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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 48
52. Jahrgang | Oktober
Dossier:
Markenprodukt Musik
Am Anfang steht der Appell an die Neugier
Das Erfolgskonzept des Berliner Jugendorchester-Festivals „Young
Euro Classic“
Wer ein Konzert des Festivals „Young Euro Classic“
besucht, fühlt sich wohl. Das ist natürlich ein subjektiver
Eindruck, aber es scheint, als ginge es vielen Konzertbesuchern
so. Das allgemeine Wohlgefühl bestimmt die lockere und doch
festliche Stimmung, die vor dem Konzert und in der Pause gewissermaßen
in der Luft liegt. Woran liegt das? Nur an dem Produkt, also der
im Konzertsaal vernommenen Musik, mag der Purist sagen, der das
ganze „Drumherum“ für überflüssig hält.
Doch er täuscht sich. Zum einen ist das Festival ein Gesamtkunstwerk,
dessen Kern natürlich die – in der Regel hochwertige
– musikalische Darbietung bildet, das jedoch auch darüber
hinaus mit vielerlei Instrumenten Sinne und Emotionen der Menschen
berührt. Zum anderen, weil ohne das „Drumherum“
ein Festival wie dieses erst gar nicht stattfinden könnte.
„Die Devise ‚Friss oder stirb‘ – vornehmer
ausgedrückt: ‚Jedes Kunstprodukt erklärt sich aus
sich selbst‘ – ist ebenso arrogant wie falsch“,
so die Aussage der für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
verantwortlichen Mitarbeiter des Festivals, Julia Becker-Döring
und Michael Horst.
Großer Andrang vor
dem Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt: die Klassik
lockt – das Publikum strömt in die Young Euro
Classic Konzerte. Foto: Thomas Otto
Young Euro Classic lockte in diesem August bereits zum vierten
Mal Besucher nach Berlin. Das künstlerische Konzept: Jugendorchester
aus ganz Europa werden eingeladen, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt
ihr Können zum Besten zu geben. Bedingung ist, dass die zeitgenössische
Musik in jedem Konzert eine wichtige Rolle spielt. In der Regel
werden Orchester von nationalem oder internationalem Niveau eingeladen.
In Deutschland sind dies zum Beispiel die Junge Deutsche Philharmonie,
das Bundesjugendorchester (das in diesem Jahr pausierte) oder das
– international besetzte – Schleswig Holstein Jugendorchester.
Künstlerische Qualität und Professionalität sind
wichtige Faktoren im Festival-Konzept – aber eben nicht die
einzigen.
Enorme Presseresonanz
16 Konzerte und ein „Epilog“ standen auf dem Programm,
die Veranstalter konnten sich über eine hohe Auslastung und
eine enorme Presse-Resonanz freuen – und das, obwohl die Kombination:
Jugendorchester-Konzert plus zeitgenössische Musik keinesfalls
automatisch große Publikumsströme oder ein ausgedehntes
Medien-Echo erwarten lässt. Den Initiatoren des Festivals war
denn auch „bewusst, dass wir zwar Kunst für das Publikum
machen, aber nicht automatisch nach dem Geschmack des Publikums.“
Vielleicht aber ist gerade dies das Erfolgsrezept: Am Anfang steht
der Appell an die Neugier des Publikums; der Hörer wird aufgefordert,
sich auf Unbekanntes einzulassen – gewissermaßen ein
neues „Produkt“ auszuprobieren, – um dann im Idealfall
zu erkennen, dass das Produkt seinen Bedürfnissen gerecht wird.
Beides ist gelungen: Die „Kunden“ kamen und blieben.
Inzwischen hat sich eine Fan-Gemeinde gebildet; Young Euro Classic
ist zur „Marke“ geworden. Dass man im August ein musikalisches
Sommerloch füllt, trägt dazu bei, gegenüber einer
– gerade in der Bundeshauptstadt unübersichtlichen und
vielseitigen – „Konkurrenz“ eine Nische zu erobern.
Konzept und Publikum
„Wir gehen davon aus, dass jedes genau durchdachte und in
sich stimmige Konzept auch sein Publikum findet“. Das inhaltlich-künstlerische
Konzept wird dabei ergänzt durch die Idee des Festes. Dazu
gehört eine speziell für Young Euro Classic komponierte
Hymne, die zu Beginn jedes Konzertes erklingt – von den Blechbläsern
des jeweiligen Orchesters teilweise sehr unterschiedlich interpretiert.
Dazu gehört außerdem die Idee der „Paten“:
Prominente aus Politik und Kultur, die einem Konzert ihren Namen
leihen und zu Beginn einführende Worte sprechen.
Natürlich würde man das Tschechische Studentenorchester
auch genießen, ohne dass Dominique Horwitz zunächst ein
paar Minuten lang amüsant über die Unterschiede zwischen
tschechischem und deutschem Humor nachdenkt. Tiefe gibt es dem künstlerischen
Erlebnis nicht, – aber eine Note, die das Festival zu etwas
Besonderem mit Wiedererkennungswert macht – zur Marke eben.
Weitere „Noten“ dieser Art: das „Bergfest“
zur Hälfte des Festivals und die Empfänge im Rahmen jedes
Konzertes, die zumeist in den Botschaften stattfinden und die Gäste,
Musiker und Sponsoren zusammenbringen.
Ein blauer „Europa-Teppich“ führt das Publikum
die Stufen zum Konzerthaus hinauf – weit sichtbar ebenso wie
das große Transparent, das während des ganzen Festivals
über dem Haus hängt und auch flanierende Touristen und
Berliner neugierig macht. Darüber hinaus verteilen Roller-Blader,
in Festival-T-Shirts gekleidet, Prospekte. Soweit zum „Drumherum“.
Erfolgsfaktor Inhalt
Der eigentliche Erfolgsfaktor des Festivals bleibt die inhaltliche
Idee. Die „Fans“ kommen weder der Roller-Blader wegen,
noch um ein weiteres Mal die blaue Treppe hinaufzugehen. Sie kommen
auch nicht, um einen Promi als Paten zu erleben. Sie kommen, weil
sie von der besonderen Atmosphäre, die ein Jugendorchester
ausstrahlt, von der künstlerischen Qualität begeistert
sind. Und offenbar sogar von der doch teilweise fremd anmutenden
modernen Musik. Ein Produkt, das kein schon zumindest latent vorhandenes
Bedürfnis anspricht, so eine Marketing-Regel, ist in der Regel
nicht erfolgreich. Offenbar stößt das Produkt Young Euro
Classic auf ein Bedürfnis bei Musikliebhabern, aber auch bei
Menschen, die gerade erste Gehversuche mit der klassischen Musik
machen. Ein Bedürfnis, das zum Teil vielleicht erst zu wecken
ist. Ein Verdienst des Festivals ist es im Übrigen, dass es
– teils wegen der jugendlichen Akteure, teils aufgrund der
moderaten Eintrittspreise – viele junge Menschen anlockt.
Zum Erfolgskonzept gehört daneben auch, dass das Festival langfristig,
über mehrere Jahre hinweg angelegt ist und eine nachhaltige
Wirkung erzielen will.
Young Euro Classic beweist, dass es möglich ist, ein hochwertiges
künstlerisches und „kantiges“ Produkt zu entwickeln
und dabei gleichzeitig von Anfang an den „Markt“ im
Auge zu haben. Man kommuniziert mit den Menschen, die man ansprechen
möchte: Publikum, Medien, Sponsoren – lange vor dem eigentlichen
Konzertbeginn. „Man möchte von seinem Gegenüber
verstanden werden“, sagen Michael Horst und Julia Becker-Döring.
Das ist gelungen!