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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 37
52. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Dem Sieg auf die Sprünge helfen müssen die Männer
Es muss Shakespeare oder Liebe sein: Das „Sommernachtstraum“-Musical
im Herrenhäuser Gartentheater
Populär war Shakespeares „Sommernachtstraum“ in Hannover
schon lange. In diesem Sommer wurde er auch poppig. Seit fast einem halben
Jahrhundert zeigt die Landesbühne Hannover das Liebes-Verwirrspiel regelmäßig
im Herrenhäuser Gartentheater. In diesem Sommer zeigte es sich in ganz
neuem (Klang-)Kostüm: als Musical-Uraufführung, bei der Hausherr
Gerhard Weber selbst Regie führte.
Deutsch-Rocker Heinz Rudolf Kunze sorgte nicht nur für Songtexte, sondern
auch für eine frisch-frech-freie Neuübersetzung, sein langjähriger
Musikpartner Heiner Lürig unterlegte die Verse mit einer Musik, die schnell
ins Ohr und meist auch in die Beine geht. Und dass beide auf einen ihrer großen
Hits zurückgreifen („Dein ist mein ganzes Herz“), das ist
erlaubt und branchenüblich – was wäre Jim Steinmans Musical
„Tanz der Vampire“ ohne dessen Mega-Hit „Total Eclipse of
the Heart“?
V.l.n.r.:
Regisseur und Intendant Gerhard Weber, Komponist Heiner Lürig
und Heinz Rudolf Kunze. Foto: Landesbühne Hannover
Der studierte Deutschlehrer und erfahrene Musical-Übersetzer Kunze hat
die Handlung rabiat gestrafft und teilweise in die Songtexte verlegt. Das
ist auch nötig, wenn man die Geschichte in zwei Stunden (plus Pause)
erzählen will. Schließlich sind da drei Handlungsebenen zu beschreiben:
die höfische Welt rund um Herzog Theseus, die hier einer Schickimicki-Partygesellschaft
gleicht (Bühnenbild: Manfred Breitenfellner), die Laienspielbühne
der Handwerker und das Elfenreich, das ein bisschen aussieht, als wäre
es vom hiesigen Kleinkunstfest im Großen Garten übrig geblieben
(Ausstattung: Petra Beyer).
Kunze kalauert sich durch die neuere Popgeschichte, er greift dankbar die
Steilvorlagen auf, die ihm die Tatsache liefert, dass im Handwerker-Spiel
eine Mauer eine tragende Rolle spielt. Man muss schon sehr verknöchert
sein, um sich über die „Phallhöhe“ mancher Sprachabstürze
zu empören. Aber wer will widersprechen, wenn die beiden Jünglinge
Lysander und Demetrius die Erkenntnis anstimmen: „Alle Frauen wollen
nur das eine: Einen Mann fürs Leben an der Leine. Alle Männer halten
sich für schlau – and the winner is – na klar, die Frau.“
Dem Sieg auf die Sprünge helfen, müssen – Shakespeare sei
Dank – aber doch die Männer: Herzog Theseus mit Gnadenerweis und
Heiratserlaubnis für die jungen Liebenden, Elfenkönig Oberon mit
seinem Blumensaftzauber und dessen Handlanger Puck. Der ist in der hannoverschen
Uraufführung nur bedingt männlich: Jens Krause ist eher Hermaphrodit,
Narziss und virtuoser Selbstdarsteller – er wirbelt sich in die Herzen
der Zuschauer.
Was Kunze und Lürig den jungen Liebenden in den Mund legen, ist griffig
und pfiffig: Ihr „Streitquartett“ hat dezente Ohrwurmqualität,
zumal Mirja Regensburg als Helena Power zeigt, Simone Arntz als Hermia selbstbewusst
dagegensetzt. Die beiden Jünglinge Lysander (Kristoffer Nowa) und Demetrius
(Daniel Brockhaus) sorgen für den gesungenen Kontrapunkt. Michael Ophelders
und Sabine Brandauer verkörpern in Doppelrollen das Herrscherpaar in
Athen und im Feenreich, er hat die dankbarere Gesangspartie, sie hält
selbstbewusst dagegen.
Es gibt viele Rollen in diesem sommernächtlichen Liebesspiel um Lug
und Trug, zwei davon sind eine sichere Bank für jeden Interpreten: Wer
als Puck oder als Handwerker Bottich (andere Übersetzer machen aus Mr.
Bottom Herrn Zettel) nicht „abräumt“, sollte über einen
Berufswechsel nachdenken. Kein Thema für Gunther Nickles, der auch abgehangene
Gags lebendig macht. Aber wenn die Handwerker dann die „Shakespeare-Version“
des Kunze-Hits „Dein ist mein ganzes Herz“ anstimmen, dann sind
alle kleineren Einwände vergessen.
Das letzte Wort aber hat Puck: „Einmal endet jeder Spuk. Er wünscht
allen gute Nacht, und dass ihr als Letzte lacht“. Das ließen sich
die Besucher der Uraufführung nicht zweimal sagen: großer Jubel,
Standing Ovations. Und ein ausverkauftes Haus den ganzen Sommer über.
Im nächsten Jahr wird weiter gesungen.