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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 11
52. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Die Interkulturalisierung steht noch am Anfang
Der Bundeskongress „inter.kultur.politik. Kulturpolitik in der multiethnischen
Gesellschaft“
„Die Zukunft der Kulturpolitik ist interkulturell“ – unter
diesem Motto stand der 2. Kulturpolitische Bundeskongress der Kulturpolitischen
Gesellschaft (KuPoGe) und der Bundeszentrale für politische Bildung am
26. und 27. Juni 2003 im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
Deutschland ist ein Einwanderungsland und es wird seit Jahrzehnten hierher
eingewandert. Was für Sozialpolitiker schon lange Alltagsgeschäft
ist, wurde von der Kulturpolitik bislang kaum zur Kenntnis genommen. Doch
nun hat die Szene das Thema mit Macht entdeckt, wie der schon inflationäre
Gebrauch des Wörtchens „inter“ zeigt. Folgerichtig ist auch
der neue, dritte Band des Jahrbuchs für Kulturpolitik, der auf dem Kongress
von der Kulturstaatsministerin Christina Weiss und der KuPoGe vorgestellt
wurde, dem Thema „Interkultur“ gewidmet.
Oliver Scheytt, Präsident der KuPoGe, erhob für die Veranstalter
drei Forderungen zur Stärkung der Interkulturalität: Kultureinrichtungen
sollten ausländische Mitbürger stärker einbeziehen. Die Bundesländer
sollten ihre Lehrer in Sachen interkultureller Kulturarbeit ausbilden, da
in der Schule der Grundstein für das Zusammenleben gelegt wird. Auf Bundesebene
schließlich müsse das Thema in der Arbeit der Bundeskulturstiftung
und der neuen Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ stärker
in den Vordergrund rücken.
Als Ziel des Kongresses nannten die Veranstalter, zu einem kulturellen Milieu
beizutragen, aus dem die Migranten der zweiten und dritten Generation persönlichen
und ebenso kulturwirtschaftlichen Erfolg ziehen können, das jedoch auch
den Einheimischen nicht fremd bleibt. Wie aber können kulturelle Differenzen
aushaltbar gemacht werden?
Antworten sollten die insgesamt zwölf Foren liefern. Rezepte zur Basiskultur
statt zur Hochkultur waren beim Publikum gefragt; Wege, wie man Migranten
jenseits des Folkloretanzes am kulturellen Leben beteiligen kann. Doch mitunter
hielten sich die Podiumsteilnehmer, etwa des Forums „Ethnische Kolonien“,
allzu sehr mit den üblichen sozialpolitischen Instrumenten, dem Wahlrecht
oder der Ausländerbeauftragten, auf. Dieter Oberndörfer, Vorsitzender
des Arnold Bergsträsser Instituts in Freiburg und Experte für Migrationsforschung,
führte das darauf zurück, dass sich Deutschland erst seit 1990 wirklich
mit Integration auseinander setze: „Wir dringen gar nicht bis zur interkulturellen
Kulturarbeit vor, weil wir immer noch mit den sozialpolitischen Dimensionen
beschäftigt sind.“ Das Besondere der Zuwanderung nach Deutschland
sei die ungeheure soziale, religiöse und eben kulturelle Pluralität
der Migranten. Das mache es so schwierig, die Migrationsbevölkerung als
Ganze „zum Sprechen zu bringen“.
Wo die Probleme nicht liegen, demonstrierte eindrucksvoll der Round Table
„Weltkultur als biografische Erfahrung“. Vier interkulturelle
Grenzgänger aus den verschiedensten Ländern und Sparten verstanden
sich offensichtlich auf Anhieb prächtig. Uneinig waren sie sich nur darin,
ob die Kenntnis anderer Kulturen Menschen automatisch bessere. Grigory Kofman,
russischer Theaterregisseur in Berlin, glaubt nicht an den Nutzen einer kulturellen
Globalisierung, es komme auf die persönliche Begegnung zweier Menschen
an. „Gute Kenner anderer Kulturen können genauso gut Verbrecher
sein!“ Die Italienerin Amelia Cuni, Meisterin des indischen Dhrupad-Gesangs,
hielt dagegen: Nichtwissen und Ignoranz führe zu einer Abwehrhaltung
gegenüber fremden Kulturen.