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nmz-archiv
nmz 2003/09 | Seite 20
52. Jahrgang | September
Rezensionen
Helles Mittelalter mit heißblütigen Tönen
Claudio Abbados Wiener „Lohengrin“ ist im Digitalformat erschienen
Wagner: Lohengrin; Plácido Domingo (Lohengrin), Cheryl Studer (Elsa),
Dunja Vejzovic (Ortrud), Hartmut Welker (Telramund), Robert Lloyd (König
Heinrich), Georg Tichy (Heerrufer) und andere, Chor und Orchester der Wiener
Staatsoper, Claudio Abbado; Inszenierung: Wolfgang Weber, Ausstattung: Rudolf
& Reinhard Heinrich; Bildregie: Brian Large (1990, live)
Arthaus/Naxos 2 DVD 100 956 (219‘)
Über Antwerpens mittelalterlichem Himmel flutet die warme Sonne Italiens.
Verantwortlich dafür ist nicht die Lichtregie, die den Schwan so ungebrochen
rein erstrahlen lässt, dass man meinen könnte, ein Video der Uraufführung
zu sehen. Verantwortlich ist auch nicht der Lohengrin von Plácido Domingo,
der sich heißblütige Töne mit vokalem Hochdruck erkämpft,
wodurch der Text unverständlich wird: Momente inniger Lyrik, menschlichen
Fühlens und Handelns sind an einer Hand abzuzählen. Nein, die Gründe
liegen anderswo. Die Sonne über Lohengrins Antwerpen, die 1990 die Wiener
Staatsoper mit Glut und Musikalität schier überströmte, hat
ihren Sitz im Orchestergraben.
Bei Claudio Abbado klingen die Streicher schon im Vorspiel warm und silbrig,
endlos der Fluss der Töne, zielgerichtet und sinnlich der Höhepunkt.
Die mediterrane Dramatik drängt sich dennoch nie in den Vordergrund.
Immer verdeutlicht sie das emphatische Erleben und Begehren der handelnden
Personen: Der Beginn des 2. Aktes schmeckt bitter nach Ortruds „furchtbar
tödlich Gift“. Vor dem Münster spiegelt das Orchester die
nagende Ungewissheit und Neugier in Elsas Unterbewusstsein. Da bringt selbst
ein Vergleich mit der klassischen Referenz, Rudolf Kempes zweite Einspielung
von 1962/63, kein böses Erwachen.
Allerdings nur solange man die Augen schließt und dem Orchester zuhört:
Die Elsa von Cheryl Studer ist gleichbleibend makellos, in der Live-Situation
aber doch persönlicher als in ihrer Studio-Produktion an der Seite von
Siegfried Jerusalem. Und die Stärken ihrer Gegenspieler Hartmut Welker
und Dunja Vejzovic liegen eher auf darstellerischer Seite. Da fällt einzig
Robert Lloyds nobler König Heinrich aus dem Rahmen. Die hausbackene Inszenierung
bietet alles, was einem Wiener Opernabende manchmal so lang werden lässt:
Minutenlanges Stehen und Liegen in historischen Kostümen. Dass Oper eine
aufregende, lebendige Kunst mit Bezug zur Gegenwart ist, ist selten zu spüren.
Erzählt „Lohengrin“ so gar nichts über die Befindlichkeiten
heutiger Menschen?