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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 10
52. Jahrgang | September
Kulturpolitik
„...antasten...“ wird angetastet
Renommiertes Heilbronner Klavierfestival in Not
Auch die Käthchenstadt Heilbronn muss ihren Haushalt sanieren –
zu geringe Gewerbesteuereinnahmen machen‘s nötig. Wie andernorts
auch spart man zuerst bei der Kultur – man wolle aber in einer solchen
Krisensituation die „Big Points” erhalten, orakelte Heilbronns
Bürgermeister Helmut Himmelsbach und vergriff sich gleich an dem (!)
Big Point überhaupt in Heilbronn, dem internationalen Pianoforum „...antasten...“.
Abgesehen vom Heilbronner Kammerorchester vielleicht, gibt es kein Kulturgut
aus Heilbronn mit vergleichbarer internationaler Ausstrahlung. 1993 von dem
Komponisten Helmuth Flammer gegründet und seither im Zweijahresrhythmus
in den Räumlichkeiten der Städtischen Museen Heilbronns und der
Musikschule durchgeführt, gilt es weltweit als einzigartige „Ausstellung“
zeitgenössicher Klavierkunst. Seit Mai diesen Jahres erreichte den künstlerischen
Leiter Helmuth Flammer eine Katastrophenmeldung nach der anderen: Heilbronn
kürzte die Mittel um zehn Prozent und kündigte eine Komplettstreichung
ihrer Mittel für 2005 an. Damit trat Bürgermeister Himmelsbach in
der lokalen Presse eine Diskussion über den Bestand und die Bedeutung
von „...antasten...“ los, die zum Rückzug wichtiger Sponsoren,
insbesondere des Hauptsponsors Audi, führte. Weitere massive finanzielle
Kürzungen drohen dem Festival bereits 2003 durch Kürzungen auf der
Landesebene. Baden-Württemberg strich seinen Zuschuss um zwei Drittel.
Auch auf Bundesebene fallen die Gelder um zwei Drittel weniger aus als bisher
(hier werden vor allem Mittel des Deutschen Musikrates genannt). Statt dem
geplanten Budget von 76.000 Euro (2001 waren es noch 110.000 Euro) kann Flammer
für 2003 nur noch mit etwa 60.000 Euro rechnen. Das geschätzte Defizit
wird etwa 10.000 Euro betragen.
Die Entwicklung in Heilbronn wird von Musikern, Komponisten und Festivalbesuchern
mit großer Sorge betrachtet. Zahlreiche Wortmeldungen erreichten die
nmz. Hier eine Auswahl:
Werner Bärtschi, Musiker (Schweiz): Die zeitgenössische Musik
ist beim breiten Publikum nicht beliebt. Sie hat es schwer, sich Gehör
zu verschaffen. Dass es dennoch immer noch und immer wieder neue zeitgenössische
Musik gibt, ist der klarste Beweis für ihre Lebensberechtigung und sogar
Notwendigkeit (so argumentierte schon Furtwängler).
Claus-Steffen Mahnkopf, Komponist (Freiburg): Die drastischen Mittelkürzungen
für „antasten“, die faktisch eine Köpfung dieses international
einmaligen Festivals für heutige Klaviermusik darstellt, zeigt, wie sehr
Deutschland auf dem Irrweg ist. Nur wenn ökonomisch magere Jahre kulturell
fette sind, werden auch wieder ökonomisch fette folgen – diesen
einfachen Grundgedanken scheinen unsere populistisch denkenden Politiker zu
vergessen, von der im Ausland beneideten tiefen Geschichts-Verwurzelung der
Musik hierzulande einmal abgesehen. Wie lange noch wird sich dieses Land Verblödung
und selbstmörderischen Event-Spaß leisten, denn dafür ist
auch in ökonomisch mageren Jahren immer genügend Geld da?
Konrad Boehmer, Komponist (Amsterdam): Der politische Anschlag auf „...antasten...“
trifft ein Festival, das sich im Zentrum der neueren musikhistorischen Entwicklungen
befindet und von dort aus mit Mut und Phantasie die äußersten Grenzen
musikalischen Denkens abtastet. Es ist unerträglich, miterleben zu müssen,
wie Kulturfunktionäre aus kurzsichtigen Interessen einen Ast nach dem
anderen absägen, blind vor dem kulturellen Scheiterhaufen, den sie anrichten.
Violeta Dinescu, Professorin für Komposition, Universität Oldenburg:
Wir wissen alle, dass Aufbauen viel mühsamer ist als ein destruktiver
Prozess, deswegen signalisiere ich damit den außergewöhnlichen
Wert dieses Festivals und die Verantwortung, die man hat, um es fortzusetzen.