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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 7
52. Jahrgang | September
Musikwirtschaft
Quartett spielt man nicht nebenbei
Eine Begegnung mit dem Petersen-Quartett aus Berlin
Wenn im Jahr 2004 die Philharmonie in Essen ihre Pforten öffnet, wird
das neue Haus seine Gäste mit einem vielfältigen Programm empfangen.
Von Anfang an war dem Intendanten Michael Kaufmann an einer langfristigen
Zusammenarbeit mit den Künstlern gelegen, die ihm nicht nur Planungssicherheit,
sondern auch die Chance bieten würde, Programme zu entwickeln, die unter
musikdramaturgischem Aspekt Entwicklungen zeigen, einander ergänzen,
sich aneinander aufrichten. Ein ausgesprochen vorteilhaftes Modell für
solche Gemeinsamkeiten wird am besten mit dem Begriff „Artist in Residence“
beschrieben.
Das
Petersen-Quartett aus Berlin wird zukünftig eng mit der Philharmonie
Essen zusammenarbeiten. Foto: nmz-Archiv
Gleich vier Künstler und Ensembles will die Philharmonie Essen in den
nächsten Jahren Residenz und Heimstatt sein: dem Musiker, Komponisten
und Dirigenten HK Gruber, Uri Cane, dem Jazzpianisten, der mit seinen Wagner-
und Bach-Adaptionen von sich reden machte, dem jungen Geiger Frank-Peter Zimmermann
und dem Petersen-Quartett aus Berlin. Thomas Otto traf Conrad Muck und Daniel
Bell, die beiden Geiger des Quartetts in Berlin.
Sie sitzen schon wieder auf gepackten Koffern, kaum dass sie aus dem Urlaub
gekommen sind. Wir verabreden uns am Prenzlauer Berg, kurz bevor sie aufbrechen
nach Edinburgh, wo das Quartett im Rahmen eines Beethoven-Zyklus‘ vier
Streichquartette spielen wird.
Das Petersen-Quartett, bereits vor 25 Jahren an der Berliner Musikhochschule
„Hanns Eisler“ gegründet, gehört heute zu den renommiertesten
seiner Art. Zahlreiche Plattenaufnahmen, viele davon preisgekrönt sowie
Konzertverpflichtungen in alle Welt belegen den hohen Stellenwert dieses Ensembles.
So nimmt es nicht wunder, dass das Petersen-Quartett in den Plänen des
Intendanten der Neuen Essener Philharmonie eine besondere Rolle spielen sollte.
Kennen gelernt hatten sie sich im Jahre 2001 während einer Amerika-Tournee
des Quartetts, nach einem Konzert auf einem repräsentativen Empfang im
New Yorker Lincoln-Center. Johannes Kernmayer, der Produzent des Petersen-Quartetts
bei dem Plattenlabel „Capriccio“, hatte Michael Kaufmann angesprochen.
Aus dieser Begegnung erwuchs ein Kontakt, dem schließlich eine enge
Zusammenarbeit folgen sollte. Kaufmann war von der künstlerischen Qualität
des Ensembles so überzeugt, dass er, was ungewöhnlich ist, gleich
einen Dreijahresvertrag als „Artists in Residence“ anbot. Nüchtern
betrachtet bedeutet eine solche Vereinbarung für das Petersen-Quartett
eine vertraglich gesicherte Anzahl von Auftritten pro Jahr, für das Haus
einige feste Rubriken in der Veranstaltungsplanung und, bei der Popularität
der Künstler, eine entsprechende Reputation, die sich irgendwann in höheren
Besucherzahlen und damit einer besseren Auslastung niederschlagen wird.
Aber natürlich erschöpft sich die Motivation für diese Partnerschaft
nicht allein in solchen Überlegungen. „Für uns ist sie deshalb
so interessant, weil wir uns in der neugebauten Philharmonie optimal präsentieren
können, sowohl mit neuen Werken, als auch mit Gästen, die man einlädt“,
sagt Conrad Muck. „Man hat dort mehr Möglichkeiten, als das sonst
im normalen Konzertbetrieb üblich ist. Das ist schon ein großer
Bonus, den wir über drei Jahre hinweg haben. Das ist einfach weitergedacht
und innovativ, sowohl für das Ensemble, als auch für das Haus: Man
kann eine entsprechende Qualität bieten mit internationalen Gästen,
mit Werken, die für das Quartett konzipiert worden sind, einschließlich
einer Uraufführung des Werkes eines renommierten Komponisten.“
Dreimal jährlich wird das Quartett nun in Essen konzertieren, jedes
Mal zu einem bestimmten thematischen oder inhaltlichen Schwerpunkt. So steht
zum Beispiel in der ersten Saison auf dem Programm eines jeden Konzerts immer
auch ein Stück, das für das Quartett geschrieben wurde: Siegfried
Matthus’ „Das Mädchen und der Tod“ ist dabei, außerdem
ein Stück das der britische Komponist Huw Watkins für die Teilnahme
des Quartetts beim Cheltenham-Festival vor zwei Jahren schrieb und schließlich
die Uraufführung einer Auftragskomposition von Aribert Reimann für
das Quartett. Dieser Auftrag entstand übrigens als direktes Ergebnis
der vereinbarten Zusammenarbeit von Philharmonie und Ensemble. Kombiniert
werden die zeitgenössischen Stücke mit Werken deutscher Romantik.
„Wir haben diese Literatur gewählt, weil wir uns damit am ehesten
identifizieren“, sagt Conrad Muck und ergänzt: „Dazu kommt
auch, dass wir uns das Essener Publikum erschließen wollen. Essen war
künstlerisch immer sehr repräsentativ.“
In der Saison 2005/2006 wird, im Zusammenhang mit dem 100. Geburtstag des
Komponisten, Dmitri Schostakowitsch den Schwerpunkt bilden, kombiniert mit
Beethovens drei „Razumowsky-Quartetten“ und Kompositionen von
Haydn, Mozart und Schubert.
Die dritte Saison schließlich wird Werke der wichtigsten französischen
Komponisten enthalten, konterkariert durch Arbeiten russischer Komponisten,
die durch deren Aufenthalt außerhalb Russlands inspiriert worden sind,
etwa das Streichsextett in d-Moll opus 70 „Souvenir de Florénce“,
das Peter Tschaikowski 1890 nach seinem Italienaufenthalt in einem Zuge komponierte.
Natürlich werden Prokofjew und Strawinsky vertreten sein, die auch in
Paris gelebt haben.
Die „Petersens“ waren übrigens schon mal „Ensemble
in Residence“. Damals bestand diese Kooperation mit dem Radio Berlin.
Sie stammte noch aus DDR-Zeiten und wurde 1993 „abgewickelt“.
„Aber die Idee war gut“, meint Conrad Muck. „Die Plattenfirmen
arbeiten ja in Kooperation mit den Medien. Wir haben zum Beispiel mit dem
Deutschlandradio schon einige Koproduktionen gemacht. Jetzt gibt es ein neues
Projekt, das man an uns herangetragen hat. Bis 2007 werden wir das Gesamtwerk
von Arthur Schnabel aufnehmen: Fünf Streichquartette und ein Klavierquintett.“.
Das wurde erst kürzlich in einem Archiv entdeckt und wird nun verlegt.
Neben seinen Gastspielen und Konzerten und der Komplettierung der Beethovenstreichquartette
hat das Quartett noch weitere Aufnahmepläne. Im Herbst wird Schostakowitsch
eingespielt: die Quartette Nr. 1 und Nr. 4 sowie das Klavierquintett mit Eva
Kupiec am Klavier. Dann stehen Werke des jungen Schweizer Komponisten Fabian
Müller auf dem Plan und schließlich noch eine Platte mit Musik
von Ernst Krenek, ein Stück für Streichquartett und Bläser.
Und dann sind da noch Konzertprojekte. Zum Beispiel die Aufführung von
zwei Mozart-Klavierkonzerten in Streichquartett-Fassung mit dem Pianisten
Steven Osborne. Im Frühjahr 2004 gibt es Konzerte in Hongkong und Amerika,
in Toronto und Paris, unter anderem mit Werken von Arnold Schönberg,
seinem Streichquartett Nr. 2 opus 10 mit der Sopranistin Christine Schäfer,
und Werken von Ernst Krenek und Anton Webern.
Da bleibt wenig Zeit für eigene Projekte, denn, so Daniel Bell: „Quartett
kann man nicht ‚nebenbei’ spielen, das muss der Schwerpunkt sein.
Natürlich belebt es die Arbeit des Quartetts, wenn man noch etwas anderes
macht. Ich habe kürzlich bei einem Projekt mit des Pianisten Murray Perahia
mitgemacht. Das war unheimlich inspirierend, plötzlich so ein Spiel zu
hören – er hat ein Kammerorchester vom Klavier aus geleitet. Nach
solchen künstlerischen Erlebnissen kommt man ganz inspiriert zum Quartett
zurück. Insofern ist es gut, auch mal anderes zu tun.“