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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 49-50
52. Jahrgang | September
Dossier: Der differenzierte Musikurheber
Ende der Träumer
Verschläft die E-Musik die Zukunft der GEMA? Von Moritz Eggert
„Was passiert eigentlich bei der GEMA?“, mögen sich viele
fragen, die die Entwicklungen der letzten Wochen mitverfolgt haben. Irgendetwas
geht vor, doch keiner weiß so recht was. Die Fakten sind klar: Ein neuer
Aufsichtsrat wurde gewählt, dessen Mitglieder allesamt der U-Musik zuzurechnen
sind (Enjott Schneider ist als Einziger auch in der E-Musik tätig). Die
E-Musik ist nur noch als Stellvertreter dabei, repräsentiert durch Wolfgang
Rihm (der vorher zusammen mit Karl-Heinz Wahren und Wilfried Kraetzschmar
ordentliche Aufsichtsratsmitglied war).
In den Jahren davor war bei den Aufsichtsratswahlen von einem Gewohnheitsrecht
Gebrauch gemacht worden, das dafür sorgte, dass die sechs Aufsichtsratsmitglieder
immer zu gleichen Teilen U und E angehörten (drei und drei). Durch eine
eilig eingeschobene Abstimmung wurde dieses Recht gekippt und der Thronsturz
zu Ungunsten der E-Musik konnte gelingen.
Wie sich dies auf die ohnehin schon immer schwierigere Stellung der E-Musik
in der GEMA auswirken wird, bleibt abzuwarten. Man mag hoffen, dass der neue
Aufsichtsrat im Interesse aller handelt, dennoch kommt man nicht umhin zu
befürchten, dass hier keine Lanze für die E-Musik gebrochen werden
wird, gehört doch ein Großteil des Aufsichtsrat dem „Composer’s
Club“ an, einem Verein, der vor allem die Interessen von Fernseh- und
Werbekomponisten vertritt. Wer bei der Wahl als E-Komponist dabei war (und
sich mit zirka 20 weiteren Anwesenden deutlich in der Minderheit gegenüber
mehr als 200 U-Kollegen befand) und die perfekt vorbereitete Inszenierung
der Wahl durch den „Composer’s Club“ beboachtete, konnte
sich zumindest eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Die E-Komponisten,
die sich meistens vollauf ihren Werken oder ihrer Lehrtätigkeit widmen,
haben diese Sitzung schlicht und einfach verschlafen. Viel schlimmer noch:
Den meisten Komponisten ist überhaupt nicht klar, dass überhaupt
eine Gefahr für die E-Musik besteht. Für sie ist die GEMA eine jährliche
Geldüberweisung, die sie nicht ganz verstehen und meistens für zu
gering halten. Dass die GEMA eine bedeutende Rolle im deutschen Musikleben
spielt, ist den meisten nicht bewusst. Denn die GEMA ist eine gerne missverstandene
Institution, die Gutes für möglichst viele will, aber selten dafür
geliebt wird. Zuallererst muss man verstehen, dass die GEMA jedes musikalische
geistige Eigentum gleichermaßen schützt, sei es U- oder E. Warum
diese Definitionstrennung, die immer wieder gerne kritisiert wird, in der
Satzung existiert, hat mit dem Selbstverständnis der GEMA zu tun: Die
E-Musik an sich wird von der GEMA im Sinne eines Kulturauftrages als förderungswürdig
erachtet, ihr nichtkommerzieller Grundcharakter damit anerkannt.
Daher wird die „Ernste“- Musik mit einem kleinen Ausschüttungszuschuss
unterstützt, der das weit geringere Aufkommen der E-Musik gegenüber
der U-Musik ein wenig ausgleichen soll. Das bedeutet, dass zum Beispiel die
Radioausstrahlung einer neuen Symphonie von Hans Werner Henze, an der dieser
wohl um die zwei Jahre gearbeitet hat, mehr GEMA-Tantiemen für diesen
bedeutet, als dieselbe Sendezeit in Pop- Songs von Dieter Bohlen, eben weil
Henzes Werk „E“ und Bohlens Musik „U“ ist.
Wir verstehen alle intuitiv, warum das Sinn macht, und dennoch ist es sehr
schwer, es in eine gültige Definition zu fassen, die nicht eine der beiden
Seiten zu Unrecht diskreditiert. Tatsache ist, dass die U-Musik mehr als 95
Prozent des GEMA-Aufkommens ausmacht, Tendenz trotz diverser Krisen der Plattenindustrie
steigend, da die multimediale Verwertung von Musik immer größere
Ausmaße annimmt. Die E-Musik wird mit diesem Aufkommen niemals konkurrieren
können. Vielleicht ist das auch gut so, denn künstlerische Freiheit
muss in gewisser Weise vom reinen Kommerzdenken unabhängig sein. Nur
dann gibt es die Möglichkeit, Entdeckungen zu machen, die vielleicht
erst viel später den Status des „Populären“ erlangen,
dafür aber um so dauerhafter. (Es ist kein Zufall, dass sich ganz Europa
leicht auf Beethovens Neunte als Hymne einigen kann, schwieriger wäre
es gewesen, hierfür einen Wiener Gassenhauer aus dem frühen 19.
Jahrhundert zu bestimmen.) Die E-Musik ist immer mehr ein reines Konzerterlebnis
(hier waren in den letzten Jahrzehnten sogar relative Steigerungen des Aufkommens
zu beobachten) und ist in den Medien Radio und Fernsehen fast nicht mehr existent,
was mit dem verschwindenden Kulturauftragsbewusstsein der öffentlich-rechtlichen
Institutionen zu tun hat. Dieter Bohlen hat also an reiner (momentaner) Hörpräsenz
die Nase deutlich vorn.
Um dies auszugleichen, wird ein kleiner Teil des riesigen Topfes „U“
an die „E“-Musik umgeleitet. Dies betrifft nun kaum den Jazz-Musiker
aus der Kneipe um die Ecke, dessen Ausschüttung hiervon effektiv nicht
beeinträchtigt wird; allein die Großverdiener der U-Musik mögen
sich ärgern, dass ihnen hier ein Sümmchen abgeht, auch wenn es letztlich
bei ihrem Umsatz nicht ins Gewicht fällt.
Dieser Zustand wird natürlich von den U-Komponisten kritisch beäugt
– „Warum sollen E-Komponisten mehr bekommen, wenn sie denn keiner
hören will?“ ist eines der häufigsten Argumente. Die Antwort
hierauf ist einfach: Die E-Musik bekommt NICHT mehr als die U-Musik, sondern
viel, viel weniger. In beiden Branchen – U und E – gibt es weniger
und mehr erfolgreiche Komponisten. Die finanzielle Realität für
junge E-Komponisten, die sich mühsam von Aufführung zu Aufführung
hangeln, unterscheidet sich letztlich nicht von der der jungen Garagenband
mit einer Handvoll Auftritten im Jahr. Beide werden durch die GEMA nicht reich,
das ist sicher. Wenn wir nun aber auf der Erfolgsleiter nach oben gehen, wird
die finanzielle Schere immer weiter – zugunsten der U-Musik, nicht der
E-Musik wohlgemerkt. Erfolgskomponisten wie etwa Wolfgang Rihm haben sicherlich
kein schlechtes GEMA-Aufkommen, wenn man aber weiß, dass der Jingle-Komponist
von „Nullhundertneuuuuunzig“ ein Vielfaches von ihm verdient,
kann man sich den Neid hierüber leicht verkneifen. Kurz gesagt: Dass
die GEMA der E-Musik einen gewissen Sonderstatus zubilligt, ist ein Zustand,
der der U-Musik im Ganzen definitiv nicht schadet, der E-Musik aber eine wertvolle
Hilfe leistet. Das versteht jeder, der sich zum Beispiel die Entwicklung der
Auftragshonorare für E-Komponisten in den letzten Jahren angeschaut hat.
Gerade im Bereich Kammermusik ist der Begriff „Auftragshonorar“
inzwischen quasi ein Fremdwort und das einzige Aufkommen, dass die Komponisten
überhaupt haben, entsteht durch die Abrechnung der tatsächlichen
Aufführungen (als Beispiel: ein 12-minütiges Streichquartett bringt
pro Aufführung trotz E-Aufschlag um die 20 Euro Tantiemen ein –
zirka eineinhalb Jahre nach der Aufführung!).
Dennoch sollten auch die jungen , noch weniger berühmten E- (und U-)
Kollegen die GEMA nicht für sich abschreiben. Denn ihr Aufkommen und
die jährliche Ausschüttung wachsen mit den Jahren der Mitgliedschaft
und können gerade im Alter immer wichtiger werden. Die GEMA ist also
ein Verein, der Treue und lange Mitgliedschaft tatsächlich belohnt (ein
gewisses Mindestmaß an Aufführungen vorausgesetzt).
Der große Stolperstein ist allerdings der Status der „ordentlichen
Mitgliedschaft“, der einen erst zur aktiven Mitbestimmung und -gestaltung
berechtigt. Hierfür muss innerhalb von fünf Jahren ein größeres
Aufkommen „eingespielt“ werden, was gerade für die E-Komponisten
ein immer schwierigeres Hindernis ist. Hierzu muss man sich vedeutlichen,
dass ein Komponist wie Richard Wagner – hätte es zu seiner Zeit
eine GEMA gegeben – nie ordentliches Mitglied geworden wäre, denn
99 Prozent seiner Kompositionen waren Opern und die fallen unter das so genannte
„Große Recht“ und werden von der GEMA komplett ignoriert!
Die ordentlichen Mitglieder der E-Musik sterben also langsam aber sicher
aus, ein Versuch, die Grenze zum Erreichen des ordentlichen Mitgliederstatus
auf ein vernünftiges Maß herabzusetzen, scheiterte bei der diesjährigen
Hauptversammlung.
So langsam müssen die E-Komponisten merken, dass die GEMA im Wandel
der Zeit immer wieder Gefahr läuft, zum Selbstbedienungsladen zu werden.
Zahllos sind die Prozesse, die die GEMA mit Einzelpersonen und Gruppen führt,
die immer wieder neue juristische Schlupflöcher in der Satzung finden,
um sich selbst zu bereichern. Einige Beispiele sind durchaus bekannt geworden,
man denke nur an billige osteuropäische Symphonieorchester, die tagelang
Orchesterprogramme in ländlichen Turnhallen spielen und damit das Aufkommen
der Komponisten (die praktischerweise auch als Organisatoren fungieren) in
unermessliche Höhen treiben. Da die E-Musik-Abrechnung sich für
solche Betrügereien besser eignet (da Live-Konzerte wesentlich schwieriger
kontrolliert werden können als zum Beispiel Sendelisten), ist sie leider
durch diese schwarzen Schafe in Verruf geraten.
Gerne vergisst man dabei, dass der Großteil der E-Musiker sich eher
ungeschickt in finanziellen Dingen anstellt. In meinem persönlichen Bekanntenkreis
kenne ich fast nur „Träumer“, die die GEMA-Abrechnung nur
kurz überfliegen und dabei vergessen, dass normalerweise nur 60 Prozent
der Aufführungen „von selber“ erfasst werden – auf
den Rest muss auch die GEMA mühsam aufmerksam gemacht werden. Dies ist
übrigens anhand einer gigantischen Datenbank von knapp 4 Millionen Werken
auch nicht besonders verwunderlich.
Ganz anders das Berufsbild eines U-Komponisten mit eigener Studioproduktion
zum Beispiel – da dieser allein von seiner Musik leben möchte,
geht er seine GEMA-Abrechnungen mit der Lupe durch, infomiert sich genauestens
über Abrechnungsmodalitäten und reist mit Laptop und Organizer zur
GEMA-Sitzung, perfekt auf alle Abstimmungen vorbereitet. Dieser Widerspruch
wurde auf der letzten Sitzung deutlicher als je zuvor – während
um mich herum die U-Komponisten mit Handys Kontakt mit Kollegen in den Reihen
der Textdichter und Verleger hielten (die in anderen Sälen tagen), um
die Abstimmungen und Redebeiträge ihrerseits perfekt zu planen, fragte
hinter mir Helmut Lachenmann seinen Nachbarn, wer denn eigentlich der „grauhaarige
Herr da vorne in der Mitte“ sei (er meinte Reinhold Kreile, seit mehreren
Jahren Generaldirektor der GEMA, sicherlich die mit Abstand bekannteste Figur
der GEMA).
Die Kluft zwischen U und E ist also gar nicht so sehr eine künstlerische
– schließlich wissen wir alle, dass die U-Musik ebenso eine engagierte
„Avantgarde“ kennt, die versucht frei von kommerziellen Zwängen
interessante Musik zu machen – nein, es ist eine Kluft im Selbstverständnis
des Berufs.
Natürlich ist Lachenmanns Frage letztlich sympathisch – es ist
für uns alle gut, dass er sich bisher lieber mit seiner Musik als mit
dem GEMA-Magazin beschäftigt hat. Dennoch können wir es uns nicht
mehr leisten, den Schlaf der „Gerechten“ zu schlafen. Die GEMA
ist im Umbruch, und wenn die E-Musik diesen Umbruch nicht aktiv mitgestaltet
und ihr Mitbestimmungsrecht einfordert, wird er zuungunsten unserer Musikkultur
ausfallen.
Es ist an der Zeit, den bisherigen Dünkel der E-Musik zu überwinden,
der ihr so viele Sympathien bei den Kollegen der U-Musik verspielt hat. Hier
gilt es viel nachzuholen, auch mit differenzierten Wortäußerungen,
die manches Missverständnis ausräumen könnten. Man muss die
Kräfte bei E und U bündeln, denen die Musik selber das Wichtigste
ist und die daher bisher meist bei den GEMA-Versammlung fehlten. Die Alternative
ist klar: Wenn auch in Zukunft nur ein kleines verirrtes Häuflein E-Komponisten
bei den GEMA-Sitzungen erscheint und das betrifft die ordentlichen wie die
außerordentlichen Versammlungen, wird auch in Zukunft die Stimme der
E-Musik durch die lauteren Stimmen knallharter finanzieller Interessen übertönt
werden. Und dies könnte bedeuten, dass auch in Deutschland bald die im
Moment so viel beschworenen „amerikanischen Verhältnisse“
einkehren – das heißt Herabsetzung der E-Musik auf ein Level,
auf dem sie nicht mehr überleben kann.
„Bedenke das factum brutum: Demokratie setzt (im Falle der GEMA) Anwesenheit
voraus“, schrieb mir Wolfgang Rihm, der scheidende Aufsichtsratvorsitzende,
und er hat vollkommen Recht.
Wir E-Komponisten sind Träumer – und das ist unsere Schwäche
und unsere Stärke. Jeder Traum braucht aber das Wachen als Vorbedingung
und diese Wachsamkeit ist jetzt gefragt, wenn die nächste GEMA-Sitzung
ansteht und über die nächsten Satzungsänderungen abgestimmt
wird, im schlimmsten Fall über die Köpfe der Abwesenden hinweg.
So wird auch im nächsten Jahr wie so oft jede Stimme zählen. Und
die (musikalische) Devise lautet: „Wachet auf, rufet die Stimme“…