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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 18
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Repertoire
Joseph Jongen
Zwischen den beiden großen Nationen Frankreich und Deutschland
eingeklemmt, ist die Musikgeschichte des Königreiches Belgien
kulturellem Druck ausgesetzt. Das war schon im 20. Jahrhundert so,
und nur wenige belgische Komponisten sind über die Landesgrenzen
hinaus bekannt geworden. Joseph Jongen (1873–1953) aus Lüttich
ist einer von denen, die internationales Format hatten, aber wegen
unzeitgemäßer Stilistik und prekärer zeitgeschichtlicher
Umstände aus den europäischen Strömungen verdrängt
wurden.
Postromantische Handschriften waren spätestens seit den 30-Jahren
verpönt oder wurden mit Argwohn betrachtet. So gesehen hat
Joseph Jongen sich die Tonsprache von Gabriel Fauré, Richard
Strauss, Claude Debussy und insbesondere Maurice Ravel zu spät
angeeignet. Aber er hat deren Grammatik recht eigensinnig, manchmal
eklektisch schwankend mit einigen originären Werken fortgebildet.
Die „Impressions d’ardennes“ sind trotz gewisser
statischer Momente keine Programmusik à la Strauss, sondern
freundlich bewundernde Blicke eines Wanderers in eine gebirgige
Tonlandschaft. Das Cellokonzert ist schon eher verträumt, zumindest
sinnierend. Zwei langsame Sätze und ein verschämtes Tänzchen
hellen die traurige Stimmung kaum auf. Nur die „Fantasie sur
deux noëls populaire wallons“ sind wie ein Maskenspiel
zu Weihnachten, haben lebhafte Imaginationen wie das „Tryptyque
pour orchestre“.
Bemerkenswert sind die Orchesterlieder, mit spanischem Kolorit
sinnlich impulsiv die „Mélodies“ op. 25, schon
Kriegserfahrungen reflektierend in „Les cadrans“, eine
Gesangselegie, die ein Pizzicato-Marsch effektvoll kontrastiert.
Gesteigert noch in den „Cinq Mélodies“ op. 57,
in denen martialische Schrecken im punktierten Stechschritt des
Orchesters oder dramatische Frontszenen in grellen Klangfarben zu
hören sind. Mariette Kemmer hat diese Lieder mit angemessenem
Respekt und Sinn für die Prosodie gesungen.
Sehr deutliche Individualität hat die Kammermusik von Joseph
Jongen. Er hat aparte Werke für Flöte und Ensemble in
vornehmem Stil geschrieben. Das „Concert à cinq“
hat euphorische Momente des Entzückens inmitten eines melancholischen
Nachtgesangs. Und der „Danse lente“ für Flöte
und Harfe ist wie ein lebhafter Diskurs unter Geschwistern mit extremer
Polyphonie und rhythmischen Überlagerungen.
„Trio pour flûte, violoncelle et harpe“ fließt
in ruhigen Bildern, um sich dann zu einem kratzbürstigen Scherzo
zu wenden. Oft ist diese Musik wie ein Gemälde in Pastellfarben,
so die „Sonate pour flûte et piano“, deren Gigue
sich allerdings energico in Tango-Andeutungen bewegt. Bevorzugt
Joseph Jongen allgemein sorgfältig dosierte Klangfarben und
feine Kontrapunktik, so hat er mit der „Elégie pour
quatre flûtes“ 1940 ein monophones Werk geschrieben,
das besorgt nach Orientierung während des Zweiten Weltkriegs
fragt.
Im Repertoire des 20. Jahrhunderts hat Joseph Jongen wenige Spuren
hinterlassen. Nun ist vor allem seine Kammermusik neu kennen zu
lernen. Die Aufnahmen des belgischen Ensemble Arpæ bereiten
dabei besondere Freude.
Hans-Dieter Grünefeld
Impressions d’Ardennes/Concerto pour Violoncelle/Fantasie;
Marie Hallynck: Cello; Orchestre National de Belgique, Leitung:
Roman Kofman
Cyprés CYP 1634
Mélodies avec orchestre/Tryptyque pour orchestre; Mariette
Kemmer: Sopran; Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo, Leitung:
Pierre Bartholomée
Cyprés CYP 1635
Musique de chambre pour flûte, harpe et cordes; Ensemble
Arpæ
Cyprés CYP 1632
Musik für Flöte; Marc Grauwels: Flöte/Marie
Hallynck: Cello/Sophie Hallynck: Harfe/Dalia Ouziel: Klavier/Quatuor
de Flûte du Conservatoire Royal de Bruxelles, Naxos 8.557111