Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2003/06
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2003/10 | Seite 23
52. Jahrgang | Oktober
Hochschule

Auf der Suche nach dem Schulmusiker der Zukunft

Zur Situation der Musiklehrerausbildung in Deutschland · Von Arnold Werner-Jensen

Musiklehrer für allgemein bildende Schulen (also nicht: Musikschullehrer) werden in den Bundesländern unter deren Hoheit zumeist an unterschiedlichen Instituten ausgebildet: an Universitäten, Musikhochschulen und Pädagogischen Hochschulen. Dabei gibt es wechselnde Zuordnungen und Kombinationsmodelle der Schulformen. Nur in Baden-Württemberg existieren noch Pädagogische Hochschulen; sie betreuen die Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschullehrer.

An vielen Musikhochschulen werden schwerpunktmäßig Gymnasiallehrer ausgebildet. Die Universitäten traten in der Lehrerausbildung die Nachfolge der Pädagogischen Hochschulen an, indem sie diese integrierten oder aus ihnen hervorgingen. Sie bilden überwiegend Lehrer für die ursprünglichen Schulformen der Pädagogischen Hochschulen aus, bisweilen erweitert um die Gymnasialausbildung. Die Kombination sämtlicher Schulformen gibt es vereinzelt auch an Musikhochschulen. Je nach regionaler bildungspolitischer Vorgabe wird entweder nach den traditionellen Schulformen zwischen Grundschule und Gymnasium unterschieden oder nach Primarstufe und den beiden Sekundarstufen. Das ganze System ist bundesweit inzwischen derart vielfältig, dass es mit keiner Systematik mehr erfasst werden kann – Symptom einer gründlichen Verunsicherung, jedoch ohne wirklich erkennbare Perspektiven. Insbesondere die traditionelle Trennlinie zwischen Grund-, Haupt- und Realschule einerseits und dem Gymnasium auf der anderen Seite ist fragwürdig. Außer dem Stereotyp „das war schon immer so“ spricht nichts dafür. Wenn es überhaupt eine Trennlinie geben müsste, dann eher zwischen Gymnasium und Realschule einerseits und Grund- und Hauptschule andererseits. Ein Symptom der derzeitigen Lage ist der Gebrauch des Wortes „Schulmusik/Schulmusiker“.

Die traditionelle Reservierung dieser Bezeichnung für Gymnasialmusiklehrer ist bis heute nicht überwunden. Sie bringt unterschwellig eine Rangordnung zwischen vermeintlich höherwertigerer Gymnasial-Schulmusik und den restlichen zweitklassigen Schulformen zum Ausdruck. Gelegentlich hört man aus Behörden, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, dass diese Qualitäts- und Quantitätsunterschiede der Ausbildungsgänge gerade wegen dieser abgestuften Einstellungsbedingungen gewollt sind und deshalb erhalten bleiben müssten. Dass dieses Argument vorgeschoben ist, bestätigen die vereinzelt vorhandenen acht- und mehrsemestrigen Studiengänge auch für Grund-, Haupt- und Realschule (etwa in Würzburg oder in Rostock). Fachliche und pädagogische Argumente für diesen Unterschied hört man in aller Regel nicht, er wird seltsamerweise kaum in Frage gestellt. Halten wir also fest: Schulmusik ist der Oberbegriff für den Musikunterricht an allen allgemein bildenden Schulen.

Zum Problemfall Grundschule

Der Musikunterricht in der Primarstufe bildet das Fundament, auf dem alle anderen Schulstufen aufbauen. In der Grundschule unterrichten wir nämlich alle künftigen Haupt-, Real- und Gymnasialschüler gemeinsam. Jüngere und ältere Forschungsprojekte haben nachgewiesen, wie wichtig eine fachlich qualifizierte Musikunterweisung im Vor- und Grundschulalter ist. Zugleich belegen sie, dass kontinuierlicher qualifizierter Musikunterricht Intelligenz und soziale Kompetenz fördert (Bastian). Um so unbegreiflicher ist es, dass ausgerechnet der Musikunterricht in dieser Schulstufe besonders im Argen liegt. Die Unterrichtsversorgung ist allenthalben mehr als mangelhaft, fachlich qualifizierter Unterricht ist eher die Ausnahme als die Regel. Genaue statistische Zahlen hierzu werden zwar von den Behörden der Öffentlichkeit vorenthalten, doch darf es als gesichert gelten, dass die Mehrzahl der Musikstunden in der Grundschule entweder fachfremd erteilt wird oder ausfällt. „Fachfremd“ bedeutet, dass Musikunterricht von Lehrkräften gehalten wird, die nicht Musik studiert haben, oft nicht einmal eine fachliche Fortbildung erfahren haben und häufig auch nicht dafür geeignet sind. Dabei soll nicht geleugnet werden, dass auch fachfremder Unterricht hin und wieder erfolgreich sein kann. Die offizielle Statistik über die (von wem auch immer) gehaltenen Stunden weist eine Quote von über neunzig Prozent gehaltenen Musikstunden aus; dies sagt jedoch über die tatsächliche Unterrichtsqualität nicht das Geringste aus.

Wie reagieren auf diese Negativbilanz nun die zuständigen Behörden? Wiederum dient Baden-Württemberg als Beispiel. In den Stundentafeln für die Grundschule bildet dieses Land seit einigen Jahren mit einer einzigen Wochenstunde Musik das Schlusslicht aller Bundesländer. Auf diese Weise hat man den Bedarf an Musiklehrerstunden drastisch reduziert. Der Forderung der Lehrenden an den Hochschulen, der Musikunterricht an den Grundschulen gehöre in die Hand von fachlich qualifizierten Lehrkräften, werden folgende Argumente entgegengesetzt: In der Primarstufe gilt das absolute Klassenlehrerprinzip, es sollen – zumindest in den ersten zwei Schuljahren – keine Fachlehrkräfte eingesetzt werden, in Klasse drei und vier nur ausnahmsweise. Die konsequente Umsetzung dieses Prinzips würde bedeuten, dass man von allen Grundschullehrkräften verlangen müsste, dass sie in ihrer Ausbildung auch Musikanteile erhalten. In der Tat ist das eine ständig vorgebrachte ministerielle Forderung, die mit teilweise absurden Zusätzen einhergeht: So dachte man daran, von allen Grundschulstudierenden einen Nachweis über eine (beliebige) musikalische Tätigkeit vor Beginn des Studiums zu verlangen („Mitwirkung im Kirchenchor“ oder Ähnliches). Alle Fachleute sind jedoch der Auffassung, dass zum Erteilen von Musikunterricht unabdingbar Eignung und Neigung gehören. Als Konsequenz müsste also jeder Grundschulstudierende vor Beginn seines Studiums auf seine musikalische Eignung hin getestet werden. Diese Bedingung wird behördlicherseits selbstverständlich abgelehnt, weil sich die Zahl der künftigen Grundschullehrer auf diese Weise drastisch reduzieren würde. Im Übrigen gab es diese Art der Ausbildung mit Pflichtanteil Musik („Blockflöte und Singleitung“) bereits zu Zeiten der Pädagogischen Institute und es ist eine der wichtigen Errungenschaften der Vergangenheit, dass man so etwas abgeschafft hat.
Zum Klassenlehrerprinzip: Es ist richtig, dass man Grundschulkindern in den ersten Jahren nicht zu viele Bezugspersonen zumuten sollte. Andererseits bringt die Fixierung auf eine einzelne Bezugsperson in Gestalt des Klassenlehrers auch die Gefahr mit sich, dass bei gegenseitiger Antipathie kein Ausweichen möglich ist. Eine oder mehrere zusätzliche Bezugspersonen können hier entlastend und entspannend wirken. Es ist eine pädagogische Mär, dass Grundschulkinder nicht mehrere Lehrkräfte verkraften. In unserer Zeit sind bereits Kinder im Vorschulalter aus unterschiedlichsten Gründen wechselnde Bezugspersonen
gewöhnt: etwa weil beide Elternteile arbeiten oder weil die allein erziehende Mutter auf fremde Hilfe angewiesen ist. Der sinnvolle Kompromiss wäre also: ein Klassenlehrer für die allgemeinen Fächer, Fachlehrkräfte für „Spezialfächer“ wie Musik- und Kunsterziehung sowie Sport. Im Falle der Religionslehre übrigens geht es ja auch, nur weil hier eine starke Lobby in Gestalt der Kirchen dafür wirkt, eigene Lehrkräfte einzusetzt. Eine weitere, bundesweit relativ häufige Antwort auf den großen Bedarf an Musiklehrern für die Primarstufe ist die Einrichtung von Neben- und Kleinstfächern im Studium, mit minimaler Stundenausstattung und oft völlig fehlender fachpraktischer Ausbildung. Häufig geht das Fach Musik in solchen Fällen zudem in übergeordneten Fächerverbünden auf. Hier tat sich wiederum Baden-Württemberg früh hervor, indem es in den Achtzigerjahren den „Musisch-ästhetischen Gegenstandsbereich“ (Sport, Musik und Kunst) gegen den überwiegenden Widerstand der Lehrenden an den Hochschulen einführte. Dabei wurde eins der Fächer zum (reduzierten) Hauptfach, die beiden übrigen in Zwangskoppelung mit wenigen theoretischen Stunden zu ergänzenden Fächern. Die Lehrbefähigung wurde in allen drei Fächern bescheinigt, in den Grundschulen des Landes aber wurde niemals „Musisch-ästhetischer Gegenstandsbereich“ eingeführt. Bis zur Abschaffung dieses unglücklichen Experiments, das allein der statistischen Behebung des Lehrermangels diente, hat es etwa zwei Jahrzehnte gedauert. Die neueste Horrormeldung hierzu stammt wieder aus Baden-Württemberg: Hier plant man nun, das Fach Musik in der Grundschule völlig in einem Fächerverbund „Mensch, Natur und Kultur“ aufgehen zu lassen, ohne eigens ausgewiesene Stundenanteile und ohne Zeugnisnachweis für das einzelne Fach – so löst man hier das leidige Problem des Fachlehrermangels! Eine derartige Maßnahme würde eine partielle Abschaffung des Musikunterrichtes bedeuten.

Zu den Studieninhalten

Relativ einig sind sich bundesweit alle Studien- und Prüfungsordnungen darin, dass das Fach Musikerziehung in die drei Teilbereiche Musikpraxis, Musikwissenschaft und Musikdidaktik gegliedert ist. Sie müssen in angemessener Gewichtung im Studium enthalten sein. Hierin stimmen bemerkenswerterweise die wissenschaftlichen Hochschulen (PH und Universität) mit den Musikhochschulen zumindest grundsätzlich überein. Allerdings weichen die Stundenanteile und auch deren praktische Umsetzung recht deutlich voneinander ab. Am größten sind die Differenzen im fachpraktisch-künstlerischen Teil der Ausbildung. Zwar schreiben bis heute alle Institute jedem Studierenden zumindest ein Instrument verpflichtend vor; die überwiegende Mehrzahl fügt ein Zweit-(Neben-)Instrument hinzu sowie eine Gesangsausbildung. Die Dauer dieser Instrumental- und Gesangsausbildung allerdings schwankt extrem zwischen Maximum (studienbegleitend) und Minimum (drei bis vier Semester nur im Hauptinstrument, zwei Semester im Gesang). Das Maximum taucht fast ausnahmslos in allen Gymnasialausbildungen auf, aber durchaus auch in manchen Studiengängen für die übrigen Schulformen, auch für die Primarstufe. Dabei befindet sich das selbsternannte „Musikland“ Baden-Württemberg mit seinen Pädagogischen Hochschulen nicht nur am unteren Ende der Quantitätsskala, sondern leistet sich auch noch die Absurdität, den selbstverständlichen Einzelunterricht in Instrument und Stimme immer wieder in Frage zu stellen und zwar allein aus Ersparnisgründen. Der Widerstand des zuständigen Ministeriums verhinderte, dass in den Studienordnungen der Einzelunterricht verbindlich vorgeschrieben wird, obwohl er in fast allen anderen Ausbildungsinstituten ausdrücklich genannt wird.
Allmählich ist Bewegung in die Diskussion über Sinn und Zweck der Instrumental- und Gesangsausbildung gekommen. Vor allem für das Zweitinstrument werden zunehmend schulpädagogische Bezüge berücksichtigt (verpflichtende Wahl eines Akkord- oder Harmonieinstrumentes). Auch im Hauptinstrument werden durch die Prüfungsordnungen vermehrt unterrichtpraktische Bezüge verlangt und formuliert. Es scheint jedoch immer noch Konsens zu sein, dass die Ausbildung zum Musiklehrer zugleich auch eine zumindest partielle Ausbildung zum Musiker sein soll. Die klassische Frage „Was soll ich damit später in der Schule?“ ist mit Recht nach wie vor nicht der einzige Maßstab für die Auswahl der Studieninhalte.

Anspruchsunterschiede

Groß sind allerdings immer noch die Anspruchsunterschiede bei den vorgeschalteten Aufnahme- oder Eignungsprüfungen. Immerhin scheinen die alten Extrempositionen allmählich aufzuweichen: Die Musikhochschulen denken darüber nach, ob künstlerische Höchstleistungen für den Beruf des Schulmusikers nötig sind und erkennen die Fragwürdigkeit dieses Kriteriums. Die wissenschaftlichen Hochschulen überprüfen in einem Eignungstest zumindest das Vorhandensein der unbedingt notwendigen Grundlagen, ohne die man ein derartiges Studium nicht bestehen kann. Allerdings wird in Baden-Württemberg seitens der zuständigen Ministerien diese Eignungsprüfung immer wieder in Frage gestellt. Es werden jedoch nicht etwa fachlich-qualitative Argumente dagegen vorgebracht, sondern allein die Behauptung, die Prüfung schrecke Bewerber ab und reduziere somit die Zahl der künftigen Musiklehrer, vor allem im Grundschulbereich.

Fachwissenschaft und -didaktik

Ein Diskussionsfeld grundsätzlicher Natur ist das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik zueinander, besonders im Gefolge der PISA-Studie. Vereinfacht kann man konstatieren: Universitäten bilden seit jeher nicht für Berufe aus, sondern vermitteln wissenschaftliche Fachkompetenz. Musikhochschulen legen ihren Schwerpunkt auf die künstlerisch-praktische Ausbildung, also ebenfalls auf Fachkompetenz, aber eben auf künstlerische. Pädagogische Hochschulen und die aus ihnen hervorgegangenen Institute an Universitäten verbinden Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Diese Unterscheidung besteht weiterhin, doch verschwimmen die Grenzen zusehends. Allerdings verläuft der Prozess einer gegenseitigen Annäherung schwierig und wird durch nicht ausrottbare Vorurteile behindert.
In der derzeitigen Bildungsdiskussion ist die Tendenz zu stärkerer Betonung der pädagogisch-didaktischen Ausbildungsanteile erkennbar. Ich halte das grundsätzlich für richtig, doch darf sich daraus nicht eine automatische Reduzierung der fachwissenschaftlichen (und im Fach Musik der fachpraktischen) Anteile ergeben. Es wäre falsch, wenn man sich einen Ausweg aus der dokumentierten Schulmisere in Deutschland vorrangig von einer einseitigen Betonung der Didaktik erwarten würde. Genau das aber kann leider eintreten: Bislang sind alle durchgreifenden Reformen auf dem Gebiet der Lehrerausbildung vor allem daran gescheitert, dass von Seiten der politischen Instanzen zumindest „Kostenneutralität“ zur Bedingung gemacht wurde, wenn nicht bei solcher Gelegenheit auch gleich noch nach zusätzlichen Sparquellen gesucht wurde. Mit dem Sparargument aber tötet man jede Reform.

In den Musikhochschulen haben sich in den vergangenen Jahren die Musikdidaktiker und auch die Musikwissenschaftler in zähem Ringen höhere Stundenanteile erkämpfen können. Wie schwierig dieser Kampf (vor allem gegen die Künstlerlobby im eigenen Haus, aber auch gegen die Kultusbürokratie) aber immer noch ist, das zeigen einzelne Ergebnisse.

So wurde in Baden-Württembergs Musikhochschulen erst kürzlich ein so genanntes Praxissemester am Gymnasium eingeführt, durch das das Studium an der Hochschule in der Mitte unterbrochen wird. Erst nach langen Diskussionen konnte eine Mindestkontinuität an künstlerischer Ausbildung auch während dieses Semesters gesichert werden. Auf die Nachfrage, warum man sich denn in der Diskussion über die Verstärkung des schulpraktischen Bezuges so schwer getan habe und ob man sich bei den Pädagogischen Hochschulen informiert habe, da diese seit langem einen vielfältig und bestens bewährten Schulpraxisbezug besitzen, kam nur ein erstauntes „Nein“. Diese Reaktion offenbart symptomatisch, wie stark die bestehenden Vorurteile der einzelnen Ausbildungsinstitutionen untereinander sind, verbunden mit einer daraus sich ergebenden Unkenntnis ihrer Vor- und Nachteile.

Der Verfasser ist Professor für Musik und ihre Didaktik an der PH Weingarten in Baden-Württemberg

 

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |