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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 35
52. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Wer ist denn nun eigentlich der Star?
Deutschlandreise des Schleswig-Holstein Festival Orchesters mit
Kurt Masur
Wie in alten Karajan-Tagen stand der Dirigent im Mittelpunkt.
Auf den Plakaten und auf dem Programmheft dominierten Bild und Name
von Kurt Masur. Wie Vignetten umrahmten ihn kaum briefmarkengroße
Photos der beiden Solistinnen, während darunter viel kleiner
der Name des Schleswig-Holstein Festival Orchesters zu lesen war.
Der Veranstalter, die Deutsche Stiftung Musikleben, brachte damit
offenbar seine Hierarchie der Werte zum Ausdruck.
Die Solistinnen Viviane
Hagner (li.) und Tanja Becker-Bender mit Kurt Masur, Abschlusskonzert
im Leipziger Gewandhaus am 1. September 2003. Foto: Hanns-Jörg
Anders
Knapp zwei Wochen zuvor war das Schleswig-Holstein Musik Festival
Orchester am gleichen Ort zu Gast gewesen. Beim damaligen Konzert,
das im Rahmen des europäischen Musiksommers „Young Euro
Classic“ stattfand, standen die jungen Musiker und eine fabelhafte
Solistin, nicht aber der Dirigent Jukka-Pekka Saraste im Mittelpunkt.
Anders als damals dominierte nun im Publikum nicht die Jugend, sondern
die dunkle Kleidung von VIPs wie den Bundesministern Wolfgang Clement
und Otto Schily, von CDU-Geschäftsführer Laurenz Meyer
und DGB-Chef Michael Sommer, von Dorris Dörrie und Katharina
Witt. Bis zum Einsetzen des ersten Tons standen sie im Zentrum der
Aufmerksamkeit, im Blitzlichtgewitter. Imponieren solcher Prominenz
die Namen Masur und Schmidt mehr als ein internationales Orchester
mit Musik von Alfred Schnittke, Johann Sebastian Bach und Anton
Bruckner? Ist ihnen ein Event wichtiger als ein gutes Konzert?
Dabei ist es doch staunenswert genug, dass im Schleswig-Holstein
Musik Festival Orchester 130 Musiker/-innen aus 31 Ländern
innerhalb eines Sommers zu einem homogenen Klangkörper zusammenwuchsen,
dass Russen und Litauer, Chinesen und Taiwanesen, Ägypter und
Israeli dabei Pult an Pult sitzen. Während des Sommers 2003
haben sie nicht nur mit Masur, sondern auch mit Christoph Eschenbach,
Sir Neville Marriner, Jukka-Pekka Saraste und Dennis Russel Davies
zusammengearbeitet. Sie lernten damit, sich auf die Eigenarten unterschiedlicher
Persönlichkeiten einzustellen.
Im Vergleich zur choreografischen Eleganz Sarastes wirkt Masurs
stabloses Dirigieren grob und ruppig. Und dennoch konnte Masur dem
braven Modernismus von Schnittkes Komposition „(K)ein Sommernachtstraum“,
bei dem gelegentlich dissonante Gegenstimmen und Cluster das Barockidyll
störten, die nötigen Konturen verleihen.
Das Programm orientierte sich an den Eckstationen dieser Deutschlandtournee,
die in Hamburg begann und nach Greifswald und Berlin in Leipzig
endet. Nach der Einleitung mit Schnittke, die auf dessen letzten
Wohnort Hamburg verwies, standen Bachs Doppelkonzert und die in
Leipzig uraufgeführte 7. Symphonie Anton Bruckners für
die traditionsreiche Musikstadt, wo Masur für ein Vierteljahrhundert
als Gewandhauskapellmeister wirkte. Wie bei vielen der jüngeren
Klangkörper ist auch im Schleswig-Holstein Orchester der Streicherapparat
vor allem weiblich zusammengesetzt. Johann Sebastian Bachs d-Moll-Doppelkonzert
BWV 1043 mit den von der Stiftung Deutsches Musikleben geförderten
Solistinnen Viviane Hagner und Tanja Becker-Bender war deshalb weitgehend
in Frauenhänden. Dies schließt den Wettbewerb nicht aus,
jenen Wettstreit, wie ihn der Begriff Konzert meint. Schon im ersten
Satz, der im straff akzentuierten Non legato gespielt wurde, fiel
Hagners strahlender Violinton auf, dem der ihrer Kollegin nicht
ganz gewachsen war. Liegt dies wesentlich daran, dass Viviane Hagner
eine Stradivari spielt, Tanja Becker-Bender dagegen eine Guarneri?
Gute Instrumente sind oft entscheidend, weshalb die Deutsche Stiftung
Musikleben vor zehn Jahren dafür einen eigenen Fonds eingerichtet
hat.
Bruckners 7. Symphonie bedeutete dann aber die Stunde des Orchesters.
Hier bewährte sich Masurs oft nur andeutendes Dirigat, das
den jungen Musikern kleine, aber doch bedeutsame Freiräume
für Eigeninitiative ließ. Während zuvor Saraste
ausgefeilte Bewegungen solche Momente von Spontaneität nicht
zugelassen hatten, merkte man nun, wie das Orchester etwa bei den
Verzögerungen und Beschleunigungen in der Durchführung
des Kopfsatzes aufeinander hörte. Ähnlich gut gelang das
Sich-Ablösen der Stimmen im Beginn des Finales. Dies führte
hier zu einem spannungsvollen Wachsen der Musik, das aufhorchen
ließ, während die Schlusscrescendi mehr laut als mächtig
gerieten und von wirklicher Beseelung kaum je etwas zu spüren
war.
Dass aber bei einer so kurzen Zusammenarbeit überhaupt solche
Gemeinsamkeit erzielt wurde und sich im großen Adagiosatz
der warme Klang der Streicher und der Wagnertuben so schön
zusammenfügte, ist aller Bewunderung und tatkräftiger
Förderung wert. Falls sich diese Erkenntnis im Saal verbreitete
und dort Wirkung erzielte, diente dieser Abend am Ende doch der
Musik und nicht nur einer Personality Show.