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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 51
52. Jahrgang | September
Dossier: Der differenzierte Musikurheber
Meinung
Musik für alle
Sie hat es schon nicht leicht, die GEMA. Vielen Musikfans ist nicht einmal
ganz klar, was genau eigentlich eine Verwertungsgesellschaft ist. Manch einer
hält sie für so etwas wie die deutsche Filiale der Recording Industry
Association of America (RIAA), dem klagewütigen Lobbyverband der US-Musikwirtschaft,
und ignoriert damit gleich jeden Unterschied zwischen den einzelnen Rechteinhabern.
Aber kann man es ihnen ganz verübeln, wenn sich die GEMA als Erfüllungsgehilfe
der Plattenfirmen gebärt, obwohl sie doch eigentlich die andere Seite
des Tisches repräsentieren sollte? Lässt es sich noch irgend jemandem
schlüssig erklären, warum Becker auf der Popkomm. höhere Abgaben
auf Leermedien forderte, wo doch das Recht auf Privatkopie mit dem neuen Urheberrecht
praktisch ausgehebelt wurde?
Vielleicht ist es für GEMA-Mitglieder und Vorstände an der Zeit,
einmal in sich zu gehen. Über den Kurs nachzudenken, den man als Verwertungsgesellschaft
im Informationszeitalter einschlagen will. Die Debatte darüber, wie wir
in Zukunft Musik konsumieren sollen, wird derzeit von zwei Kräften dominiert:
den Plattenfirmen und den Herstellern von Computern und anderen Elektronik-Geräten.
Beide sehnen sich eine Zukunft herbei, in der Musikkonsum und dessen Abrechnung
durch digitales Rechtemanagement reglementiert werden. Gezahlt werden soll
dann per Song oder per „Play“, also Abruf.
Über die neuen Medien soll die GEMA dann gleich auch in den alten zum
Zaungast reduziert werden. So ließ der Phonoverbands-Vorsitzende Gerd
Gebhardt sein Publikum auf der Popkomm. wissen, welche Rolle er für Verwertungsgesellschaften
in der Zukunft sieht: „Das Sendeprivileg gestattet Rundfunkanstalten
die Sendung von Musik, ohne dass vorher die Rechte einzeln eingeholt werden
müssen, gegen anschließende Vergütung. Ein Film dagegen darf
im Fernsehen nur ausgestrahlt werden, wenn die Sender vorher alle Rechte eingeholt
(und auch bezahlt) haben. Warum sollte das nicht auch im Radio gehen?“
Als Quasi-Monopolist auf einem der größten Musikmärkte ist
die GEMA eine der mächtigsten Verwertungsgesellschaften der Welt. Sie
könnte diese Macht durchaus nutzen, um solchen Zukunftsplänen entgegenzutreten
– im Interesse ihrer Mitglieder wie auch der Musikkonsumenten. Ein Beispiel:
Als der Online-Musikanbieter MP3.com im Januar 2000 ein Streaming-Angebot
ohne die dafür nötigen Lizenzen startete, musste er nicht lange
auf die Klagen der Verwertungsgesellschaften warten. Als Universal Deutschland
im Sommer 2002 seine Online-Plattform Popfile.de eröffnete, waren die
Verträge mit der GEMA noch längst nicht unter Dach und Fach. Popfile
startete trotzdem – und die GEMA schaute hilflos zu.
Warum nutzte sie diesen Moment nicht zur Stärkung ihrer eigenen Agenda?
Warum tritt sie nicht als Verfechterin der Privatkopie und Gegnerin kopiergeschützter
Audio-CDs auf, um Pauschalabgaben wieder einen Sinn zu geben? Warum vertraut
sie weiter auf eine Musikwirtschaft, die nichts anderes kann als Produkte
zu vermarkten – und das, obwohl Millionen von Tauschbörsen-Nutzer
jeden Tag zeigen, dass ihnen die CD als Produkt herzlich egal ist?
Was der GEMA fehlt, ist Mut zum Dissenz. Mut zu radikalen Ideen. Wie wäre
es zum Beispiel, wenn sich der gesamte Internet-Tauschbetrieb legalisieren
ließe? Wenn Internet-Provider, Tauschbörsen-Anbieter und Universitäten
in einen großen Pauschalabgaben-Topf einzahlen würden und ihre
Nutzer dafür machen dürften, was sie wollten?
Das wäre Musik für alle, von der die Rechteinhaber profitieren
könnten – dank genauerer Messverfahren in der digitalen Welt möglicherweise
sogar mehr als heutzutage. In den USA gewinnt diese Idee unter dem Namen „Compulsory
Licensing“ mehr und mehr Anhänger. Dort gibt es kaum Pauschalabgaben,
aber Millionen von Tauschbörsennutzern, die liebend gerne zu einer Renaissance
der Verwertungsgesellschaften beitragen würden. Hier zu Lande dagegen
gibt es die GEMA, die zwar fleißig Abgaben auf Datenträger durchsetzt,
aber Nutzer verfolgt wissen will, die darauf Musik abspeichern. Dabei könnte
sie auch anders.
Janko Röttgers
nmz-Autor Janko Röttgers veröffentlichte zur Popkomm. das Buch
„Mix, Burn & R.I.P. – Das Ende der Musikindustrie“
(heise Verlag, 16 Euro). Zudem unterhält er die Website http://www.mixburnrip.de