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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 5
52. Jahrgang | September
Feature
Musikalische Eingriffe im Baseball-Stadion
Yankees-Legende an der Hammond-Orgel: Eddie Layton · Von Josefine
Köhn
Unten auf dem Baseball-Feld in der Bronx wird die Plastikplane vom Rasen
gezogen. Die Reihen im Yankee-Stadium füllen sich mit Fans. Doch noch
ist nicht sicher, ob wegen der starken Regenfälle das Spiel überhaupt
stattfinden kann. Hinter den Kulissen des Stadium laufen die Telefondrähte
heiß, jeder verfügbare Fernseher ist auf den Wetterkanal gestellt.
Starke Gewitter sind für den Abend angekündigt. Manager, Organisatoren
und PR-Leute laufen aufgeregt durch die Gänge. Nur ganz oben im Stadion,
in einem zwei mal zwei Meter kleinen Glaskubus, der über der Galerie
für die Fernsehteams thront, ist es vollkommen ruhig.
Ya
Gotta Have Heart: Eddie Layton an seinem Arbeitsplatz in New York.
Foto: Josefine Köhn
Es ist kurz nach sechs Uhr. Eddie Layton zündet sich eine letzte Zigarette
an, bevor er zum Auftakt des Spiels New York Yankees gegen Toronto BlueJays
„New York, New York” anstimmen wird. Zwar ist es im ganzen Stadion
nicht erlaubt zu rauchen, aber nach vier Jahrzehnten will niemand dem fast
80-jährigen Organisten diese Gewohnheit verbieten. Es gibt einfach Traditionen,
die man nicht brechen darf. Gerade in den USA, einem Land, dem stets zu wenig
Kultur vorgeworfen wird, hält man alles eisern hoch, an das man selige
Kindheitserinnerungen hat. Und dazu gehören beim Baseball eben nicht
nur Käppis, Hot Dogs und Cracker Jack, sondern auch Eddie Layton und
seine Hammond-Orgel. Layton ist seit genau 38 Jahren offizieller Organist
im Yankee-Stadium – Eddie Layton ist eine Legende.
Der Organist kennt jeden Spieler, jeden Trick – und scheut sich nicht
zu behaupten, „die Yankees bei so manchem Match zum Sieg gespielt zu
haben.” Bevor nicht eine von Layton intonierte Hymne knarzend und quäkend
durchs Stadion tönt, kann kein Spiel beginnen. Bevor er zum Schlachtruf
in die Tasten greift, schweigen die Fans. Die Stimmung steigt und fällt
mit den Orgel-Akkorden. Layton und seine Hammond gehören ins Yankee-Stadium
wie Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffanys“, wie
die New York Philharmonics ins Lincoln Center.
Dabei lehnte Layton den Job als Organist der Yankees anfangs ab. „Ich
hatte damals keinen blassen Schimmer von Baseball”, erklärt Layton.
„Außerdem lebte ich in Queens, Subway-Stunden weg von dem Stadion
in der Bronx und konnte nicht Auto fahren.” Als die New York Yankees
ihm dann aber eine Limo mit Fahrer offerierten, konnte der gewitzte Gentleman
nicht mehr nein sagen. Heute zählt der Chauffeur, Herb Steier, zusammen
mit dem mittlerweile weit über 80-jährigen Stadium-Sprecher Bob
Sheppard, zu seinen besten Freunden. Vor jedem Spiel sitzen die drei in der
Kantine neben dem Vorfeld und tauschen bei Kaffee, Kartoffelpüree, weich
gekochtem Schinken und Vanille-Pudding Erinnerungen aus. Und davon gibt es
– nach fast 3.500 Spielen – eine Menge.
Vor seinem Engagement bei den New York Yankees im Jahr 1967 intonierte Layton
verschiedene Seifenopern für CBS. Da dem Fernsehsender damals auch das
Yankee Baseballteam gehörte, lag die Idee nicht fern, Layton als Stadium-Spieler
anzuheuern. „Wenn ich es mir genau überlege, ist Baseball gar nicht
so verschieden von den Fernseh-Shows“, gesteht Layton heute. „Beides
ist sehr dramatisch. Einem ungeübten Zuschauer mag das seltsam anmuten,
aber spannend ist beim Baseball ja genau das, was nicht passiert“, erklärt
Layton, der sich heute als großer Fan bekennt.
Trotzdem, wäre da nicht der Sonnenuntergang, der den grünen Rasen
des Stadions an schönen Abenden in ein goldenes Licht taucht, der Geruch
nach frischem Popcorn und Würstchen, diese Mischung aus Feierabendstimmung
und Fan-Nervosität, für einen Nichtkenner wäre es schwierig,
sich mitreißen zu lassen von den paar Figuren auf dem Feld, die mal
den Schläger schwingen, mal den Ball fangen, manchmal von Base zu Base
laufen, und manchmal sogar einen Home-Run. Trotzdem, Layton hatte es schon
beim ersten Spiel erwischt. „Ich konnte einfach nicht anders“,
sagt er. „Ich griff mitten im Baseball-Spiel in die Tasten.“ Ein
bis dahin unerhörtes, ungehörtes musikalisches Intermezzo. Eigentlich
sollte Layton die Fans nur zwischen den Innings (also zwischen den einzelnen
Spielsätzen) bei Laune halten, aber es kam wie es kommen musste: „Es
war ein schwüler Sommernachmittag, die Yankees lagen einige Punkte zurück,
die Fans waren müde und gelangweilt”, erinnert er sich. „Da
musste ich sie einfach anfeuern.” Noch heute fangen die Fans an zu jubeln,
wenn Laytons „Babatataamtataam“ durch das Stadion dröhnt.
Unnötig zu erwähnen, dass die Yankees dieses Spiel gewannen, die
Manager beide Daumen nach oben hielten und Layton seine erste Gehaltserhöhung
gaben, sowie die absolute musikalische Narrenfreiheit.
Über die Jahre hinweg hat Layton dem Yankee-Stadium einen eigenen Ton
gegeben, mit einzigartigen Akkord-Kombinationen und Melodie-Versatzstücken,
die er selbst seine „proven war-horses” (erprobte Kavallerie)
nennt. „Ich spiele alles, was funktioniert, was Fans und Spieler anheizt”,
sagt er, etwa den „Mexican Hat Dance”, „Hava Nagila”
oder eine Akkordfolge aus „The Hour Dance”. Viele Baseballstadien
adaptierten mit den Jahren Laytons Stadion-Klassiker und Schlachtruf-Akkorde,
sogar einige Werbefilme wurden damit vertont. „Die Fans warten auf Eddie,
bevor sie applaudieren“, erklärt Stadionsprecher Bob Sheppard,
genannt „The Voice of the Yankees“.
In seinen besten Zeiten hatte Layton für jeden Spieler eine eigene
kleine Melodie. Seinem Freund Mickey Mantle, einem begnadeten Baseballspieler
in den 60-er Jahren, der an einer seltenen Knochenkrankheit litt, widmete
er mehrere Songs. Und mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen stimmt
er Mickeys Lieblingssong – Judy Garlands „Somewhere over the rainbow“
– an, die beiden anderen alten Herren summen mit.
Noch heute schreibt niemand Eddie Layton vor, welche Songs er im Stadion
spielen soll. Doch mehr und mehr wird Laytons Life-Stadion-Soundtrack von
produzierten Jingles und Songs von CD ergänzt, die irgendwie moderner
und auch frischer klingen, aber es fehlt das altbekannte, vertraute heimelig
Hammond-Quäken. Layton nimmt es gelassen: „Das bedeutet einfach
nur weniger Arbeit für mich“, sagt er, legt dabei jedoch seine
Hände auf die Orgel-Tastatur, als ob er beweisen wolle, dass er durchaus
in der Lage sei, mehr zu spielen, als er es heute noch tut.
Eddie Layton war Sieben als er seine ersten Klavierstunden bekam. “Ich
hatte eine typisch klassische Ausbildung.” Noch heute sind Strauss,
Bach und Beethoven seine Lieblingskomponisten. Dennoch entschloss sich Layton
mit 15 gegen eine klassische Karriere und wählte die Hammond-Orgel als
sein zukünftiges Instrument. „Musik, das ist Harmonie, Melodie
und Rhythmus. All das kann die Hammond”, erklärt er. Unterrichtet
wurde Layton von keinem geringeren als Jesse Crawford, der in den 30ern Organist
des Paramount Theater am New Yorker Times Square war und bekannt wegen der
chromatischen Läufe, mit denen er den vielfach kopierten, gerne als emotionales
Crescendo verwandten, „Portamento”-Effekt kreierte.
Offiziell Musik studiert hat Layton nie, obwohl er durchaus über Kompositions-Kentnisse
verfügt. Auch an einer Band hatte Layton nie großes Interesse.
Ihm ging und geht es einfach darum, zu spielen, diesen wunderbaren, einmaligen
Klang der Hammond-Orgel auszukosten, weshalb ihn die Firma Hammond dann auch
als Internationalen Solisten für die Hammond B-3 engagierte.
Seine Profi-Karriere startete Layton in der Navy, als Organist der Naval
Air-Station in Lyndenhurst, New Jersey. Nicht ungewöhnlich für einen
Musiker in der Zeit des 2. Weltkriegs. Nach seinem Dienst für´s
Vaterland spielte er im legendären New Yorker Nachtclub Copacabana. Ein
Engagement, das ihm die Türen zum nationalen Hörfunk öffnete.
Layton war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, hatte sein Handwerkszeug
gelernt und die richtigen Kontakte gemacht. Lange Zeit spielte er noch regelmäßig
live im Park Sheraton Hotel als Lounge-Pianist.
Anfang der 60er melodramatisierte er die Seifenopern „Secret Storm”,
“Love of Life” und „Love is a Many Splendid Thing”
für CBS live mit seinen Hammond-Klängen. Mercury (Epic) Records
nahm Layton unter Vertrag. „Mitte der 60er hatte ich alle großen
Städte in den Vereinigten Staaten bereist und hatte 100 Konzerte in Europa
gegeben.” Noch heute spielt er auf spezielle Einladung vor einigen Shows
in der berühmten Radio City Hall die gigantische Wurlitzer Orgel und
selbst im Yankee-Stadium trägt er die Hockey-Jacke des Teams der Long
Island University, das er ebenfalls mit seinen Orgelklängen anfeuert.
Baseball, Hockey und College-Football, das sind die Sportarten, deren „Action“-Moment
in den USA traditionell mit einem Live-Soundtrack dramatisiert wird. Am College
sind es die Marchingbands, die ihre Teams anfeuern, den Stadien geben Organisten
ihren persönlichen Klang-Charakter. Layton spielt hier ganz vorne mit.
Und so ist für den fast 80-Jährigen – trotz mehr als 50 Platten
(vorwiegend für Epic und Mercury), weltweit vollen Konzerthallen, Fernsehshows,
Radioauftritten und Touren rund um den Globus – sein Engagement bei
den New York Yankees „der beste Teil meiner Karriere”. Immerhin
spielt er vor 55.000 Fans wenn das Stadion voll ist – und dann natürlich
seine Lieblingslieder: „Take me to the ballgame”, „Somewhere
over the rainbow”, „Bring on the Yankees”. Viele davon wurden
zu Laytons 30-jährigen Jubiläum von SilvaScreen Records auf der
Scheibe „Ya Gotta Have Heart” verewigt, die mittlerweile Gold
eingespielt hat.
Einige der Original-Noten liegen etwas angegraut und mit Eselsohren, aber
säuberlich zu einem Stapel geschichtet, links neben der Hammond-Orgel.
Das Stück Pappkarton, das Layton über die Klimaanlage geklebt hat,
flattert im Wind des etwas zu kühlen Luftstroms. Layton drückt seine
Zigarette aus, zieht sich die Kopfhörer über sein HipBob-Records
Käppi und stimmt „New York, New York” an. Während er
sich die Noten für die Kanadische Nationalhymne heraussucht, wird das
Spiel dann doch abgesagt. Fans und Spieler verlassen das Stadion – auch
Layton macht sich auf den Weg nach draußen – für heute zumindest.
„Ich habe nicht vor, aufzuhören für die Yankees zu spielen.
Nicht in den nächsten 20 Jahren”, sagt er.