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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 13
52. Jahrgang | September
Internet/Computer
Nicht nur konsumieren, sondern produzieren
Von der kollaborativen Idee des Komponierens im Internet
Mit der Entwicklung des Internets muss die Geschichte des Komponierens neu
geschrieben werden. Längst ist der Komponist nicht mehr der einsame Maestro,
der aus seinem eigenen Genie heraus die Noten mit Tinte und Feder aufs Papier
setzt. Technologie und Fortschritt haben den Kompositionsprozess revolutioniert
– und nicht selten ist vor allem bei elektronischen Stücken das
Medium selbst, der Computer beziehungsweise das Internet, gleichzeitig auch
Inspiration.
Das Spektrum reicht von anarchischen Remix-Helden über interaktive Klang-Installationen
und audio-visuelle Online-Kunstwerke über kommerzielle Werbeprojekte
bis zu kollaborativen Kompositions-Projekten. Gemeinsam ist all diesen modernen
Tonwerken, von denen in diesem Artikel einige vorgestellt werden sollen, eines:
Sie funktionieren nur durch und mittels der virtuellen Türen, die sich
seit der „Ver-Cyberisierung“ in der Musikerwelt geöffnet
haben.
Einer der engagiertesten Computermusik-Aktivisten ist Sergi
Jordà. Als Professor an der Pompeu Fabra Universität in Barcelona,
Spanien, ist er am Audivisuellen Institut für Multimedia und Digitale
Kunst verantwortlich. Jordà beschäftigt sich seit 1984 mit dem
Thema Computer und Musik, seit er sein Physikstudium abgeschlossen und sein
Saxophon aufgegeben hatte. Mit der FMOL (F@ust
Music Online) in Zusammenarbeit mit der elektro-experimentellen, spanischen
Theater-Improvisations-Truppe La
Fura dels Baus hat er sich einen Namen gemacht.
FMOL zählt zu den wenigen kollektiven Kompositions-Programmen, die
noch frei online zugänglich sind. Andere Live-Jam-Projekte wie etwa ResRocketSurfer,
bei denen sich Musiker mit Computer und Midi-Instrumenten in einem virtuellen
Studio zu experimentellem Komponieren treffen konnten, sind leider nicht mehr
existent. Midi-Mixe werden mittlerweile hauptsächlich im internen „Midimalisten-Kreis“
auf speziellen Sammelwebsites online gestellt und ausgetauscht. Ein Beispiel
ist etwa Midifarm.com.
War in den 90ern der interaktive Moment des neuen virtuellen Mediums noch
mehr auf Musikerseite, hat sich heute der Rezipient, der Zuhörer, emanzipiert.
Während von der breiten Öffentlichkeit Napster, Gnutella, Kazaa
and Scour diskutiert werden, haben sich mittlerweile Nutzerkontrollierte Peer-to-Peer-Netzwerke
etabliert, über die Tausende von Terabytes, ja Petabytes von Daten ausgetauscht
werden. Alleine Direct Connect von NeoModus
wird im Durchschnitt von 110.000 P2P-Fans gleichzeitig genutzt, wobei der
Datenaustausch fast doppelt so hoch ist wie bei den populären P2P-Programmen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Musiker ganz vom Daten-Highway abgebogen
sind – im Gegenteil. P2P-Filesharing hat der Musikwelt weitere Türen
geöffnet und zudem zu einigen interessanten Remix-Projekten inspiriert.
So kam im Juni dieses Jahres mit „WTF? Madonna Remix Projekt”
ein Album auf den Markt (online erhältlich bei bLiP
Records), das die Diskussion ums Copyright melodisch ironisiert.
Ausgangspunkt war ein von Madonna in die P2P-Netzwerke eingeschleuster Dekodierungs-Track,
um das Herunterladen ihres neues Albums „American Life” zu verhindern.
Klar, dass die P2P-Gemeinde ihre Warnung „What the fuck do you think
you’re doing?” aufgriff und kompositorisch wiederverwertete. Die
Ergebnisse können natürlich auch online auf der Madonna
Remix Project Website angehört werden.
IriXx, einer der Initiatoren und Remix-Master, gesteht im Manifest zum Madonna-Projekt,
dass er nicht nur stolz darauf sei, regelmäßig das P2P-Netzwerk
zu nutzen, „meine Musik, die stark auf Samplen basiert, würde ohne
File-Sharing nicht existieren (my music is heavily sample-based, it would
not exist without the beauty of the file-sharing world)“. Seiner Meinung
nach ist P2P „ein großer Schritt nach vorn hinsichtlich der menschlichen
Kommunikationsmöglichkeiten und sollte in positivem und kreativem Sinne
genutzt werden (peer networking is a massive leap forward in human communication,
and should be put to positive and creative use).“
Gesagt, getan: In den 90ern stellten einzelne Rapper ihre Songs „A
capella“ online, um musikalisch und technisch versierte Fans ihre eigenen
Remixe abmischen zu lassen. Steven McDonald, Bassist von Redd
Kross, hat vergangenes Jahr ein ganzes Album neu geschrieben. Im Rahmen
eines so genannten „experimentellen Kunstprojekts“ bereicherte
er zwei Songs der White Stripes-Platte „White Blood Cells“ mit
einer Bass-Linie. Der Erfolg war so überwältigend, dass er die ganze
CD online mit Bass einspielte, worauf die Internet-Veröffentlichung 60.000
Mal heruntergeladen wurde. Zwar sind die MP3-Files nicht mehr über die
Reddkross Website beziehbar, aber über einige P2P Netzwerke sollten einige
der Songs noch zu finden sein.
„Auf gewisse Weise ist mit diesem Online-Album der Traum, die Hoffnung
verwirklicht, den viele Musikfans ins Internet setzten. Es ist nicht nur ein
Beispiel dafür, wie Musiker ihr Werk direkt an ihren Fans zugänglich
machen können, sondern auch wie die Gesetze der Industrie um der Kunst
Willen umgangen werden können“, schreibt Neil Strauss über
das Redd Blood Cells-Projekt in der New York Times.
In der Tat, das Internet hat viel Raum geschaffen für virtuellen Austausch
zwischen den Musikern und mit den Fans. Kaum eine Band, ein Musiker, deren
Biographie, Discographie, Tourdaten und Musikbeispiele zum Herunterladen nicht
online zu finden sind.
Vor allem die elektronische Musikszene nutzt das online Medium für
die globale Vernetzung. Ein Beispiel ist Unitygain.
Hier können Performances im Webcast oder Web-TV weltweit live verfolgt
werden. Über XCHANGE
will man sich bald per Streaming Media austauschen, wobei Ziel des Netzwerks
ist, die akkustische Dimension des Internets auszuloten. Akademischer geht
es auf der Website der Electronic
Music Foundation zu. Und auf EM411
findet die Electronic-Szene eine Plattform, auf der sie sich über Software,
Kompositionstechnik und andere Ideen austauschen kann. Monatlich wird auch
ein Portal-basiertes Gemeinschafts-Remix-Projekt ausgeschrieben, zum Ausprobieren,
Austauschen und zur offenen Kritik. Und das Portal wächst und wächst.
Letztlich haben Computer und Internet den Kompositionsprozess nicht nur
revolutioniert, sondern auch demokratisiert. Das schlägt sich zum einem
in kommerziellen Webspielereien (jüngstes Beispiel: http://www.spriteremix.com),
zum anderen in der – immer leichter zu bedienenden – Software
und natürlich in interessanten Kunstprojekten nieder, was uns wieder
zu Sergi Jordà führt. Mit F@usto Music Online ermöglichte
er der breiten Masse an einer globalen Komposition mitzuwirken, die dann tatsächlich
als Soundtrack für zwei Performances von La Fura des Baus diente (1998
für F@usto und 200 für die Oper DQ). Noch immer kann die für
die kollaborative Komposition notwendige Software gratis unter http://teatredigital.fib.upc.es/dq/eng/opera_web/fmol/tutorial.
htm von jedem PC-Nutzer heruntergeladen werden.
Jordà hat sich außerdem dazu entschlossen, die Software in
Linux und Open Source von interessierten Programmierern weiterentwickeln zu
lassen. Und dann? Derzeit arbeitet das Team um Jordà an einem FMOL-kompatiblen
Instrument, dem reacTable, wobei dieser on- und offline existieren soll. Komponiert
wird durch das Platzieren und Bewegen von Objekten auf der Tischoberfläche,
beziehungsweise den entsprechenden Simulatoren. Bis Frühjahr 2004 soll
die erste Version des virtuell-realen musikalischen Tischlein-Deck-Dichs funktions-
und experimentierfähig sein. Na dann, Bon Kompositions-Appetit!