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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 19
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Bücher
Eine Brücke zwischen Pädagogik und Therapie
Vorträge und Schriften zum Thema Akustische Ökologie
und Elementare Musik
Klaus Leidecker: Musik als Begegnung. Schöpferisches
Handeln zwischen Pädagogik und Therapie, Reichert Verlag, Wiesbaden
2002, 154 S., € 18,-, ISBN 3-89500-256-9
„Musik als Begegnung sucht den Menschen auf – zum Beispiel
als Übenden, als Lernenden, als Sich-Entwickelnden, als Klienten
– im Kontakt mit seinen individuellen Kraftquellen, im Kontakt
mit der Welt als Komposition, als Spiegel.“ Mit diesen aussagekräftigen
Worten leitet Klaus Leidecker sein Buch ein, welches 2002 veröffentlicht
wurde. Es besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil beinhaltet Vorträge
und Schriften zu den Themen Akustische Ökologie und Elementare
Musik, Beiträge zur Musikanthropologie und methodisch-didaktische
Ansätze aus seiner Werkstatt-Arbeit mit Musik- und Sozialpädagogik-Student/-innen
mit einer Fülle von praktischen Beispielen.
Der zweite Teil – die Studie „Klänge der Betäubung“
– gibt einen faszinierenden Erfahrungsbericht von seiner musiktherapeutischen
Arbeit mit Alkoholikern, der meiner Ansicht nach auch auf andere
Handlungsfelder übertragbar ist. In allen Beiträgen spiegelt
sich die besondere Sichtweise von Klaus Leidecker wider. Ob in der
Musikpädagogik oder Musiktherapie, immer geht es um den Menschen,
um ein Verbinden von innen und außen sowie oben und unten.
Es geht um ein Anschließen an die innere Kraftquelle, das
Einbeziehen der Welt als Komposition und als äußerer
Spiegel und um ein Einbetten der Erfahrungen und des schöpferischen
Handelns in das große Ganze. In einem der Vorträge wird
diese Sichtweise besonders deutlich. Klaus Leidecker beschreibt
darin seine pädagogische Zielsetzung anhand einer symbolischen
Tonleiter: Am Anfang steht der Grundton, Ausgangspunkt für
vieles, für alles. Im pädagogischen und therapeutischen
Kontext ist dies die „Erfahrung“. Der Pädagoge
und Therapeut muss gleichermaßen einen Erfahrungsraum schaffen,
der geschützt ist für individuelles Suchen und Finden.
Improvisation ist dabei der Schlüsselbegriff. Leidecker definiert
Improvisation als „Jetzt im Klang“.
Aus der Erfahrung erwächst die zweite Stufe der Tonleiter,
die er mit „Erkenntnis“ beschreibt. Das Wissen entsteht
aus der Erfahrung, aus dem Handeln von innen heraus. Die dritte
Stufe heißt „Übung“. Aus der Fülle der
Möglichkeiten soll der individuelle Standpunkt gefunden werden,
das braucht Übung. Selbst der Leser/-in ist in diesen Prozess
von Erfahrung – Erkenntnis – Übung miteinbezogen:
Die vielen praktischen Anregungen knüpfen an eigene Erfahrungen
an, lassen die Erkenntnisse, die besonders in den Vorträgen
im ersten Teil zu finden sind, begreifen und fordern spielerisch
auf, eigene Standpunkte zu finden. Aus der Übung ergibt sich
fast wie von selbst die vierte und fünfte Stufe der Tonleiter,
die „Entwicklung“ und die „Integration“
oder „Reife“. Der Übende entwickelt sich auf seinem
Weg und verbindet sich und die Welt in ein Ganzes. „Musik
ist nicht Teil der Welt, sie ist die Welt selber in dieser besonderen
Sprache der Musik“. Der sechste Schritt heißt Person,
der Zielpunkt von Entwicklung und Reife. Erinnernd an die Wortbedeutung
(personare – hindurchtönen) geht es Leidecker um den
Menschen, der selber klingend werden kann und sich schließlich
selber als Instrument versteht. Dieser Mensch kann „ausstrahlen“
und „Leitton für andere“ werden, auch neue Grundtöne
ermöglichen. Der siebte Ton heißt demnach „(Aus-)Strahlen“
oder „Lehren“. „So wäre Pädagogik schließlich
die Aufgabe, Person, Persönlichkeit zum Aus-Strahlen zu bringen.“
Dieses Beispiel der symbolischen Tonleiter zeigt die grundlegende
Haltung des Autors, die in allen Themen zu finden ist. Die zahlreichen
praktischen Beispiele spiegeln den reichen Erfahrungs- und Kenntnisschatz
des Autors wieder. Der persönliche Schreibstil lässt die
eigene Persönlichkeit erahnen. Die Leserin und der Leser finden
knappe, leicht zu lesende Beschreibungen vor, erhalten viele originelle
Anregungen für die Praxis mit theoretischer Anbindung. Das
Buch ist eine Besonderheit sowohl für Pädagogen/-innen
als auch für Therapeuten/-innen aus der Musik- und Sozialpädagogik
und Musiktherapie. Es bildet eine wichtige Brücke zwischen
Musikpädagogik und Musiktherapie.