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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 48
52. Jahrgang | Oktober
Dossier:
Markenprodukt Musik
Konsequent einer inneren Dramaturgie folgen
Contrechamps: ein Platz für die zeitgenössische Musik
in der Schweiz
Als Contrechamps zu Beginn der 80er (in der definitiven Form dann
1990) gegründet wurde, war im musikalischen Leben der Stadt
Genf nicht nur die zeitgenössische Musik kaum präsent.
Auch die Musik des gesamten 20. Jahrhunderts war lange nicht in
den Konzertsälen zu hören gewesen – dem Publikum
fehlte die Rezeptionserfahrung vieler Jahre. Von Anfang an hat Contrechamps
es als eine seiner Aufgaben betrachtet, an diesem Punkt Basisarbeit
in „seiner“ Stadt Genf zu leisten und einen Platz für
die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu schaffen.
Contrechamps entwickelte sich rasch: die Konzertreihe in Genf,
Konzerte in der Schweiz, Uraufführungen, internationale Gastspiele.
Bald gehörten auch eine Zeitschrift und ein Verlag dazu, CDs
des Ensembles, die Realisation einiger Filme und nicht zuletzt das
von Contrechamps mit begründete und organisierte jährliche
Genfer Festival Archipel.
Doch die Kommunikation mit dem Publikum vor Ort blieb stets eine
wichtige Aufgabenstellung: sein Interesse zu wecken, es zu erobern
war das Ziel. Contrechamps versteht sich als Teil der Stadt und
ein Angebot an sie, und die Musik unserer Zeit sollte in der Stadt
des Ensembles einen Platz finden.
Es war eine wichtige Überlegung, dass man das Publikum nicht
mit Marketingstrategien „einfangen“ kann, es will und
soll vielmehr überzeugt werden. Das versucht Contrechamps:
mit Ideen, mit Qualität und Konsequenz, auch mit einem durchaus
ethischen Anspruch an die eigene Arbeit – und vor allem mit
Begeisterung und Freude an der neuen Musik.
Das Ziel war damit klar definiert, die Wege zeigten sich schnell.
Contrechamps steht ein für eine gleich bleibend hohe musikalische
Qualität der Konzerte. Von Anfang an gab es spannende Begegnungen
mit Komponisten (wie Cage, Nono, Berio, Donatoni und Huber und den
aus Genf stammenden André Richard, Michael Jarrell und Xavier
Dayer – und viele anderen) und viele Uraufführungen.
Die Stückauswahl für die Konzertprogramme folgt konsequent
einer inneren Dramaturgie.
Solche dramaturgischen Überlegungen bestimmen auch die Konzeption
der Saisonprogramme. Vor den Konzerten finden (gut besuchte) Einführungsveranstaltungen
statt, bei denen oft die Musiker des Ensembles ausgewählte
Teile der vorgestellten Stücke live spielen. Die Verbindung
zum Konservatorium ist eng; das Ensemble arbeitet regelmäßig
mit jungen Musikern und Kompositionsstudenten. Ein Kinderprogramm
wurde entwickelt. Auch der direkte, persönliche Kontakt zum
Publikum, insbesondere natürlich zu den Abonnenten, wird gepflegt,
der Austausch, die Begegnung mit dem Konzertbesucher sehr ernst
genommen.
Der Erfolg blieb nicht aus. Genf hat sich mit den Jahren in der
Schweiz als ein wichtiger Ort für die zeitgenössische
Musik etabliert, Contrechamps ein treues und begeistertes Publikum
gewonnen.
Ein entscheidender Wendepunkt waren die zwei Saisonprogramme zur
Jahrtausendwende 1999/2000: Zwei Jahre lang wurde in thematisch
konzipierten und aufeinander bezogenen Konzerten die Entwicklung
der Musik im 20. Jahrhundert vorgestellt. Diese Programme wurden
in der Stadt Genf zum Ereignis (oder soll man sagen: zum „Event“?)
und ein unglaublicher Erfolg für das Ensemble: Es gewann aus
einer gewissen Randständigkeit heraus eine zentrale Position
im musikalischen Leben der Stadt. Der Nachholbedarf war enorm, das
Interesse auch: Das Publikum kam zahlreich zu diesen Konzerten –
und blieb der jährlichen Reihe, einmal begeistert, danach treu.
Heute hat Contrechamps dadurch nicht nur einen bedeutenden Stamm
von Abonnenten gewonnen, seine neue Bedeutung wurde auch kürzlich
von Stadt und Kanton durch erhöhte Subventionen honoriert.
Contrechamps ist in Genf zu einer Institution geworden.
Nach einem Gespräch mit Philippe Albèra aufgezeichnet
von Birgit Gotzes