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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 35
52. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Traumpassage mit Sprüngen
Oper „die schöne wunde“ von Georg Friedrich Haas in Bregenz
Der österreichische Georg Friedrich Haas (geboren in Graz 1953) ist
einer der markantesten Komponisten der Gegenwart, der mit neugierigem Intellekt
und in den letzten Jahren spürbar wachsender sinnlicher Energie unermüdlich
schöpferisch tätig ist (auch in Donaueschingen steht in diesem Jahr
noch ein Orchesterwerk zu Uraufführung an: „natures mortes“).
Wie von unwiderstehlicher Energie fühlte er sich schon immer zum Nächtlichen
hingezogen. „Nacht“ hieß denn auch sein Opernerstling über
Hölderlin, der wie nun die neue Oper „die schöne wunde“
ebenfalls in Bregenz (1996, szenisch 1998) uraufgeführt wurde. Nacht
und Dunkelheit beherrschte fortan noch intensiver sein Denken, seine Musik
sollte zum Beispiel passagenweise in völliger Dunkelheit gespielt und
gehört werden, so etwa „in vain“ für Instrumente und
Lichtstimme oder das 3. Streichquartett „In iij. Noct“, das 2002
in unterirdischen Gewölben der südtiroler Franzensfeste aufgeführt
wurde.
Vokalensemble
NOVA in labyrinthischer Szenerie. Foto: Forster
So war es nur konsequent, dass Haas sich nun den literarischen Alptraumsequenzen
von Franz Kafkas „Der Landarzt“ und Edgar Allan Poes „Grube
und Pendel“ zuwandte: Hier die direkte, wenn auch anfangs nur schemenhaft
ausmachbare Bedrohung durch das sich schwingend niedersenkende, zum Messer
geschliffenen Pendel, im „Landarzt“ die lauernde Gefahr, die trotz
aller Rationalität der Erzählung sich immer zäher um den nächtlich
zu einem todeswunden Patienten gerufenen Doktor legt. Strukturelle Ähnlichkeiten
der beiden Texte regten Haas an, sie ineinander zu verschlingen, gewissermaßen
als gedoppelte Traumpassage mit Sprüngen und sich wuchernd ausbreitenden
Assoziationen. Dazu dienten denn auch die dazwischen geschobenen Tableaux
vivants: Bilder mit Passagen aus Shakespeares „Romeo und Julia“,
aus einem Brief Rosa Luxemburgs, die aus der Gefangenschaft heraus zornig
zum befreiten Leben aufruft, aus einem pornographischen Renaissancetext Aretins,
aus dem Hohelied Salomons oder auch aus der „Philemon und Baucis“-Erzählung
Ovids. Traum als Angstverarbeitung wandelt sich hier zum Träger offener
oder geheimer Wünsche, hin zum Obszönen, zur erfüllten Liebe,
zur Projektion von Glück.
Das klingt überzeugend, war aber gleichwohl die Schwachstelle des neuen
Stücks. Daran Anteil hatte eine nicht stattfindende Regie, Hermann Feuchtner
und Wolfgang Göbbel hatten sich ihren Kenntnissen und Fähigkeiten
entsprechend auf szenische Rauminstallation und Licht Design zurückgezogen.
Bebildern kann man freilich diesen vom Komponisten selbst zusammengestellten
Text nicht, Feuchtner und Göbbel aber fühlten sich, offenbar um
ein Vakuum aufzufüllen, immer wieder bemüßigt, die Protagonisten
in Elends- und Leidens-Stereotypien über die schräg nach hinten
angehobene Bühne aus geometrischen Laufstegen und knie- bis hüfthoch
eingelassenen Gängen zu schleppen. Das wirkte einfach arm, konkretisierte
das Unkonkrete auf falsche Art. Kafkas Gestalten, fast alle bislang entstandenen
Kafka-Opern von Aribert Reimann („Schloss“) bis zurück zu
von Einem („Prozess“) bezeugen dies, sperren sich einer Bühnenwirklichkeit.
Ihre Existenz braucht die Ratio der Prosa, die alle Begleitumstände analytisch
beleuchtet, die Gestalt aber ganz im Ungewissen belässt. Ist sie aber
auf der Bühne da – und das Liberetto von Haas tut nichts dagegen,
sondern belässt es deckungsgleich bei Kafkas Ich-Erzählung mit der
Aufforderung zum Nachspielen –, dann werden die Personen zur schlechten
Konkretheit. Ganz ähnlich ist es mit dem Gefangenen in Poes ebenfalls
in Ich-Form gehaltener Erzählung. Sieht man die gefesselt leidende, von
Ratten umlagerte und vom Pendel bedrohte Gestalt, sieht man sie sich angstvoll
winden, dann ist die weit tiefere, im Unbewussten grabende Traumangst passé.
Haas weiß das wohl, aber sein Libretto und über Passagen auch die
musikalische Umsetzung im Opern-Erzählton schaffen auch für künftige
Inszenierungen kaum Barrieren gegen solche das Ungewisse ins eindimensional
Gewisse zerrenden Regieansätze. Das Scheitern der Regie wurzelte in der
dramaturgischen Anlage, der zusätzlich noch das wenig zwingende, fast
gesucht zitatartige des Zusammenbindens verschiedener Literaturvorlagen anzulasten
wäre – denn die irreale Sprunghaftigkeit verwirrter Traumzustände
vermochte das Libretto dann auch wieder nicht nachzuzeichnen.
Gleichwohl wurde die Aufführung zum Erfolg. Das lag an der Musik und
an ihrer grandiosen Umsetzung durch das Klangforum Wien und das Vokalensemble
NOVA unter dem Dirigenten Sylvain Cambreling. Haas gelang es, immer wieder
die Musik faszinierend zu konzentrierten, soghaft vereinnahmenden Sequenzen
zu verdichten. Viel hat er sich in all seinen Arbeiten mit Aspekten der Mikrotonalität
befasst und Haas verfügt über ein ungemein breites Spektrum klanglich
suggestiver Möglichkeiten. Eine Idee, bei aller collagenartig von Schönklangtonalität,
verschobenem Dreiklangseuphorismus bis zu herb rüder Schichtung verwobenen
Anlage, beherrscht nachdrücklich die ganze, zweieinhalbstündige
Oper: das sirrend schwingende Geräusch des immer bedrohlicher sich nähernden
Pendels.
Hier, in genauer orchestraler Ausformung, entstand solch ein unausweichlicher
Sog, der sich wie immer wiederkehrende Wogen über das vom Orchester räumlich
umlagerte Publikum stülpte. Dass Entkommen nicht möglich ist, dass
wir eingeschnürt sind in immer vergeblichere Hoffnungen, denen unsere
Existenz immer weniger Raum gewährt, wurde drastisch zwingend erfahrbar.
Gerne blendete man hier die szenischen und dramaturgischen Unzulänglichkeiten
weg und überließ sich dem erschütternd und sensibel zugleich
ausformulierten Klang. Georg Friedrich Haas hat Musik auf einem Niveau geschrieben,
das alles Bisherige von ihm wohl übertrifft. Lockerheit der Mittel griff
Hand in Hand mit erfüllter Tiefe umlagernder Bedrohung. Großartig
reihten sich die Solisten ein: Und wenn man Georg Nigl (Gefangener), Melanie
Walz (Sopran in diversen Rollen) oder den Countertenor Kai Wessel hervorhebt,
dann nur, weil ihnen vielleicht noch dringlichere, ja hautnähere Identifikation
mit dem musikalischen Verlauf gelang. Doch wie gesagt: Die Aufführung
befand sich auf einem Niveau, von der andere Opernfestspiel-Projekte oft nur
träumen können. Die Musik von Georg Friedrich Haas lieferte hierfür
eine profund animierende, zu extremer Leistung anstachelnde Basis. Und Gottseidank
ist immer noch die Musik die fundamentale und letzte Instanz der Oper.