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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 21
52. Jahrgang | September
Bücher
Besonders komplizierte Lage
Festband zu 100 Jahre GEMA im ConBrio Verlag
Albrecht Dümling: Musik hat ihren Wert. 100 Jahre
musikalische Verwertungsgesellschaft in Deutschland, hg. von Reinhold Kreile,
hrsg. ConBrio Verlagsgesellschaft,
Regensburg 2003, 391 S., Abb., € 49,00, ISBN 3-932581-58-X
Da
liegen sie, Grab an Grab: Kafka, Thomas Mann, Brecht, Kraus. Hinter
ihren schmucklosen Steinen steht ein Kiosk, darin ein Mann mit Mütze.
Doch am Friedhofskiosk werden nicht Cola oder Würstchen feilgeboten,
sondern Urheberrechte. Das zumindest verrät ein oben angebrachtes
Schild. Klar, es handelt sich um eine Karikatur. „Von Witwen
und anderen Nachlassverwaltern“, gezeichnet von Nico, erschienen
1972 im Zürcher „Tages-Anzeiger“ anlässlich
der Querelen um die Editionspraxis der Familie Mann.
Die Geschichte der Urheberrechte ist lang und verworren. Wie immer, wenn
die Lage besonders kompliziert ist, muss ein Jubiläum her, damit die
Archive vom Staube befreit und ordentliche Chroniken zusammengetragen werden.
Im Fall der „100 Jahre musikalische Verwertungsgesellschaft in Deutschland“
ist mehr herausgesprungen als eine neu geordnete Faktensammlung, mehr als
Datenketten aus der Mottenpulverkiste. Autor Albrecht Dümling ist in
einen Keller aus Zahlen, Namen, Sitzungsprotokollen und Verordnungen herabgestiegen,
hat die Historie Akte auf Akte neu beleuchtet und auf diese Weise viel Licht
in ein Mosaik gebracht, von dessen Existenz der Laie in aller Regel nicht
viel weiß. Was hat schon der kaufwillige Kunde im CD-Laden mit LC-Nummern
am Hut? Hauptsache Titel und Interpret stimmen. Beim Rundfunk dagegen sind
beispielsweise geschummelte Track-Zeiten oder verdrehte Labelcode-Nummern
ein ruchbares Delikt. In Dümlings Festschrift also geht es um die Geschichte
jener Gesellschaft, die für den Urheberschutz, die Achtung von Aufführungs-
und Senderechten et cetera zuständig ist. Die Anfänge führen
ins Frankreich des 18. Jahrhunderts und zum Zwist zweier Uhrenspezialisten,
die sich über das Patent eines neuen Präzisionsrädchens öffentlich
in die Haare bekamen. Wer war der wirkliche Erfinder und wer durfte den verdienten
Lohn dafür einstreichen? Erst durch Gutachten konnte die Wahrheit glaubwürdig
und damit öffentlich gemacht werden. Rasch erfüllte die Frage nach
der Rechtmäßigkeit von gedanklichem Eigentum – mithin auch
von musikalischen Einfällen – halb Europa. Prompt hatten sich zwei
Parteien gebildet: Hier die Gruppe der Verleger, deren Gebaren schon der Dichter
Clemens Brentano mit originellen Schimpfworten bloßlegte, dort die „Erfinder“,
die ihre Produkte zunehmend besser geschützt wissen wollten. In Deutschland
fanden die bis heute nachhaltigsten Auseinandersetzungen in den Jahren um
1900 statt. Federführend waren die Herren Humperdinck und Strauss, die
auf die Gründung einer Anstalt für musikalische Aufführungsrechte
drängten.
Dümling widmet dieser Debatte den nötigen Raum, er hat die komplexe
Entstehungsgeschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts präzise dokumentiert
und das langwierige Zerren um Ansprüche und Paragraphenformulierungen
in eine anschauliche Sprache gebracht. Dass die Lektüre über all
diese Kaugummi-Verhandlungen nicht zum Langweiler wird, liegt auch an der
optischen Aufmachung des Bandes. Die erfreulich knapp gehaltenen Fußnoten
wurden nicht etwa in den Anhang verbannt, sondern benutzerfreundlich am Seitenrand
gedruckt. Oberhalb des Textes befinden sich zahlreiche sorgsam ausgewählte
und teils originelle Illustrationen, etwa von alten Plattenspielschränken,
selbstspielenden Klavieren, schmucken Grammophonen, dazu Titelblätter
von Satzungen, Künstlerporträts, Probenfotos et cetera. Natürlich
gibt es Passagen, die man zu überspringen geneigt ist, etwa wenn seitenlang
Mitgliederzahlen und deren Prozententsprechungen ausgebreitet werden. Da wären
tabellarische Gegenüberstellungen sicher vorteilhafter gewesen.
Der Reiz dieses Jubiläumsbandes liegt in seiner Perspektiven-Vielfalt.
Auf der einen Seite die gründliche Aufarbeitung der Historie, auf der
anderen die essayistische, thesenfreudige Betrachtung von Gegenwart und Zukunft.