[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 41
52. Jahrgang | September
Jazz, Rock, Pop
Gegen den Strom
Salamitaktik
Es geschah auf einem Panel einer wurstigen PopKom., die in ihren letzten
Zügen liegend, das Elend von Musikbranche und -szene klar kenntlich machte.
Thema war eine Auseinandersetzung über Raubkopien und digitale Raubritter,
über Download und Untergang des Abendlandes. Wieder die üblichen
Verdächtigen auf der Bühne, wieder die naiv Tuenden im Publikum,
wieder hier die böse, teuere CD-Industrie, wieder dort der ehrbare Musikfreund,
dem ein Klau kein Klau, sondern kulturelle Revolte im höheren Sinn ist.
Da hatte ich plötzlich eine unterhaltsame Erscheinung. Mir erschienen
auf der Bühne Wurstfabrikanten, Salami-Verpackungsdesigner, Schlachter
und Metzger sowie der Präsident des Deutschen Wurstverbandes –
und wir schrieben das Jahr 2010. Am Rande der Runde ein dicker Konsument,
der ein T-Shirt mit der Aufschrift „Rettet die Wurst, nieder mit dem
Euro!“ trug. Aus dem Publikum heraus schallte es Rufe wie „Ihr
Absahner! Wurst ist Kultur und die gehört allen!“. Man war aufgebracht
und unordentlich-emotional.
Der Wurstfabrikant betonte, wenn es mit dem Wurstklau so weiterginge, der
Konsument sich weiterhin Wurst aus dem inzwischen kybernetisch-physisch-vernetzten
Internet downloaden und aus der Cyber-Sausage-Kompaktanlage pressen lassen
würde, dann wäre alsbald Schluss mit Arbeitsplätzen. Der dicke
T-Shirt-Träger schimpfte. Der Verbraucher habe einst schon die Musikindustrie
besiegt. Nun gäbe es inzwischen zwar keine neue Musik mehr, aber die
Verfügung über alle bisherigen Klänge zum Nulltarif sei immer
noch spaßig und sozial wertvoll. Mit der Wurst lasse man sich nicht
erpressen. Aber die Gegner riefen aufgebracht: „Nur bei uns hören
sie noch den Esel schreien, die Internet-Wurst besteht doch nur aus Geschmacksstoffen
und Geruchsverstärkern“, meinte ein Schlachter, der offensichtlich
am liebsten dem T-Shirt-Träger sein blankes Messer gezeigt hätte.
Ich wachte auf. Der Magen knurrte. Schweiß auf der Stirn. Auf der Bühne
ging es immer noch um die Wurst. „Und ich sage ihnen, wenn der Verbraucher
kein Unrechtsbewusstsein entwickelt und das Downloaden so weitergeht, dann
gibt es bald keine Künstler mehr, wovon sollen die denn noch leben?“
Die alten Verdächtigen diskutierten munter weiter mit dem Rücken
zur Wand. Im Publikum keine Einsicht, Diebstahl in der Pose des Robin Hood.
Neben mir packte ein Independent-Label-Besitzer einen mitgebrachten Wurst-Croque
aus. Es knackte beim herzhaften Zubiss. Wenn das Brot mit CDs belegbar wäre,
würde man dann heute anders diskutieren?! Mir erschien plötzlich
alles ganz irreal und unfertig. Es drängte mich zum Ausgang. Draußen
dann die Bilder einer sterbenden Messe. Kann sich die Pop-Branche mit einer
Salamitaktik retten, noch bevor auch die Wurst enteignet wird?