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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 36
52. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Widersprüchliche Botschaft
Erfurts Theaterneubau eröffnet mit Peter Aderholds Oper
„Luther“
Lucas Cranach feiert anspielungsreich eine Immendorf-Orgie. Zwischen
zwei römischen Säulen wird Laientheater gespielt. Zum
Wagner-Zitat ruft der ratlose Künstler nach Gott. Im Atelier
fließt reichlich Bier, verwandeln sich entflohene Nonnen in
Huren, wird aus Porträtmalerei Schmiererei. In Peter Aderholds
Oper „Luther“ herrscht im dritten Bild Untergangsstimmung.
Während die Titelfigur die Heilige Schrift übersetzt und
die bewaffneten Bauern ein lebbares Dasein einfordern, degeneriert
Schauspiel zur erotischen Show, zieht die Kunst sich auf private
Exzesse zurück.
Die Simultanszene ist präzise gebaut und steht zum Anlass
ihrer Entstehung denkbar konträr. „Luther“ resultiert
immerhin aus einem Kompositionsauftrag, den Erfurts Generalintendant
Guy Montavon vergab, um im verschuldeten Freistaat Thüringen
medienwirksam ein neues Theaterhaus zu eröffnen. Selbiges,
ein eleganter Klotz aus Glas und Stahl, steht gegenüber dem
Dom, birgt zwei geschmackvolle Säle, ist mit moderner Technik
bestückt und könnte eine Bühne für alles Mögliche
sein. Zunächst ersetzt das 60 Millionen Euro teure Objekt das
vor Jahren baupolizeilich gesperrte Erfurter Opernhaus aus wilhelminischer
Zeit. Zudem will es von Thüringens Wirtschaftskraft künden
und vom Engagement der Landespolitik für die Theaterkultur.
Drei Viertel der Kosten übernahmen Kultus- und Wirtschaftsministerien,
den Rest gab die Kommune. Letztere, so Oberbürgermeister Manfred
O. Ruge bei der Eröffnung Mitte September, verspricht sich
von der Investition weitaus mehr als eine Nabelschau elitären
Theaters, das seine Besucher vergisst. Möglichst rasch in die
„Oberliga des Musiktheaters“ zu wechseln, das liegt
ganz im Sinne des ehemaligen Gießener Intendanten Guy Montavon.
Er führt in Erfurt ein Einspartentheater.
Johannes M. Kösters
als Luther.
Foto: Theater Erfurt
Als Gegenleistung für das spektakuläre Gebäude musste
die Landeshauptstadt Ballett und Schauspiel auflösen und das
B-Orchester auf 59 Stellen verkleinern. Wagners „Ring“
ist somit blanke Fiktion. Offiziell wird der Einschnitt in das Ensemble
positiv interpretiert. Das Rumpforchester und die Konzentration
allein auf die Oper wären eine Bestandsgarantie und sorgten
für finanzielle Flexibilität.
In der fusions- und spargeprüften, aber immer noch dichten
Theaterlandschaft des Freistaats hat dieses Rezept Alarm ausgelöst.
Die Rolle, die Erfurts neues Haus hier künftig spielen soll,
ist leicht erahnbar, aber noch nicht gänzlich erklärt.
Die Konkurrenz der alten Ensembletheater ist zudem noch sehr stark.
Im beneideten Weimar ließ sich die drohende Schließung
des Opernbetriebs und somit die politisch gewünschte Fusion
mit Erfurt einstweilen verhindern.
Meiningen, das einzige Staatstheater im Land, hat sich zum Saisonstart
mit einer jungen, ambitionierten Führungsmannschaft unangreifbar
gemacht. Doch in Eisenach, Saalfeld, Rudolstadt und Nordhausen wird
schon im nächsten Jahr erneut kräftig umsortiert. Ob Erfurt
in diesem Prozess zur kulturpolitischen Speerspitze wird, wird sich
noch zeigen. Im dortigen Opernbetrieb muss zunächst auf-gebaut
werden, worüber alle anderen Häuser im Lande verfügen:
Publikumsresonanz, ein motiviertes Ensemble, solides Repertoire.
Guy Montavon favorisiert in seiner ersten Saison Operette, heitere
Oper, Belcanto in Koproduktion mit Monte-Carlo und Prag.
Neu im Programm sind neue Werke. Das erste wurde soeben uraufgeführt
und hinterlässt wie der „Ersatzneubau“ des Theaters
Eindrücke voller Ambivalenz. Peter Aderhold, Jahrgang 1966,
hat für seine Auftragsgeber geschrieben. Musikgeschichte von
Wagner bis Berg hat dabei reichlich Pate gestanden, das Opus klingt
reichlich tonal, die eigene ästhetische Handschrift fehlt.
In Caroline Grubers karger Regie betreten Zweifler die Bühne,
deren Tun ungeahnte Wirkung erlangt: Cranachs Kunst pervertiert,
Luthers Bibel für alle mündet in Zerstörung und Krieg.
Hermann Feuchters Bühnenbild ist als Metapher gewiss über-trieben,
zeigt aber Wirkung: Ein altgedientes Glaubensgebäude ist darauf
nurmehr Ruine, der Klangkörper Orgel ist in Trümmer gelegt.
Orgelpfeifen gleichen Geschossprojektilen und zielen auf Darsteller,
Kunst, ganz zuletzt in den Zuschauerraum.