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Ausgabe 2003/06
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nmz 2003/7-8 | Seite 17
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Rezensionen

Mythos und Leben

Original Masters bei Universal

Man kann den Fanatismus der Sammler historischer Aufnahmen, die auch noch das entlegenste, aufnahmetechnisch schäbigste Dokument des Dirigenten X zu ergattern suchen, schlicht für eine Marotte halten. Gibt es doch fast alles in klanglich unvergleichlich besseren Aufnahmen, die zum Teil zu niedrigsten Preisen auf den Markt geworfen werden. Nichts als falscher Mythos und Weihrauch um verblichene Interpreten zu Lasten der Komponisten, wird mancher Skeptiker munkeln. Wer freilich genauer zuhört und etwas Erfahrung gewinnt, kann sich des zwingenden Eindrucks kaum entziehen, dass wir uns in einer Zeit rasanter musikalischer Dekadenz befinden, wo die Unverkennbarkeit und Einmaligkeit der künstlerischen Aussage eine große Seltenheit geworden ist.

Das betrifft nicht nur Sänger, Instrumentalisten und Dirigenten, sondern auch die technisch früheren Zeiten weit überlegenen Orchester. So ist es nicht verwunderlich, wenn viele den Bedarf nach existentiellem Ausdruck und wahrer Substanz mit ausgiebigen Reisen in eine immer weiter sich entfernende Vergangenheit decken. Dabei heißt es durchaus, eine Art hypothetischen Hörens zu lernen, aber man kann sich damit trösten, dass auch das optimierteste Klangbild einer neuen Aufnahme nicht mit der Realität im Raum übereinstimmt. Die Flut an historischen Veröffentlichungen ist immens, das Remastering immer raffinierter und Serien wie die Great Conductors von IMG/EMI, BBC Legends, Naxos Historical, die Stokowski-Edition von Cala und so weiter florieren. Nachdem die Wiederausgrabung des Westminster-Katalogs eingestellt wurde, hat nun Universal (der Klassikmarkt-dominierende Zusammenschluss von Deutsche Grammophon, Decca und Philips) eine neue Offensive gestartet, die zu einem günstigen Preis anderswo nicht erhältliche Aufnahmen – viele davon erstmals auf CD – in kleinen Portraitboxen offeriert: Original Masters. Rein äußerlich ist die bislang fünfteilige Serie der DG sehr gelungen: mit einem Design, das die Ästhetik der fünfziger Jahre wachruft, sowie recht anspruchsvollen und interessant bebilderten Textheften (Furtwängler ist gar amüsant im Kreise von vier Wiener Mannequins zu sehen). Die Decca-Veröffentlichungen dagegen sehen billig aus, mit aufdringlichen Regenbogenfarben, vielen Schludrigkeiten der Redaktion und fragwürdigen Textübersetzungen. Doch was sagt das Ohr dazu?

Nicht alles ist Gold. Die wenig subtilen Beethoven-Symphonien unter Eugen Jochum lasse ich beiseite. Wilhelm Kempff ist mit sämtlichen in den fünfziger Jahren gemachten Aufnahmen von Solokonzerten zu hören. So ergiebig und ausdrucksvoll kultiviert sein Spiel auch ist, wird man doch nicht restlos beglückt, da dirigentisch viel zweite Wahl vergröbernd einwirkt. Die frühen Einspielungen Clifford Curzons überschneiden sich nicht mit Veröffentlichungen jüngerer Zeit und die zurückhaltende Noblesse seines Spiels ist stets ein Fest, zumal wenn mit Boult ein beherzter Pultdompteur zur Sache geht. Arthur Grumiaux spielt besonders im französischen Repertoire bei aller Leichtigkeit mit einer offenen Leidenschaft, wie viele sie nicht erwarten dürften –besonders fesselnd etwa in Chaussons Poème. Quartettfreunde werden natürlich nach sämtlichen DG-Aufnahmen des Janácek-Quartetts greifen und darin – trotz gewisser technisch-tonlichen Limits – viel Intensives und Berührendes finden. Das Auswendigspielen hatte eine Konzentration und Dichte des Ausdrucks zur Folge, die vieles wettmachen. Highlights: Beethoven, die Klavierquintette mit Eva Bernáthová, und vor allem Mendelssohns Oktett mit den wunderbaren Kollegen vom Smetana-Quartett.

Die Dirigentenportraits sind nicht weniger aufschlussreich. Eduard van Beinum, geradezu antipodischer Nachfolger Willem Mengelbergs als Chef des Concertgebouw Orkest, war ein druckvoller, entschlossener Musikant, dessen Erste Brahms-Symphonie durchaus in Bann zieht, wenngleich im Forte von Strukturation keine Rede mehr sein kann. Mit dem silbrigen Alfredo Campoli gibt es sehr feine und beredte Passagen in Lalos Symphonie espagnole. Berlioz ist sehr knackig, Bartók kraftvoll äußerlich und bei allem Erfassen der Hauptcharaktere ohne nennenswerte Hintergründigeit. Für mich am überzeugendsten gelingt unter van Beinum die einsätzige, originell jazzig-bitonale, transparent virtuose und handwerklich phänomenale Dritte Symphonie des führenden holländischen Neoklassizisten Willem Pijper (1894–1947), bei welcher Clifford Curzon am Piano obbligato mitwirkt. Als großer Mozart-Dirigent galt Josef Krips und in der Tat kann man die Makellosigkeit und Durchsichtigkeit des Zusammenspiels sehr bewundern. Andererseits war er kein Großmeister subtiler Phrasierung, was eine gewisse Kurzatmigkeit und wenig harmonische Spannkraft zur Folge hat. In Tschaikowskys Fünfter zeigt er sich als funkensprühender Musikant. Am schwächsten gerät ihm Schumanns Vierte Symphonie – pauschal, klanglich vergröbernd, langatmig.

Für die meisten eine echte Enthüllung bietet das Album mit frühen Einspielungen Georg Soltis. Er war ein wunderbarer Pianist, Georg Kulenkampff – trotz mancher Sprödigkeiten und Ecken –ein nicht minder erfreulicher Geiger. Intensiv, drängend werden die drei Brahms-Sonaten gegeben, das Schönste freilich geschieht im Variations-Mittelsatz aus Beethovens Kreutzer-Sonate. Rein musikalisch war Solti für mich immer schon ein besserer Pianist als Dirigent, was das hier zu Hörende unterstreicht: hart, grell, schroff zupackend, dabei – in teils frappierend präsentem Klangbild – immer ein respektgebietender Praktiker des Taktstocks. Im Beethoven-Konzert schafft Solti die solide Folie für die glitzernden Mätzchen von Mischa Elman, der mit unsäglich zerfahrenen Kadenzen aufwartet.

Bleibt Wilhelm Furtwängler. Etwas Neues lässt sich über ihn nicht feststellen. Dem Kenner sind alle hier versammelten Aufnahmen – wenngleich zuletzt nicht im Katalog – geläufig. Der Klang ist sehr historisch. Dringt man hinter diese wenig einladende grobstoffliche Schicht, so öffnen sich Welten. Das mitreißend Spontane, im besten Sinne Improvisatorische ist unwiderstehlich. Mit objektiver Distanz ist hier nichts zu holen. Es ist eine Welt elementarer Prozesse. Furtwänglers Vitalität, seine unerschöpfliche Potenz, zugleich die Fähigkeit, das Angestoßene weiterwirken zu lassen in einem unablässigen Geben und Nehmen – das ist unübertroffen und unverwechselbar. Dass dem, der mit einem solchen Risiko lebt, nicht alles gelingen kann, dass er sich nicht mit der Frage nach Perfektion als Selbstzweck befassen würde –wen soll das noch wundern? Von Glätte keine Spur. Hier – soviel kann man trotz des verstaubten, undifferenzierten Klangbilds mitvollziehen –, hier ist die Musik das wirkliche Leben. Ein Mythos aus triftigsten Gründen.

Christoph Schlüren

  • Wilhelm Furtwängler dirigiert: Beethoven (7. Symphonie, Leonore III), Schubert (Symphonie h-Moll), Schumann (Manfred-Ouvertüre), Brahms (2. Symphonie, Haydn-Variationen), Tschaikowsky (6. Symphonie), Franck (Symphonie), Wagner (5 Orchesterstücke), Strauss (Don Juan), Hindemith (Symphonische Metamorphosen), Ravel (Rhapsodie espagnole); Berliner Philh., Wiener Philh.; DG 474030-2 (6 CDs).
  • Eduard van Beinum dirigiert: Mozart (Symphonie KV 385), Beethoven (Geschöpfe des Prometheus), Brahms (1. Symphonie), Berlioz (Symphonie fantastique etc.), Schubert (4. Symphonie etc.), Pijper (3. Symphonie), Rossini (4 Ouvertüren), Lalo (Symphonie espagnole mit Alfredo Campoli, Vl.), Diepenbrock, Mendelssohn; Concertgebouw Ork., London Philharmonic Orchestra; Decca 473110-2 (5 CDs).
  • Josef Krips dirigiert: Mozart (Symphonien KV 297, 543, 550, 551), Schubert (Symphonie h-Moll), Schumann (4. Symphonie), Brahms (4. Symphonie), Dvorák (Cellokonzert mit Zara Nelsova), Tschaikowsky (5. Symphonie), Beethoven (Ah! Perfido), Strauss (Salome-Schlussszene); Inge Borkh (Sopran), London Symph. Orch., Wiener Philh., Israel Philh.; Decca 473121-2 (5 CDs).
  • Georg Solti dirigiert und spielt Klavier: Beethoven („Kreutzer“-Sonate, Violinkonzert), Brahms (Violinsonaten Nr. 1-3), Schubert (5. Symphonie), Bartók (Tanz-Suite, Musik für Saiteninstrumente), Kodály (Hary János-Suite), Strauss (aus Elektra); Georg Kulenkampff und Mischa Elman (Violine), Christel Goltz (Elektra), Elisabeth Höngen (Klytämnestra), Ferdinand Frantz (Orest), London Philharmonic Orch., Bayer. Staatsorch., Israel Philh.; Decca 473127-2 (4 CDs).
  • Janácek Quartett: Haydn (4 Quartette), Mozart (KV 387), Beethoven (Opus 59 Nr. 2), Mendelssohn (Oktett mit dem Smetana Quartett), Smetana (1. Quartett), Brahms (Klavierquintett), Dvorák (Klavierquintett op. 81, Quartette op. 34, 51, 96 und 105), Janácek (2. Quartett); Eva Bernáthová (Klavier); DG 474010-2 (7 CDs).
  • Arthur Grumiaux (Violine): Mozart (6 Konzerte), Mendelssohn (Konzert op. 64), Lalo (Symphonie espagnole), Paganini (4. Konzert d-moll etc.), Chausson (Poème), Ravel, Saint-Saëns, Debussy, Fauré, Sarasate, Granados, Albéniz, Fiocco; István Hajdu (Klavier), div. Orch., B. Paumgartner, R. Moralt, J. Fournet, F. Gallini; Decca 473104-2 (5 CDs).
  • Clifford Curzon (Klavier): Schubert (4 Impromptus DV 935, Sonate DV 850), Mozart (Konzerte KV 488 und 595), Beethoven (5. Konzert), Tschaikowsky (1. Konzert), Franck (Symphonische Variationen), Falla (Nächte in span. Gärten), Rawsthorne (2. Konzert), Litolff (Scherzo); div. Orch., George Szell, Adrian Boult, Enrique Jorda, Malcolm Sargent; Decca 473116-2 (4 CDs).
  • Wilhelm Kempff (Klavier): Mozart (Konzerte KV 271 und 450), Beethoven (Konzerte Nr. 1-5), Schumann (Konzert), Brahms (1. Konzert), Liszt (Konzerte Nr. 1 und 2); div. Orch., P. van Kempen, F. Konwitschny, J. Krips, A. Fistoulari, K. Münchinger; DG 474024-2 (5 CDs).

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