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Ausgabe 2003/06
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Konzerte für KinderKonzerte für Kinder

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nmz 2003/7-8 | Seite 14
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Musikvermittlung

Musikalische Speisung mit Dvorák und Bernstein

Ein Schülerkonzert versorgt 2.200 Musikhungrige · Von Ernst Klaus Schneider

„Faszinierende Filmaufnahmen aus dem Weltall, begleitet von feierlichen Melodien aus Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, gefolgt von jazzigen Tanzepisoden aus Bernsteins „On the town“ – dieses Kontrastprogramm erlebten Schüler im Konzert der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford“, so fasste die Lokalpresse zusammen, was im Konzert für Schüler der Klassen 5 bis 8 aller Schularten erklungen war. Das Konzert (60 Minuten Dauer) in einem Konzertsaal der Stadt war der Kulminationspunkt eines größeren, drei Monate zuvor begonnenen Vorhabens, das 2.200 Schüler verschiedener Schulen/Schularten, ihre Lehrer und ein Sinfonieorchester zusammengeführt hat (insgesamt vier Veranstaltungen)1.

Der Anstoß für diese Kooperation kam von beiden Seiten: Wie könnte der Musikunterricht für den Einzelnen persönlicher, erlebnishafter und verbindlicher werden, ohne das Fachliche aufzugeben? Wie kann der Unterricht Selbstgenügsamkeit aufgeben und sich nach außen öffnen? Wie lässt sich im Unterricht anbahnen, dass die Begegnung mit der vielen Schülern sehr fremden Welt des Konzertsaals zu einem Erlebnis, vielleicht auch zu einem Schlüsselerlebnis wird?

Wie kann auf der anderen Seite ein Sinfonieorchester Attraktivität für neue Hörerschichten gewinnen? Ein Orchester muss sich neuen Vermittlungsaufgaben zuwenden und neuen Anforderungen stellen, wenn es langfristig nicht seine Existenz gefährden will. Viele Orchester und Ensembles fragen heute nach Konzepten zur Vermittlung von Musik vor allem für Schüler der weiterbildenden Schulen (Klassen 5 bis 10). Denn eine breite Kinder- und Familienkonzertpraxis hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland entwickelt.2
Über die Planung und Durchführung des Konzertes „Aus der Neuen Welt“ für die Sekundarstufe I wird im Folgenden berichtet.

Vernetzungen

Bei der Programmzusammenstellung kamen Wünsche der Lehrkräfte zum Tragen: Aus dem Repertoire des Orchesters hatten sie Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ gewählt. Auf Vorschlag des Moderators wurden lediglich 1. und 2. Satz sowie die Coda des 4. Satzes gespielt; diesem Werk wurde Leonhard Bernsteins „On the Town“ als Kontrast gegenübergestellt.

Der Moderator hatte es übernommen, Informationen zu den Musikstücken und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen sowie Vorschläge für den Unterricht auszuarbeiten. All dies wurde passwortgeschützt ins Netz gestellt (Nixdorf-Forum Paderborn, www.bid-owl.de) und konnte von den beteiligten Lehrer/-innen abgerufen werden.

Kreuz- und Quergänge durch eine „Neue Welt“

Für den das Konzert vorbereitenden Unterricht wurden Unterrichtsgegenstände so ausgewählt, dass die Musik stets in übergreifenden Zusammenhängen gestellt werden kann: Der situative und biographische Kontext der Musikstücke in Verbindung mit Texten und Bildern; Musikstücke, die sich – kontrastreich gegenübergestellt – gegenseitig erhellen; Ernstes und Unterhaltendes; Jazz und Sinfonik; Musizier- und Hörangebote. Und wichtige Aspekte zurückhalten, die im Konzert zur Geltung kommen. Folgende Unterrichtseinheiten mit Analysen, Informationen und methodischen Möglichkeiten wurden zur Verfügung gestellt und von den Lehrerkräften höchst individuell genutzt:

1. Materialien:

Musik: L. Bernstein, On the Town. Three Dance Episodes; Ch. Ives, Central Park in the Night; Aaron Copland, Quiet City; Festival Junktion (Duke Ellington), One o’clock (Count Basie), The second race (Thad Jones), „same old thing“ von The Streets (ein gesampelter Song über ein Motiv aus der Einleitung der Sinfonie Nr. 9 von Dvorák).
Musizierangebote: Mitspielstücke für das Klassenmusizieren, Lieder.
Video: Ein Werbefilm der Firma Merck „Experience The New“, in dem der 1. Satz der Sinfonie von Dvorák funktionale Aufgaben erhält.
Bilder: Fotos von der Stadt New York, auch vom Times Square und Central Park; Aufnahmen aus der Zeit um 1900 und aus der Gegenwart; Das Gemälde „Broadway“ (1936) von Marc Tobey
Texte: Sprachtexte zu New York, Quellen zu den Musikstücken.

2. Anregungen für den Unterricht (auf der Plattform ausführlich ausgearbeitet)

Unterrichtseinheit 1
Stadtansichten: New York bei Nacht, bezogen auf die Musikstücke von L. Bernstein, A. Copland und Ch. Ives sowie auf das Bild von Marc Tobey („Broadway“).
Angebot an methodischen Möglichkeiten: Gestaltung einer schülereigenen Nachtmusik oder eines Klangporträts, angeregt durch die Betrachtung des Bildes von M. Tobey. Dann Vergleich der eigenen Musik mit dem Werk von Charles Ives, nachfolgend L. Bernstein.

Unterrichtseinheit 2
Kulturelle Verständigung. Jazz und klassisches Sinfonieorchester bei Bernstein.
Angebot an methodischen Möglichkeiten: Vergleich einzelner Szenen aus dem 3. Satz von „On the Town“ „Timessquare“ mit den Jazz-Beispielen.

Unterrichtseinheit 3
Komponistenportät Antonin Dvorák. Erarbeitung der Sinfonie vom biografischen und historischen Kontext her. Nutzung des Internets zur Informationsbeschaffung.

Unterrichtseinheit 4
Musikunterricht in Amerika am Beispiel der Behandlung von Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ in den Materialien der Carnegie-Hall New York. Das Hören der Musik wird hier durch elementare Übungen vorbereitet und durch eine Bilderfolge gestützt.

Unterrichtseinheit 5
Musikhören des 1. Satzes der 9. Sinfonie mit Untertexten. Den Schülern wurden verbale Informationen zur Musik gegeben, die sie während des Hörens lesen und auf das Gehörte beziehen sollen.

Das Konzert „komponieren“

Bei der zweiten Lehrerzusammenkunft wurde die Grundstruktur des Konzertablaufs abgesprochen. Die Musikstücke sollten nicht einfach gespielt werden; vielmehr galt es, Einzelaspekte ohne lehrhafte Attitüde zu beleuchten und möglichst viele Sinne anzusprechen. Welche Aspekte lassen sich anschaulich nur im Konzert vermitteln und sollten im Unterricht ausgeklammert werden? (Etwa die Präsentation der Instrumente/Wie wandert der Klang durch das Orchester – bei Dvoráks anders als bei Bernstein?). Das Konzert sollte methodisch sehr vielfältig gestaltet sein und möglichst viele Sinne ansprechen: Wo lässt sich ein Bild, ein Film einfügen? An welchen Stellen können Schüler/-innen aktiv und voll verantwortlich im Konzert mitwirken? Einzelne Klassen bereiteten ein Interview mit einem Musiker/mit dem Dirigenten vor. Andere Klassen erzählen die Geschichte der drei Matrosen in „On the Town“. Andere stellen das Geschehen im Musical in Comics dar. Was im Unterricht behandelt worden war, sollte möglichst nicht im Konzert wiederholt werden. Für den Moderator hieß dies, Materialien zurückhalten und diese erst im Konzert nutzen.

Ablauf in Stichworten

  • Beim Hereinkommen in den Saal konnten die Schüler/-innen eine Sequenz von kurzen Texten und von Bildern verfolgen, so als wenn sie ein Programmheft durchblätterten. Zum Schluss wurde der Programmzettel mit allen wichtigen Informationen projiziert.
  • Auftritt des Orchesters. Spiel der Einleitung zum 1. Satz „Aus der Neuen Welt“
  • Begrüßung; Vorstellung der Instrumentengruppen ohne lange theoretische Erklärungen und Vorführung, wie die Musik durch die Instrumentengruppen des Orchesters wandert. Dabei auch mittelbar Vorstellung der Themen (Konzertmusik-Tanzmusik-Lied).
  • Vorspiel des 1. Satzes
  • Vorstellung einer Musikerin und ihres Instrumentes: Das Englischhorn. Das Thema des 2. Satzes wird in ganzer Länge gespielt. Der Moderator berichtet von der Bedeutung der Sinfonie für die Amerikaner. Dem Astronauten Armstrong wurde die Sinfonie über Kopfhörer zugespielt, als er den Mond betrat.
  • Konzertmäßiges Vorspiel des 2. Satzes mit einem Film aus der „Neuen Welt“ (Weltraumbilder, vgl. den Film Odysee 2001 von Stanley Kubrick). Eine ganz anders geartete Alternative für eine Visualisierung dieses Satzes wären Landschaftsaufnahmen aus den USA (vgl. die Filme „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“).
  • Interview der Konzertmeisterin durch Schüler/-innen.
  • Vorspiel 1. Satz Bernstein „The Great Lover“
  • Vorführen am 3. Satz „Timessquare“, wie bei Bernstein der Klang durch das Orchester wandert und die Orchestergruppen gegenüber Dvorák völlig andere Funktionen erhalten.
  • Erzählen der Geschichte von den drei Matrosen aus „On the Town“ durch Schüler/-innen (Bilder, Szene).
  • Konzertmäßige Aufführung der drei Sätze „On the Town“ mit Einblendung von Comic-Bildern der Schüler.

Feedback

Nach dem Konzert haben die Schüler auch im Unterricht ihre Erfahrungen, Meinungen und Urteile ausgetauscht. Das Urteil war, von einzelnen abweichenden Meinungen abgesehen, überaus positiv. Zu einzelnen Aspekten in der Reihenfolge der Häufigkeit von Äußerungen:

  • Das Vorspiel des 2. Satzes von Dvoráks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ mit der Vorführung eines Films fanden sie besonders hilfreich und für ihr Konzerterlebnis wirksam. Darin spiegeln sich ihre Alltagserfahrungen, die sie mit den Visualisierungen der Popszene machen. In einem visuellen Zusammenhang entwickeln Schüler Toleranz und Interesse auch an einer ihnen fremden Musik. Nun mögen und hören sie diese Musik auch ohne Bild. (Das zeigte sich im nachfolgenden Unterricht.)
  • Von vielen Schüler/-innen wurden das Interview mit der Konzertmeisterin und die Vorstellung der Musikerin mit dem Englischhorn als wichtige Ereignisse im Konzert hervorgehoben. Hier zeigt sich, dass ihr Interesse nicht allein an der Musik haftet, sondern verbunden ist mit dem Interesse an Personen.
  • Es imponierte den Schülern, dass sich die Musiker auch in einem Schülerkonzert gut anziehen und engagiert Musik machen. Sie spüren in der Haltung der Musiker, dass sie als Publikum ernst genommen werden.
  • Für fast alle Schüler war die Begegnung mit der Musik im Konzertsaal eine Erstbegegnung. Für viele der an Kinobesuche gewöhnten Jugendlichen war es zum Beispiel eine neue Erfahrung, dass man im Konzert nicht isst und trinkt und dass es spezifische Verhaltensweisen gibt.
  • Die Schüler fanden beide Stücke schön, bevorzugten aber im Vergleich die Musik Bernsteins. Die Nähe zur populären Musik, zu Tanz und Körperlichkeit macht dies verständlich.

Wichtige Planungsaspekte

  • Eine intensive unterrichtliche Vorbereitung der SchülerInnen auf das Konzert ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen. Das Konzert muss jedoch Schülern dann die Möglichkeit zu ganz neuen Erfahrungen mit der ihnen bekannten Musik eröffnen.
  • Die Erlebnisseite der Musik muss im Vordergrund stehen. Ein Konzert ist keine Lehrstunde.
  • Schülerkonzerte sollten nicht länger als 60 Minuten dauern und im Musikangebot kontrastreich konzipiert sein. Musik, die dem Grundbedürfnis nach rhythmischer Bewegung entspricht, ist für die Mittelstufe besonders gut geeignet.
  • Wichtig ist die Gestaltung von Übergängen zwischen der Alltagsituation und dem Beginn des Konzerts: Schülerarbeiten werden als Einstimmung in die Thematik im Vorraum ausgestellt; ein Programmheft wird projiziert usf.). Dies ist zugleich die Chance, Unterrichtsergebnisse öffentlich auszustellen.
  • Für den Erfolg eines Schülerkonzerts ist es hilfreich, wenn Schüler/innen selbst für kurze Einzelphasen im Konzert aktiv mitwirken (Interview, Szenen zur Musik). Damit wird die starre Front zwischen Podium und Publikum. gelöst; über diese Brücke kommen sich Musiker wie Musik und Schüler näher.
  • Es lohnt sich, ein Vielzahl vor allem nonverbaler Vermittlungswege zu nutzen und möglichst viele Sinne anzusprechen.
  • In einem Konzert muss es Phasen geben, wo die jungen Hörer ohne Kommentar und Bild „allein“ mit der Musik sind. Für sehr viele Schüler ist es schwierig, Musik „ohne Sehen auszuhalten.“
  • Von besonderer Bedeutung für ein jugendliches Publikum ist die hohe Qualität der künstlerischen Darbietung. Schüler reagieren sensibel auf Mittelmäßigkeit. Sie spüren in der Haltung der Ausführenden, ob sie ernst genommen werden, und reagieren entsprechend.

Anmerkungen
1 Die Koordination und Planung wurde von dem Autor auch im Zusammenhang mit dem Pilotprojekt „Musikvermittlung/Konzertpädagogik“ der Hochschule für Musik Detmold durchgeführt.

2 Vgl. Barbara Stiller, Constanze Wimmer, Ernst Klaus Schneider (Hg.), Spielräume Musikvermittlung. Konzerte für Kinder entwickeln, gestalten, erleben, Regensburg (ConBrio) 2002.

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