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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 7
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Musikwirtschaft
Antizyklisch in Neues investieren
Stefan Piendl, der neue Chef von BMG Classics im Gespräch
Die Ernennung Stefan Piendls zum Senior Vice President & COO,
BMG Classics worldwide war ein kleiner Paukenschlag, denn sie bedeutete
nicht weniger als ein klares Bekenntnis von Bertelsmann als einem
der größten Konzerne der Unterhaltungsbranche zur Klassik.
Stefan Piendls Weg in der Plattenbranche begann vor zwölf Jahren
als Verkaufsleiter bei Sony Classical, bevor er als Marketing Director
für EMI Classics/Virgin Classics arbeitete und später
Managing Director BMG Ariola Classics GmbH (Germany, Switzerland,
Austria) wurde. Jetzt verantwortet er die weltweiten Aktivitäten
der Klassik-Labels RCA Red Seal, deutsche harmonia mundi und ARTE
NOVA. Darüber hinaus gründete er das neue und innovative
Adult Music Label „no, but yes!“, auf dem auch die beiden
erfolgreichen Produktionen des Rilke-Projektes veröffentlicht
wurden. Die unter seiner Leitung konzipierte und realisierte „First
Authorized Edition“ (EMI Classics) mit Aufnahmen von Sergiu
Celibidache und den Münchner Philharmonikern wie auch die Dokumentation
zeitgenössischer Musik in der Edition „Musik in Deutschland
1950–2000“ (BMG Classics/RCA Red Seal) wurden mit einem
ECHO Klassik-Deutscher Schallplattenpreis als beste editorische
Leistung des Jahres ausgezeichnet. Stefan Piendl ist Mitglied des
Vorstandes der Jeunesses Musicales Deutschland. Hans-Georg Buschendorf
sprach für die nmz mit ihm.
nmz: Herr Piendl, in einer Situation, in der überall
orakelt wird, dass der Klassikmarkt zusammengebrochen ist, geht
eine große Firma daran, jemanden mit Funktion und Titel auszustatten
mit dem Auftrag, für die Klassik noch mal richtig durchzustarten
– wie erklären Sie sich das?
Mit optimistischem Blick
in die Zukunft: Stefan Piendl. Foto: BMG
Stefan Piendl: Man kann das ja unter zwei Aspekten
betrachten. Der eine ist das Commitment in die Klassik und der Glaube
auch in der jetzigen Situation im Bereich klassischer Musik wirtschaftlich
erfolgreich arbeiten zu können. Und der andere ist der einer
antizyklischen Investition als strategischer Schritt. Wenn nämlich
ein Großteil der Wettbewerber sich eher zurückzieht,
kann es klug sein, antizyklisch zu investieren und sich für
einen Bereich stark zu machen, weil in einer solchen Situation ganz
besondere Chancen liegen. Für uns in der Klassik heißt
das, dass es im Moment sehr gute und sehr interessante und erfolgreiche
Künstler ohne Plattenvertrag gibt und wir uns fragen: Warum
machen wir denn jetzt nichts mit ihnen?!
nmz: Die Argumente der Wettbewerber, die sich
ja nicht grundlos zurückziehen, sind solche wie: Es rechnet
sich nicht mehr, die Produktionen sind zu teuer, die Verkäufe
zu gering. Mit diesen Umständen ist doch auch BMG Classics
konfrontiert. . .
Piendl: Zum einen gibt es in der Tat Rahmenbedingungen,
die es uns sehr schwer machen. Das Hauptproblem besteht meiner Ansicht
nach darin, dass sich die Klassikliebhaber in den letzten zwanzig
Jahren ihre CD-Sammlungen mit klassischem Standardrepertoire zusammengestellt
haben. Es gibt viel zu wenig Neues, auch kommerziell interessantes
Repertoire, das diese Sammlungen jetzt bereichern könnte. Das,
was heute als zeitgenössische Klassik entsteht, wollen die
meisten auf CD nicht haben.
Es gibt aber auch viele Probleme, die eigentlich keine sind. Die
herbeigeredete Klassikkrise resultiert meines Erachtens auch daraus,
dass man, Crossover und Klassik in einen Topf geworfen, von völlig
überzogenen Verkaufserwartungen ausgeht. Beeinflusst durch
Erfolge wie die „Drei Tenöre“ oder den Soundtrack
von „Titanic“ hat man sich an vermeintliche Potenziale
gewöhnt, die, wenn sie dann nicht erreicht werden, eine scheinbare
Katastrophe sind. Wenn man das aber von vornherein trennt und den
Bereich klassischer Musik nimmt als das, was er ist und immer war,
dann ist die Situation gar nicht so negativ. Dramatisch daran ist,
dass inzwischen so lange über die so genannte „Klassikkrise“
geredet wurde, dass sie zum Teil tatsächlich kam. Natürlich
entstanden aus diesem negativen Klima ganz konkrete negative Folgen,
die sich wie eine Kettenreaktion ergeben: Der Handel zum Beispiel
reduzierte seine Verkaufsfläche für die Klassik, die Industrie,
weil sie weniger verkauft, produziert weniger Klassik, das führt
zu weniger Umsatz. Personal wird abgebaut und damit nicht zuletzt
kreative Ressourcen. . .
nmz: Spielen da nicht auch die enormen Kosten
für die Produktion einer Klassik-CD eine entscheidende Rolle?
Piendl: Ich glaube, der Höhepunkt der Kostenentwicklung
ist längst überschritten. Der Großteil der Künstler
hat längst verstanden, dass Gagen wie zu Spitzenzeiten des
CD-Booms nicht mehr gezahlt werden können. Gerade die Klassik-Künstler
haben längst realisiert, dass sie von ihren Auftrittsgagen
leben und die CD eher ein Dokument dazu ist.
nmz: Welche Rolle spielen die neuen Medien in
Ihren zukünftigen Überlegungen und Planungen? Die Lebensdauer
der CD als solche wird ja inzwischen nur noch als eine kurze angesehen.
Piendl: Ich glaube, dass die Lebensdauer der
CD deutlich länger ist, als momentan vielerseits geunkt wird.
Ich glaube auch, dass der Königsweg für die neuen Formate
wie Video-CD, SACD, oder DVD-Audio noch nicht gefunden ist. Es gibt
verschiedene Entwicklungen, die man nachvollziehen und bis zu einem
gewissen Grad auch mitmachen muss. Aber kurzfristig ist es noch
schwierig, mit einem dieser neuen Medien wirklich erfolgreich zu
sein. Natürlich wird unter den Künstlern auch über
die neuen technischen Möglichkeiten gesprochen, aber den meisten
ist wichtig, dass sie ihre Arbeit auf CD dokumentieren können.
nmz: Was steht jetzt auf Ihrer Prioritätenliste
für den Neuanfang, den Ihre Berufung ja zweifellos signalisiert?
Piendl: Zunächst mal geht es darum, ein
Signal auszusenden, dass in Richtung Klassik auch Positives geschieht.
Das geht natürlich am besten mit guten Produktionen, die bereits
geplant und in Arbeit sind. Dazu kommen neue Vertragsabschlüsse
mit hochkarätigen Künstlern.
Grundsätzlich denke ich, wenn man es richtig macht, ist alles
möglich. Völlig unbekanntes Repertoire kann zum Beispiel
erfolgreich vermarktet werden, wenn sich große Stars seiner
annehmen – wenn jemand anderes als Cecilia Bartoli die Gluck-Aufnahmen
gemacht hätte, wären sie wahrscheinlich kaum so erfolgreich
geworden. Es geht aber auch andersherum: So kann man sehr bekanntes
Repertoire mit eher unbekannten Künstlern machen. Bestes Beispiel
sind die „Vier Jahreszeiten” mit dem „Venice Baroque
Orchestra“ und Guiliano Carmigniola.
Man kann auch beides kombinieren, Beispiel: der große Erfolg
von Simon Rattle und den neun Beethoven-Sinfonien – man hätte
auch denken können: Wer braucht noch einen Beethoven-Zyklus?
nmz: Die zeitgenössische Musik spielt im
Konzertbereich eher eine untergeordnete Rolle. Welchen Stellenwert
wird sie in Ihren Repertoireüberlegungen haben?
Piendl: Viele Zeitgenossen, die die Feuilletons
und Kritikerherzen beherrschen, sind mit ihren Werken auf CD schlicht
unverkäuflich. Worauf ich ein Augenmerk richten werde, ist
erfolgreiches neues Repertoire. Neue Musik, die eine Chance hat,
von den Leuten gehört zu werden, ich denke da an Komponisten
wie Arvo Pärt, Michael Nyman, Philip Glass, John Adams oder
Giya Kancheli. Ein Restrisiko bleibt natürlich immer, selbst
bei einem tollen Komponisten kann es sein, dass sein neues Werk,
so künstlerisch spannend und gut es sein mag, die kommerziellen
Erwartungen nicht erfüllt. Hier sind wir aber schon mit verschiedenen
Komponisten und Ensembles in Verhandlung.
nmz: Glauben Sie an eine Vorbildwirkung auf andere
Plattenfirmen, sich wieder mehr und eindeutiger für die Klassik
zu engagieren?
Piendl: Ich würde es mir zumindest wünschen.
Jedes positive Signal Richtung klassischer Musik ist hilfreich!
Dazu zählen solche Ereignisse wie der Neubau der Philharmonie
in Essen oder das Konzerthaus in Baden-Baden, das sich selbst finanziert
und ohne Zuschüsse auskommt.
Es gibt im Moment mehr, die die Situation eher skeptisch und pessimistisch
sehen, aber wir sind nicht die Einzigen, die sich optimistisch für
die Klassik engagieren!