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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 38
52. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Musikalisch faszinierend, szenisch anspruchslos
Wagners „Rienzi“ bei den Antikenfestspielen in Trier
Wagners „Rienzi“ ist eine Rarität auf der Bühne. Nicht
nur, weil Wagner selbst seinem Frühwerk später ausgesprochen distanziert
gegenüberstand, nicht nur, weil die Anforderungen außerordentlich
sind, sondern auch, weil das Werk zu den Lieblingsopern Adolf Hitlers gehörte,
der sich in der Figur des selbst ernannten Volkstribunen und charismatischen
Führers Cola di Rienzi wiederzuerkennen glaubte. „In jener Stunde
begann es“, gestand einst Hitler in Erinnerung an eine Linzer „Rienzi“-Aufführung
seinem Jugendfreund August Kubizek. Ein aufmerksamer Leser des „Rienzi“-Textbuches
könnte zu dem ebenso kuriosen wie makaberen Schluss kommen, dass Hitler
im Wesentlichen die Karriere des Opern-„Rienzi“ nachgespielt habe
– bis hin zur endlichen „Götterdämmerung“ im brennenden
Kapitol.
Dass eine Aufführung, zumal unter freiem Himmel, diesen Kontext reflektieren
müsse, wird man nicht unbedingt verlangen. Auch dass es von Friedrich
Engels einen Dramenentwurf „Cola di Rienzi“ gibt, muss man in
der Geburtsstadt von Karl Marx nicht unbedingt wissen. Dass aber das politische
Kräftespiel zwischen Volk, Adel und Kirche, dass Rienzi an die Staatsspitze
befördert und am Ende zugrunde gehen lässt, deutlich wird, darf
man erwarten. Und schön wäre es zu wissen, ob dieses Wagner’sche
Jugendwerk uns in dieser Hinsicht heute noch etwas zu sagen hat.
Bei den diesjährigen Antikenfestspielen spielt man in Trier wieder im
Amphitheater. Eine runde Scheibe mit zwei angedeuteten Portalen auf dem Nordhang
dient Ausstatter Pet Halmen als Bühne, das Publikum sitzt im Inneren
des Geländes auf einer konstruierten Bühne und blickt auf die römischen
Relikte – atmosphärisch wie inhaltlich keine schlechte Lösung,
denn auch der mittelalterliche Rienzi bewegte sich schon über klassischen
Ruinen. Die vorhandenen und konstruierten Wege auf dem Gelände nutzt
Regisseur Heinz Lukas-Kindermann für optisch reizvolle, im Falle der
Blechbläser-Seitenbühne akustisch freilich etwas heikle Wirkungen.
Stimmungsvoll ist die bei Eintritt der Dunkelheit mit Fackeln erhellte Szenerie
ohne Frage; Unruhen und Kriegshandlungen werden atmosphärisch deutlich.
Wer aber mit wem und warum kämpft, wird nicht klar. Pet Halmens dunkle
Einheitskleidung macht keine Unterschiede zwischen den Adelsfraktionen; und
nur das rechte der beiden Portale lässt sich überhaupt öffnen
und dient nun im raschen Wechsel als Stadttor, Eingang zur Laterankirche und
Haustür des Rienzi. Reviere im politischen Machtkampf oder charakteristische
Wege sind hier nicht auszumachen. Die Darsteller beschränken sich auf
konventionelle Operngestik und die dramatische Zuspitzung zum Ende hin bleibt
in Entwicklung und Ergebnis unklar. John Horton Murray als Rienzi begann sicher,
verlor aber zunehmend an stimmlicher Spannkraft und Ausstrahlung. Die weit
ausschwingenden Melodien des berühmten Gebetes im 5. Akt vermochte er
dem Orchester nicht mehr bruchlos nachzusingen. Nancy Gustafson sang die Irene
ansprechend, aber mit wenig Aussagekraft. In der Hosenrolle des zwischen den
Fronten hin- und hergerissenen Adriano überzeugte Chariklia Mavropoulou.
Markantes Profil entwickelten Peter Koppelmann und Andreas Scheel in den Nebenrollen
des Baroncelli und Cecco del Vecchio. Der stark geforderte Festspielchor zeigte
mitunter Schwächen in der Höhe. Erfreulich war insgesamt die Textverständlichkeit.
Ohne Einschränkung beeindruckend geriet die Leistung des Orchesters.
Erstmals wirkten das Orchestre Symphonique et Lyrique de Nancy et de Lorraine
aus dem benachbarten Frankreich und das Städtische Orchester Trier zusammen.
Dass hieraus ein bruchloser, homogener Klangkörper entstand, ist keine
Selbstverständlichkeit. Sebastian Lang-Lessing, musikalischer Direktor
des Nancyer Orchesters, dirigiert präzise, beschwingt und mit wachem
Gespür für dramatische und lyrische Momente. Selbst bei szenischem
Leerlauf lässt diese Musik keine Langweile aufkommen. Und es ist faszinierend
zu hören, wie viele großartige Melodien und spannende Ensembles
in dieser Partitur stecken, wie stark die französische „grande
opéra“ die Musik geprägt hat und wie nahe Wagner hier seinem
späteren Antipoden Verdi ist. Schade nur, dass man in Trier bei den Antikenfestspielen
bislang einen so niedrigen Anspruch an die Inszenierung stellt!