[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 33-34
52. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Frage an Festspiele: Wie hältst du es mit der neuen Musik?
Salzburg vertraut Ruzickas „Passagen“, aber nur in
jedem zweiten Jahr · Ein Resümee von Gerhard Rohde
Bei den Salzburger Festspielen 2003, der zweiten Saison des neuen
künstlerischen Direktors Peter Ruzicka, zeichnete sich schon
deutlicher ab, wohin Ruzickas programmatische Konzeption zielt.
Das zweifellos wichtigste Vorhaben gilt der Erarbeitung eines neuen
Mozart-Repertoires im Hinblick auf das Mozart-Geburtsjahr 2006.
Die zweite dringende Frage stellt sich bei der Präsentation
der Musik unserer Zeit im Festspielprogramm. In der Mortier-Zeit
hat es Hans Landesmann als für die Konzerte zuständiger
Referent im Direktorium verstanden, neue Musik beispielgebend in
das Gesamtprogramm zu integrieren. Wird das, mit veränderten
Akzentuierungen, fortgesetzt? Die folgenden Anmerkungen wollen nicht
die ausführlichen Tageskritiken fortsetzen, sondern eher ein
Resümee ziehen, auch Ausblicke in die Zukunft wagen, mit dem
Recht auf Irrtum.
Vor seinem Amtsantritt 2002 verkündete Peter Ruzicka sein
„Fünf-Säulen-Konzept” für die Salzburger
Festspiele: das Opern- schaffen Mozarts, das Bühnenwerk von
Richard Strauss unter besonderer Berücksichtigung der späten
Opern, die Große Oper des 19. Jahrhunderts, signifikante Opernschöpfungen
wichtiger Exil-Komponisten und, als fünfte „Säule“
Uraufführungen neuer Opern. Ferner sollte die Musik unserer
Gegenwart einschließlich Uraufführungen ein gesondertes
Programm-Feld zugewiesen erhalten. Wie sah die Realisierung dieser
Projekte im einzelnen in diesem Festspieljahr aus?
Das Versprechen einer Opern-Uraufführung wurde eingelöst:
Hans Werner Henzes „L’Upupa“ erwies sich als Salzburg-würdige
Premiere, ein sanft-melancholischer Rückblick auf ein großes
Lebenswerk in orientalisierender Märchengestalt, auch musikalisch-kompositorisch
vornehm-retrospektiv. Dass gleichsam parallel zu dieser erlesen-geschmackvoll
inszenierten Premiere (Dieter Dorn/Jürgen Rose) ein Streit
zwischen dem Festspielleiter und der Komponistin Olga Neuwirth über
ein sicher progressiveres Musiktheater für die Festspiele 2005
oder 2006 entbrannte – angeblich sei die Finanzierung der
Auftragsoper noch nicht gesichert –, wirft allerdings ein
bedenklich stimmendes Licht auf die Rangfolge, die für die
Neue Musik in Zukunft bei den Festspielen gelten könnte.
Keine Szene aus dem Golfkrieg:
Live-Elektronik-Forscher André Richard bespricht
im neuen Hangar auf dem Salzburger Flughafen mit den vier
Hubschrauberpiloten den „Einsatz” für die
Aufführung von Stockhausens „Helikopter”-Quartett.
Foto: Charlotte Oswald
Am geplanten Mozart-Zyklus wurde gleich zweifach weitergearbeitet.
Nach seinem „Don Giovanni“ aus dem Vorjahr, der in leicht
überarbeiteter Fassung auch diesmal wieder im Spielplan erschien,
inszenierte Martin Kusej für die Felsenreitschule die späte
Seria „La clemenza di Tito“, wiederum dirigiert von
Nikolaus Harnoncourt: Eine eindringliche Studie über die Einsamkeit
der Macht und wie so genannte „Milde“ zugleich ins Gegenteil
umschlagen kann: in den psychischen Terror, der nur zerstörte
Seelen zurücklässt: lebende Tote. Die zweite Premiere
galt der „Entführung aus dem Serail“. Dem Singspiel
wurde alles orientalische Dekor ausgetrieben, stattdessen wohnte
man szenischen Reflexionen über Fremdheit und einer “L’amour
de loin”, einer Liebe aus und in der Ferne bei, eingekleidet
in eine entfesselte Bühnenshow mit Slapstick und Video und
fürchterlichen Kalauern. Theater von heute für Leute von
heute – aber für welche? Salzburgs Festspielpublikum
meuterte in vielen Vorstellungen empört, ein Zeichen auch dafür,
dass Experimentierlust an ungebührlich teuer bezahlten Eintrittskarten
ihre Grenzen findet. Salzburg ist eben nicht Frankfurt oder Bielefeld.
Leider. Die drei weiteren „Säulen“ Ruzickas sind
schnell abgehakt: Die szenisch geplante Aufführung von Strauss’
„Ägyptischer Helena“ wurde, angeblich aus Geldmangel,
nur konzertant dargeboten. Das gleiche Schicksal ereilte die „Exil-Oper“,
die „Bakchantinnen“ von Egon Wellesz. Ruzicka weiß
sicher selbst, dass solche anti-künstlerischen Entscheidungen
nicht akzeptabel sind, wenn die Salzburger Festspiele weiterhin
auf ihrem hohen Anspruch bestehen möchten.
Und die „Große Oper des 19. Jahrhunderts“ war
mit einer altbackenen Inszenierung (David McVicar) von Offenbachs
„Les Contes d’Hoffmann“ auch nicht gerade repräsentativ
vertreten. Bei „Großer Oper“ denkt man schließlich
doch eher an Meyerbeer oder Rossinis „Guillaume Tell“
als an Kleinzack und Spalanzani. Zum Thema Neue Musik in Salzburg:
Die Festspiele könnten es sich leicht machen und überhaupt
keinen Ton von Schönberg bis Pintscher anbieten. Sie wären
gleichwohl ausverkauft zu hohen Preisen und die Kassenbilanz würde
die Gesichter noch strahlender leuchten lassen als bei der diesjährigen
Pressekonferenz, die eher wie eine Aktionärsversammlung mit
Entlastung des Vorstands und Dividendenausschüttung wirkte
denn als Resümee künstlerischer Ergebnisse, die doch eigentlich
den Vorrang vor dem schnöden Mammon haben sollten. Das müssen
die Salzburger selbst wissen und entscheiden. Nur dürfen sie
sich dann gegebenenfalls nicht entrüsten, wenn sie für
ihren ausgeprägten Erwerbstrieb auch einmal kritisiert werden.
Hommage à Galina
Ustwolskaja: Das Konzert mit Reinbert de Leeuw (am Flügel)
und dem Schönberg Ensemble zählte zu den stärksten
Eindrücken im „Passagen”-Zyklus der Salzburger
Festspiele.
Solange sich die Festspiele aber grundsätzlich für die
Einbeziehung Neuer Musik in ihre Programme bekennen, muss dieses
Engagement auch kritisch begleitet werden. Anders als Hans Landesmann,
der die Moderne bis hin zu den jungen Komponisten in das Gesamtkonzept
der Festspiele integrierte, scheint Peter Ruzicka wiederum eine
klare Trennung zu bevorzugen: Das Neue wird sozusagen ins musikalische
Nachtprogramm, wie im Rundfunk, verschoben, als Anhängsel ganz
zum Schluss des Festivals. Elf Konzerte mit neuer Musik fanden sich
am Ende der Festspiele, kompakt in einem elftägigen Block verpackt.
Unter dem Titel „Salzburg Passagen“ präsentierten
sich „Grenzgänger“ in „Grenzgängen“.
Skrjabin, Lopez, Satie, Ustwolskaja befanden sich unter ihnen, Nancarrow,
Boulez, Cristou, Feldman, Stockhausen mit dem epochalen „Mantra“
für zwei ringmodulierte Klaviere, von Andreas Grau und Götz
Schumacher souverän gestaltet: ein ungewöhnlich starker
Eindruck, wie dieser auch von Markus Hinterhäusers Scelsi-Darstellungen
im selben Klavierabend ausging.
In den „Passagen”, die ambitioniert Wege und Durchgänge
in der Neue-Musik-Landschaft des letzten Jahrhunderts aufspürten,
fanden sich auch einige bemerkenswerte Uraufführungen: Gerhard
E. Winklers „Twins‘ n’Towers“ für E-Violine,
Ud, Ensemble und interaktive Live-Elektronik ist als eine Art Versöhnungsmusik
zwischen West und Ost, symbolisiert in der E-Violine und dem arabischen
Ud, nach den schrecklichen Ereignissen des 11. September gedacht.
Winklers Komposition, für die Salzburger Aufführung komplettiert,
wirkt nirgends affirmativ oder gar plakativ, sondern überzeugt
durch ihre komplexen und oft höchst komplizierten Strukturen:
Eine Musik ausgespannt zwischen intellektueller Brillanz und Disziplin
einerseits, zum anderen einer feinen Expressivität und klanglichen
Sinnlichkeit. Man muss sich nur genau einhören, um das plastisch
zu erfahren.
Claus-Steffen Mahnkopf präsentierte seinen komplettierten
Hommage à Kurtág-Zyklus, dessen einzelnen Teile bei
aller Reverenz vor dem ungarischen Komponisten äußerst
autonom konzipiert erscheinen, Kurtág-nahe vor allem im genauen
Hineinhören in den Klang, ja in den einzelnen Ton. Mahnkopf
entwickelt dafür ein bemerkenswert subtiles Sensorium. Schließlich
führte noch Karlheinz Stockhausen seine „Düfte-Zeichen“-Kompositon
aus „Sonntag aus Licht“ zum ersten Mal im Theater auf
der Pernerinsel vor. Mit der Aufführung wurde gerade auch die
Musica Straßbourg eröffnet – wir werden in der
nächsten Ausgabe auf Werk und Aufführung zurückkommen.
Im nächsten Jahr wird es keine „Passagen“ geben,
erst 2005 wieder. Dafür kommen György Kurtág und
Jörg Widmann als residierende Komponisten und präsentieren
sich in mehreren Konzerten. Aufgeführt wird auch Ligetis „Requiem“
sowie ein neues Stück von Aribert Reimann durch die Wiener
Philharmoniker. Besonders aufregend und weitgespannt darf man das
wohl nicht nennen. Eher wirkt es wie ein schleichender Rückzug
auf bequeme und einträglichere Positionen. Ruzicka sollte sich
mit seinem persönlichen Renommee als ein Mann der Moderne gegen
denkbare Zumutungen energisch verwahren. Sonst ergeht es ihm noch
wie Stockhausen, der sich mit seinem „Helikopter“-Streichquartett
von einem protzsüchtigen Milliardär zur Einweihung von
dessen gläsernem Hangar auf dem Salzburger Flughafen verpflichten
ließ und während der Vorführung erleben musste,
dass der eingeflogenen Gesellschaft das plötzlich ausgerufene
Diner wichtiger war als des Meisters fliegende Himmelskunst. Vielleicht
sollte Stockhausen einmal eine Aufführung von Strauss-Hofmannsthals
„Ariadne“ besuchen, damit er erfährt, wie es Komponisten
im Hause eines reichen Mannes so ergehen kann: Um Punkt neun Uhr
ist das Feuerwerk angeordnet. Dann muss Schluss mit der Musik sein.
Ein bisschen zu sehr gewinnt dieser Aspekt auch im Festspielbezirk
an Gewicht. Ruzicka hat dazu im ersten Jahr in seiner Festansprache
zur Eröffnung einiges Zutreffende, elegant formuliert natürlich,
gesagt. Man müsste die Rede wohl jedes Jahr wieder halten,
damit sie sich in den Köpfen endlich festsetzt und zum Nachdenken
über Sinn und Aufgabe von anspruchsvollen Festspielen im Trubel
der Event-Kultur zwingt.