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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 40
52. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Wie die Bildnis-Arie zur Aria of the Photo Book wird
Menuhin Festival Gstaad: Jazzoper „The Magic of a Flute“ von
George Gruntz uraufgeführt
Jazz kann heute jede Emotion besetzen. Deshalb kann Jazz alles, auch Oper!
Der das postuliert, ist kein geringerer als George Gruntz, einer der wenigen
auch in den Vereinigten Staaten anerkannten Jazzer aus Europa. In den ersten
Tagen des August brachte Gruntz zusammen mit der NDR Big Band sowie acht improvisierenden
Sängern die Jazzoper „The Magic of a Flute“ im mondänen
Schweizer Ferienort Gstaad zur Uraufführung. Die deutsche Premiere folgte
drei Tage später in Hamburg.
Obwohl sich Gruntz nach eigenem Bekunden nicht für Oper interessiert
(O-Ton: „Das Opernpublikum wäre besser bei James Last aufgehoben.“),
beschäftigt ihn das Musikdrama spätestens seit seiner Zeit als musikalischer
Leiter am Zürcher Schauspielhaus (1970 bis 1984). „The magic of
a Flute“ ist bereits seine dritte Jazzoper: 1982 debütierte er
am am New Yorker Off-Broadway Theater La Mama Ect. mit der „World Jazz
Opera“ und 1988 wurde „Cosmopolitan Greetings“ – eine
Gemeinschaftsproduktion mit Allen Ginsberg, Robert Wilson und Rolf Liebermann
– an der Hamburger Staatsoper uraufgeführt. Sein neuestes Musiktheater,
das jetzt in Gstaad und Hamburg konzertant aufgeführt wurde, hat eine
ganz eigene – und bereits ziemlich lange – Vita. Während
Gruntz die Musik erst in den vergangenen neun Monaten schrieb, stammt die
ursprüngliche Idee aus den Siebzigern. Rolf Liebermann, damals Intendant
der Hamburger Oper, hatte Musik und Libretto für eine Jazzoper bei George
Gruntz und Peter O. Chotjewitz in Auftrag gegeben. Chotjewitz verfasste von
den einzelnen Akten der Zauberflöte Synopsen, diese im Gepäck flog
Gruntz nach Greenwich Village NY, um in der dort für Furore sorgenden
Slam Poetry Szene einen Autor fürs Libretto zu „entdecken“.
Drei Monate quartierten sich Gruntz und seine Frau in New York ein und betrieben
poetische Feldforschungen. Das Resultat war, dass Gruntz nicht einen sondern
elf Autoren für seine Arien fand, neun davon wurden jetzt, drei Jahrzehnte
später tatsächlich von ihm vertont.
Wie fand nun das Projekt den Weg aus den Lofts und Künstlerkneipen von
Greenwich Village in das 1.800 Plätze fassende Zelt des Yehudi Menuhin
Festivals in Gstaad. Zunächst einmal gelang es Liebermann in seiner Hamburger
Zeit nicht mehr, die Jazzoper auf die Bühne zu bringen, eine Verzögerung
nach der anderen folgte, 30 Jahre gingen ins Land. Inzwischen war Rolf Liebermann
gestorben, George Gruntz hatte noch wenige Tage vor dessen Tod Anfang 1999
und in der Anwesenheit von Liebermann dessen „Concerto for Jazz Band
and Symphony Orchestra“ aufgeführt.
Doch „The Magic of a Flute“ blieb in der Versenkung, bis George
Gruntz 2002, in seinem 70. Lebensjahr, zum Composer in residence des Yehudi
Menuhin Festivals berufen wurde. Dies war nicht nur eine Ehrung für einen
bedeutenden Schweizer Komponisten, Interpreten und Musikimpresario, sondern
auch ein Zeichen, unter dem Label „21. Century Renaissance“ der
Gegenwartsmusik und deren Anhängerschaft im etwas museal gewordenen Nobelfestival
einen festen Platz zu verschaffen. Für die Saison 2003 gaben das Menuhin
Festival Gstaad und sein neuer künstlerischer Leiter N. F. Müller
die Jazzoper „The Magic of a Flute“ bei Gruntz in Auftrag.
„The Magic of a Flute“ war im Festival einen Tag vor einer konzertanten
„Zauberflöte“ mit Solisten hauptsächlich aus dem Zürcher
Opernhaus und dem Kammerorchester Basel unter David Stern programmiert. Doch
außer einer kurzen Passage mit Alt-Blockflöte findet sich kaum
noch ein Bezug zur Vorlage. Das rührt daher, dass die Libretto-Autoren
von Chotjewitz zwar eine Synopsis der Handlung bekamen, jedoch ohne Hinweis
darauf, dass es sich um die „Zauberflöte“ handelt. Die einzelnen
Arien untertitelte Gruntz nachträglich mit original Zauberflöten-Arien:
Aus der „Bildnis-Arie“ wird die „Aria of the Photo Book“,
aus „Der Vogelfänger bin ich ja“ wird ein „Son of the
Junk Man“, aus „In diesen heiligen Hallen“ „Humanity
& Love“, oder aus „Ein Mädchen oder Weibchen“ „My
Father tried to buy Happiness with Money“.
Peter O. Chotjewitz konzipierte vor drei Jahrzehnten eine moderne Paraphrase
auf die „Zauberflöte“: Es geht um Macht, Erotik, Homo- und
Bisexualität. All das glaubte Chotjewitz auch bei seinem Quellenstudium
in Schikaneders Text verschlüsselt vorgefunden zu haben. Die Sprache
der Arientexte ist entsprechend eindeutig. Diese Feier von Körperkult,
Sexus und Sinnlichkeit, die den Librettisten in den Siebziger Jahren so durch
Kopf und Bauch ging, die ist im Jahr 2003 – zeitgleich zum Festival
in Gstaad – höchst lebendig bei der Street-Parade in Zürich
zelebriert worden, die mit dem Versprechen von Love and Dance (nur leider
ohne Swing) beinahe eine Million Teilnehmer anlockte.
Die Handlung von „The Magic of a flute“ ist ähnlich krude
wie die in Schikaneders Libretto: zudem wartet die Jazzoper noch auf den Regisseur,
der sie dramaturgisch anspruchsvoll in Szene setzt. Ohne Bühnengeschehen
treiben allein die dynamische Musik von George Gruntz – die allerdings
für ein Singspiel zu komplex ist und manchen der Festivalgäste erstmals
mit modernem Jazz konfrontierte – sowie die Virtuosität und Persönlichkeit
von Sängern und Intrumentalisten die Handlung voran. Hervorzuheben ist
hier vor allem Marcelino Feliciano in der Rolle des Pep (wie der Name so die
Interpretation!), Lauren Newton als neurotisch-virtuose Pamina und Ian Shaw
als lyrischer Jazz-Tenor. Jedem der Gesangssolisten hatte Gruntz die Musik
auf den Leib geschrieben, nach der Devise: Zuerst der Interpret, dann die
Musik. Im Jazz, wo Gesangskunst viel mehr von der Individualität der
Sänger lebt, ist das von zentraler Bedeutung. Namen wie Mark Murphy,
Renée Manning stehen hier bereits für eine ganze Empfindungswelt.
Und wenn Sandie Wollasch und Yvonne Moore, beide in der Rolle von Edel-Prostituierten,
ihre jeweiligen Temperamente ausspielen, dann wird die konzertante Aufführung
für kurze Zeit zu einer szenischen.
Die unterschiedlichen Charaktere der Story boten Gruntz Gelegenheit, seine
Vielseitigkeit und vor allem seine nach wie vor ungebrochene Vitalität
unter Beweis zu stellen. Der Komponist griff nicht auf die kostspieligen amerikanischen
Musiker seiner George Gruntz Concert Jazz Band zurück, sondern hatte
die NDR Big Band engagiert. Die führten wieder einmal vor, dass sie nicht
nur einstimmige Big Band, sondern auch eine Band der Solisten sind.
Jazz kann auch Oper, man will George Gruntz da nicht widersprechen. Doch
bei aller Faszination: Ihren Weg auf die Opern- und Schauspielbühnen
muss die dritte Jazzoper von Gruntz noch machen – erst in einer szenischen
Version wird sie wirklich zeigen, was Jazz kann.