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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 46
52. Jahrgang | Oktober
Dossier:
Markenprodukt Musik
Und ewig lockt die Zauberflöte
Theatermarketing muss sich in der Praxis bewähren
Montagmorgen, 10.00 Uhr, in einem deutschen Stadttheater. Konzeptionsprobe
für die Neuinszenierung von Mozarts „Zauberflöte“.
Anwesend sind das Regieteam von auswärts samt Dramaturgin,
alle beteiligten Solisten, Assistenten, Repetitoren, Hospitanten
et cetera. Noch sechs Wochen bis zur Premiere. Heute lüften
die „Macher“ ihr Geheimnis. Die Bühne ist Modell,
die Kostüme hängen als gemalte Figurinen an der Wand,
der Regisseur erläutert sein Konzept und der Dirigent summt
einen Rhythmus vor.
Diese Situation wird sich in der laufenden Spielzeit rund 30 Mal
wiederholen. So viele Neuproduktionen werden in Oper, Schauspiel
und Ballett pro Saison an einem Dreispartenhaus gestemmt. Der Konzeptionsprobe
folgen sechs Wochen harte Arbeit bis zur Premiere. Eine ist fast
immer dabei: die Frau vom Marketing. „Was machen Sie eigentlich
hier?“, wird sie gelegentlich von Kollegen gefragt.
Szenenfoto aus der Inszenierung
von Christoph König am Theater Bonn mit Andreas Macco
(Sarastro) und Julia Kamenik als Pamina. Foto: Lilian Szokody
Dabeisitzen, zuhören, Ideen entwickeln, wie die Inszenierung
optimal beworben werden kann. „Die Zauberflöte“
markiert in diesem Jahr den Saisonstart. 18 Vorstellungen stehen
auf dem Programm. Das Ziel: Mozarts Singspiel soll in diesem Jahr
mindestens 20.000 Besucher ins Opernhaus locken.
Die „Zauberflöte“ in statistischen Zahlen: 47
Neuinszenierungen gab es deutschlandweit allein in der vorletzten
Spielzeit. Das macht 658 Aufführungen mit über 354.000
Besuchern*; muss man diesen Selbstläufer überhaupt „vermarkten“?
Man muss: Gerade mit den bekannten „Highlights“ kann
man neue Publikumsschichten erreichen. Aber wie?
Theatermarketing, was ist das?
Dahinter steckt ein Budget, das meist gerade ausreicht, um die
allgemeinen Infos (Spielpläne, Theaterzeitung, Infoplakate)
zu drucken. Dazu kommen Computer, Fax und Telefon. Im Mittelpunkt
steht immer ein Produkt, das im künstlerischen Raum ziemlich
frei von Zielgruppenforschung entsteht. Positiv formuliert: Der
Mangel fördert die Kreativität. Und: Theatermarketing
ist und bleibt die Kunst, Kunst zu vermarkten, ohne sie zu beschädigen.
Spielplan und Theaterzeitung sind längst gedruckt und verteilt,
wenn das Team sich zur ersten Probe trifft. „Die Zauberflöte“
ist nur ein Stück unter vielen. Am deutschen Stadttheater wird
geklotzt, nicht gekleckert. Hier sind es drei Sparten, acht Spielstätten,
1.000 Veranstaltungen im Jahr. Allein in diesem Monat stehen 13
Produktionen mit 77 Aufführungen auf dem Spielplan, 7 davon
sind Premieren. Mittendrin der traditionelle Großevent , „Tag
der offenen Tür“ im Schauspielhaus.
Was also tun?
Erstens: Das A und O ist die hausinterne Information, denn das
Team der Theaterkasse, das Garderobenpersonal und die Bühnenpförtner
sind die Menschen mit dem ersten und intensivsten „Kundenkontakt“.
Die Ticketverkäufer müssen jederzeit Bescheid wissen –
sie leisten harte Basisarbeit: Über den nüchternen Kartenverkauf
hinaus pflegen sie das persönliche Gespräch mit „ihren“
Theaterfans, wissen, wo Herr Meier am liebsten sitzt und welches
neue Schauspiel Frau Schmidt unbedingt gesehen haben muss. Eignet
sich die neue „Zauberflöte“ für Kinder? Oder
für Tante Herta zum 70. Geburtstag? Fragen, die die Servicekräfte
beantworten müssen, damit der Opernbesuch für den Einzelnen
kein „Flop“ wird. Gerade Mozarts Meisterstück gilt
als „Einstiegsdroge“ für Opernsüchtige –
begeisterte Besucher werden wiederkommen und sich auch andere Opern
ansehen. Das Stadttheater lebt schließlich von seinen Abonnenten
und „Stammkunden“, die jedes Jahr fünf, zehn oder
mehr Aufführungen sehen.
Zweitens: Die Medien müssen motiviert werden. „Das
Theater muss jeden Tag in der Zeitung stehen“, meinen Intendanten
und haben Recht. Aber überzeugen Sie mal den Chef der Lokalzeitung
davon, schon wieder über eine „Zauberflöte“
zu berichten! Themen finden und anbieten: Ein Interview mit dem
Dirigenten („international gefeierter Spezialist“),
ein Bericht über den Regisseur („bekannter Maler mit
Hang zur Oper“), eine Backstage-Reportage aus den Werkstätten
(„lebensgroße Tiere – handgearbeitet“) oder
über die sechs jungen Pantomimen, die eine besondere Rolle
spielen? Nicht alles kommt an. Immerhin: Das Lokalradio lässt
sich für die frisch diplomierten Pantomimen begeistern. Die
Regionalzeitung will einen Termin mit dem Regieteam für ein
Vorgespräch mit Foto. Für das Fernsehen ist die x-te „Zauberflöte“
kein Thema, man einigt sich für später auf einen Beitrag
über die Koproduktion mit der RuhrTriennale.
Positiver Nebeneffekt: Alle angesprochenen Journalisten wollen
auch zum Fototermin mit den 16 neuen Azubis des rund 600 Mitarbeiter
zählenden Theaters kommen. Etliche neue Lehrstellen und sogar
ein neuer Ausbildungsgang – das wollen die Leute lesen. Stadtgespräch
sein, das allgemeine Image verbessern, auch das ist Theatermarketing.
Drittens: Zielgruppenarbeit leisten. Bei der Konzeptionsprobe erklärt
der Regisseur, er will „das Märchen“ der „Zauberflöte“
erzählen, die Dialoge bleiben erhalten. Keine spröde „Neufassung“
des Klassikers – also bestens geeignet für Schulen und
Familien. Die Disposition ist darauf eingerichtet: Etliche Vorstellungen
beginnen speziell für das junge Publikum schon um 17.00 Uhr.
Der Theaterpädagoge bietet das Zusatzprogramm: Schulklassen
erleben einen „Blick hinter die Kulissen“ mit anschließender
Improvisationsstunde. Die Kids dürfen sich kostümieren,
schminken und selbst Theater spielen. Interaktives Marketing für
das Publikum von morgen. Dazu passt auch die Idee der Dramaturgie,
ein T-Shirt zur „Zauberflöte“ herauszubringen und
einen Vorstoß ins Merchandising zu wagen: Die jungen Leute
stehen auf Souvenirs.
Viertens: Multiplikatoren aktivieren. Theater ist ein lokales
und regionales „Geschäft“. Fast jede deutsche Großstadt
„leistet“ sich eine Bühne mit eigenem Haus und
Ensemble. Die Stützen des Theaters sind die Bürger in
Stadt und Region, die die Arbeit „ihrer“ Bühne
aufmerksam verfolgen und im Idealfall zu den regelmäßigen
Besuchern zählen. Angesichts des stetig wachsenden Freizeitmarkts
ist Theater ein Angebot unter vielen: Man geht abends ins Fitness-Center,
„shoppen“ oder ins Kino, fliegt übers Wochenende
irgendwohin oder macht es sich zuhause vor dem Fernseher gemütlich.
Multiplikatoren tragen das Thema Theater in alle Lebensbereiche:
Deshalb sind die Info-Nachmittage für Taxifahrer und Stadtführer,
das Künstlerdiner für Sponsoren und die Backstage-Einladung
für deren Kunden oder Mitarbeiter so wichtig. Ideen gibt es
viele. Was häufig fehlt, ist genügend Zeit und „Manpower“,
um alle Kontakte aufzubauen, zu pflegen und zu nutzen.
Fünftens, sechstens, siebtens: Das Theatermarketing hat alle
Hände voll zu tun. In Zeiten knapper Kassen gibt es an vielen
deutschen Stadttheatern nur einen Vertreter dieser relativ jungen
Zunft – in Personalunion ist er oder sie für die hauseigenen
Veröffentlichungen, die komplette Pressearbeit, interne und
externe Kommunikation sowie Sponsorenbetreuung ebenso zuständig
wie für die Konzeption und Umsetzung neuer Marketingideen.
In Essen ist man neuerdings zu dritt: Hier arbeitet eine Marketingfrau
mit zwei Presse- und Öffentlichkeitsarbeiterinnen zusammen.
Wenn das angeschlossene Konzerthaus eröffnet wird, kommen vier
zusätzliche Mitarbeiter extra für die Vermarktung der
„Philharmonie“ dazu. Am Nationaltheater Mannheim ist
der Bereich Theatermarketing seit Jahren bestens etabliert: Drei
Kolleginnen arbeiten spartenübergreifend mit den vier Pressesprechern
und -dramaturgen in Oper, Schauspiel, Ballett und Kindertheater
Hand in Hand. Hinzu kommen zwei Fachleute für „Regionalmarketing“,
die sich um Besucher aus dem Umland kümmern. Das „Output“
des Theatermarketings ist in Mannheim kontinuierlich gewachsen:
Mit dem größeren Team lassen sich mehr und bessere Ideen
verwirklichen, um die Lust auf das breit gefächerte Stadttheater-Angebot
zu steigern. Dann muss „nur“ noch das Wesentliche stimmen
und das Produkt auf der Bühne Erfolg haben.
Montagmorgen, 11.00 Uhr, in einem deutschen Stadttheater. Ende
der Konzeptionsprobe für die „Zauberflöte“.
Alle machen sich an die Arbeit, jeder in seinem Bereich. Um gemeinsam
an dem Erfolg dieser Inszenierung zu arbeiten. Denn: Wenn sich am
Premierentag vor hoffentlich ausverkauftem Haus der Vorhang öffnet,
steht allein die Kunst im Mittelpunkt…
Heide Koch
* Quelle: Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins, Juli
2003