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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 20
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Bücher
Nachschlagen im Nachlass
Das Schumann-Werkverzeichnis – ein Ehrfurcht gebietendes
Unternehmen
Margit L. McCorkle: Robert Schumann. Thematisch-Bibliographisches
Werkverzeichnis. Hrsg. von der Robert-Schumann-Gesellschaft,
Düsseldorf. München (G. Henle Verlag) 2003. ISBN 3-87329-110-4,
1.132 Seiten, € 298,- (Einführungspreis bis 31.12.2003:
€ 255,-)
„Von einer Publication, welche (bei übrigens geringer
innerer Schwierigkeit) soviel Fleiß und Muße erheischt,
wie ein Themencatalog, erwartet man mit Recht etwas Tadelloses,
ganz abgesehen von dem hohen Preis, welcher dem Käufer überdies
ein materielles Recht zu solcher Erwartung gibt.“ Die Ansprüche,
die Eduard Hanslick 1860 im ersten Jahrgang der Deutschen Musik-Zeitung
an ein Werkverzeichnis stellte, erscheinen zeitlos, auch wenn Margit
McCorkle zum Thema „geringe innere Schwierigkeit“ so
ihre eigene Meinung haben dürfte. Über die eiserne Arbeitsdisziplin
der Wissenschaftlerin, die nach dem Brahms-Verzeichnis von 1984
nun ein zweites Opus dieser Größenordnung vorlegt, waren
jedenfalls bei der Präsentation des Bandes in München
geradezu haarsträubende Details zu erfahren und so müsste
man im Wortsinne schon mehr als früh aufstehen, um ihr nun
in Sachen Akribie, Stringenz und Präzision am Zeug zu flicken.
Schieben wir also noch einmal Hanslick vor, der 1860, als der Verlag
Schuberth & Comp. zum Preis von drei Talern das „Thematische
Verzeichnis sämmtlicher in Druck erschienen Werke Robert Schumann’s“
feilbot, noch „manchen billigen Wunsch unbefriedigt“
sah: „Für’s erste ist es nicht ganz vollständig“,
monierte er und vermisste neben einigen Chorwerken den gesamten
Nachlass, von dem – so Hanslick forsch – der Verleger
sich ja wenigstens ein genaues Verzeichnis hätte verschaffen
können.
Mit eben diesem Nachlass hat es bei Schumann aber seine besondere
Bewandtnis, waltete Clara doch streng und mit wechselhaften Kriterien
darüber, welche Werke, gerade aus der angeblich heiklen späten
Schaffensperiode an die Öffentlichkeit gelangen und welche
dieser vorenthalten werden sollten – das Violinkonzert ist
nur das prominenteste und in seiner späteren Rezeptionsgeschichte
berüchtigste Beispiel. Und so wäre Hanslick angesichts
des bei Henle in Ehrfurcht gebietender Ausstattung erschienenen
Verzeichnisses gerade im Hinblick auf den Nachlass wohl schnell
das Mäkeln vergangen. In der Tat stellt die nach den Opuszahlen
1 bis 148 und den Werken ohne Opuszahl an dritter Stelle stehende
Rubrik „Schumanns Nachlaß: Fragmente und nicht zur Veröffentlichung
freigegebene Werke, verschollene Werke und Kompositionspläne“
den vielleicht faszinierendsten Teil des Bandes dar: Nach Gattungen
geordnet sind nicht weniger als 163 Schumann’sche Werke oder
Beinahe-Werke gelistet, die meisten überraschenderweise für
die Bühne. Schumann angesichts projektierter Vertonungen des
Nibelungen- oder des Tristanstoffes als verhinderten Wagner neu
zu entdecken, wäre sicher übereilt, zeugen die unzähligen
Einträge doch zunächst einmal nur von der Suche nach geeigneten
Sujets, ein wenig verschieben sich die Schwerpunkte im gängigen
Schumann-Bild aber doch.
Neben der Übersichtlichkeit und Detailversessenheit der Einträge
zu Entstehung, Quellen und Drucklegung der Kompositionen sind es
vor allem die Register, die McCorkles Werk über das unverzichtbare
Nachschlagewerk hinaus auch zu einer anregenden Lektüre machen
können. Hanslick ist es wiederum, der mit viel Gespür
für charakteristische Wesenszüge des Schumann’schen
Œuvres indirekt ein Desiderat nennt, das im neuen Verzeichnis
auf’s Schönste eingelöst wird: „Manchem mit
Schumann noch nicht vertrauten Leser werden bei Durchsicht des Catalogs
die vielen, zum Theil seltsamen Ueberschriften auffallen, die der
Componist (besonders in jungen Jahren) kleineren Clavierstücken
beizufügen pflegte.“ Nachzuschlagen bei McCorkle im Register
IV, das die Überschriften zu den Werken für Tasteninstrumente
dem Alphabet nach ordnet und so etwa zur Gegenüberstellung
gleich oder ähnlich betitelter Stücke aus verschiedenen
Schaffensepochen anregt. Denn – auch das wusste schon Hanslick
– „nichts kann hilfreicher in die genaue Kentnis eines
Meisters einführen, als solch ein Catalog, und nichts vermag
wiederum dies Studium so befestigend abzuschließen.“