Kultur kann keine Insel der Seligen sein.“

War sie das denn je? Ist nicht Kultur ein ständiges Ringen des Menschen um sein Weltbild? Für die notwendige Auseinandersetzung mit den Werten, die das Leben auch in Zukunft möglich sein lassen, kann im Grunde nicht genug Geld ausgegeben werden. Ob wir aber tatsächlich in die richtigen Produkte investieren, steht auf einem anderen Blatt. Die Schriftstellerin Hannah Arendt notierte:

„Was wir bisher an Resultaten aufzuweisen haben, ist, was man euphemistisch Massenkultur nennt und was in Wahrheit ein Gesellschaftszustand ist, in dem die Kultur zum Zwecke der Unterhaltung der Massen, denen man die leere Zeit vertreiben muss, benutzt, missbraucht und aufgebraucht wird. Daß diese Massengesellschaft zudem weit davon entfernt ist, den Zustand des „Glücks für die größte Anzahl“ zu verwirklichen, hat sich inzwischen herumgesprochen; gerade ein dem akuten, virulenten Unglücklichsein schon sehr nahekommendes, allgemeines Unbehagen ist die Stimmung, von der moderne Massen im Überfluß ergriffen werden.“

Nach einem Radiofeature auf Bayern2Radio vom 6. Mai 2003

 

 

 

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