[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 40
52. Jahrgang | September
Jazz, Rock, Pop
Sperrige Wucht, torkelnde Melodie
Konzerthöhepunkte des Münchner Klaviersommers 2003
40 Minuten stehend warten müssen, nicht wissen weshalb und dann bis
zur Pause ein Sound wie vor der Erfindung des Soundchecks. Bei jedem anderen
Konzert wäre das Publikum verärgert gewesen. Nicht so bei Maria
João und ihrem exzellenten Trio (Mário Laginha: Piano; Yuri
Souza: Bass; Helge Norbakken: Perkussion) im Prinzregententheater. Die portugiesisch-mosambikanische
Sängerin musste nur die Bühne im Pippi-Langstrumpf-Outfit –
knallrotes Top, Glockenrock und Zöpfe – betreten, dem Publikum
ein schüchtern-kokettes Lächeln zuwerfen – schon war das lange
Warten im Foyer vergessen.
Bezaubert
ihr Publikum immer wieder auf’s Neue. Maria João. Foto:
Lutz
Auch musikalisch gab Maria João eine Art Pippi Langstrumpf. Die 48-jährige
Künstlerin sang, lächelte und tanzte sich durch das Taka-Tuka-Land
einer improvisierten, experimentierfreudigen Weltmusik. Kern des Ganzen: Maria
Joãos verblüffend vielstimmiger Gesang zwischen Ton und Geräusch,
Song und freier Stimm-Improvisation, bei dem in Sekundenbruchteilen mit der
Stimme auch Identität und Rolle wechseln. Von der Kate Bush-artigen Elfe
verwandelt sie sich zum raukehligen Reggae-Sänger, von der chinesischen
Opernsängerin zum wütenden Bassgrantler. Nicht weniger wandlungsfähig
als diese vokalen, virtuos komischen Rollenspiele fällt der Stilmix von
Maria João aus: Afrikanischen Gesang, jazzigen Scat, björkeskes
Englisch (über den Beatles-Klassiker „Blackbird“) und brasilianisch
pulsierende Rhythmen setzt sie wie Legosteine zu einem weltumfassenden Musik-Esperanto
zusammen.
Während sich Maria João jenseits aller stilistischen Einordnung
bewegt, wurzeln die beiden Pianisten Randy Weston und Monty Alexander fest
im Jazz. Gewiss: Weltmusikalisches war auch hier zu hören – bei
Weston mehr als bei Alexander –, aber all das blieb eingebunden in eine
Jazz-Stilistik, die vorwiegend Bluesiges kräftig zum Swingen bringt.
Randy Weston ist ein an der sperrigen Wucht und den torkelnden Melodien Monks
geschulter Piano-Veteran, der den Jazz als „Blue Moses“ schon
in den 60er-Jahren in sein gelobtes Land zurückführte: (Nord-)Afrika.
Maurische Tonornamente und vertrackte Polyrhythmen der Berber brachte Weston
im „Bayerischen Hof“ mit labyrinthischen Bebop-Themen und wuchtigem
Blues zum Verschmelzen. Neil Clarke (Perkussion) und Alex Blake, der als Solist
seinen Kontrabass wie eine Kombination aus Flamencogitarre und Perkussionsinstrument
traktierte, unterstrichen die perkussive Note von Westons Pianistik, die auf
dem Blues basierend eine musikalische Brücke zwischen New York und Tanger
schlägt.
Monty Alexanders Afrika liegt in Jamaika. Der aus Kingston stammende, wegen
seiner Mainstream-Stilistik und Virtuosität oft als Oscar Peterson-Klon
geschmähte Pianist verbindet mit seinem Quartett (Bobby Thomas jr.: Perkussion;
Frits Landesbergen: Schlagzeug; Hassan J.J.Wiggins: Bass) karibische Calypso-Grooves
mit swingendem, bluesgetränkten, bis zur Perfektion gediegenem Jazz.
Im „Bayerischen Hof“ riss Alexander das Publikum vor allem beim
„Work Song“ aus den Sesseln. Einhändig solierend ließ
Alexander die fünf Finger seiner rechten Hand wie einen Sportwagen über
die schwarzen und weißen Tasten des Flügels rasen – perfekt
phrasiert und überraschend getimt.
Den künstlerischen Höhepunkt des diesjährigen Klaviersommers
bildete jedoch der Auftritt des um den Vibraphonisten Bobby Hutcherson zum
Quartett erweiterten Herbie Hancock-Trios. Zu später Stunde und an ungewohntem
Ort – der Bayerischen Staatsoper – präsentierten sich Hutcherson,
Hancock, Terry Lyne Carrington (Schlagzeug) und Scott Colley (Kontrabass)
als Meister der zeitlosen Jazz-Moderne, an deren Ausformulierung Hancock in
den 60er-Jahren - mit Aufnahmen wie „Maiden Voyage“ – als
Pianist des Miles Davis-Quintetts und als Weggefährte von Bobby Hutcherson
– entscheidenden Anteil hatte.
Hancock setzte oft mit sich Debussy-haft, impressionistisch gebenden Klavier-Intros
ein, die so klangen, als ob sie rein aus schillernden Harmonien, ganz ohne
jeden Jazz-Groove bestehen würden. Den rhythmischen Anstoß gab
erst Terry Lyne Carrington am Schlagzeug, deren Wechselspiel zwischen abstrakter
Polyrhythmik und zupackender Funkiness perfekt zu Hancock passt, dem Ganzen
aber auch eine muskulöse Jazz-Rock-Prägung verleiht. Mit wachen
Ohren und sattem Ton gab Scott Colley am Kontrabass den Form-Bewahrer, der
stets den Überblick wahrt. Und Bobby Hutcherson? Die besten Momente hatte
der Vibraphonist, wenn er sich auf einen Call-and-Response-Dialog mit Hancock
einließ, was zeitweilig so klang, als ob eine Person gleichzeitig Vibraphon
und Flügel spielte. Etwas abseits stand Hutcherson, wenn Hancock, Carrington
und Colley die höchsten Improvisationshöhen erklommen, ihr Spiel
sich in reine Interaktion auflöste. Dann lauschte selbst Hutcherson wie
ein Außenstehender, dem es trotz größten Könnens und
größter Sensibilität nicht gelingt, zu den Improvisations-Geheimnissen
eines phänomenal aufeinander eingespielten Trios vorzudringen.