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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 26
52. Jahrgang | Oktober
Jeunesses Musicales Deutschland
Nachklänge nach der Kompositionswerkstatt
Die erste Weikersheimer Stadtkomponistin, Charlotte Seither,
im Gespräch
Die „Kompositionswerkstatt Schloss Weikersheim“, Höhepunkt
des von der JMD jährlich durchgeführten „Bundeswettbewerbs
Komposition“, hatte im August eine besondere Gastdozentin:
Charlotte Seither, die soeben erst bestellte Weikersheimer Stadtkomponistin.
Die neue musikzeitung interessierte sich für die spannende
Wiederbegegnung der jungen Komponistin mit ihren frühen Wurzeln.
neue musikzeitung: Eine ihrer ersten Aufgaben in Weikersheim
war die Mitwirkung bei der Kompositionswerkstatt der JMD. Sie haben
vor 20 Jahren selbst einmal daran teilgenommen. Wie war das damals?
Weikersheimer Stadtkomponistin:
Charlotte Seither. Foto: Judith Metz
Charlotte Seither: Es war eine wichtige Anregung, weil man
als komponierendes Kind in der Regel keinen Ansprechpartner hat,
an den man sich wenden kann. Ich habe diesen Kursen „Schüler
komponieren“, wie sie damals hießen, richtig entgegen
gefiebert: Man konnte dort Stücke zeigen, ohne Angst, dass
man sich dafür entschuldigen oder rechtfertigen muss oder dass
sie als „Ablenkmanöver“ vom Klavier üben eingestuft
wurden. Später, als ich sehr guten Klavierunterricht hatte,
war es dann selbstverständlich, dass ich dort auch eigene Stücke
zeigen und spielen durfte. In der frühen Zeit waren die Weikersheimer
Kurse jedoch ein Ventil: Man erstickt als Kind, wenn man sich in
seiner kompositorischen Welt nicht einem Gegenüber mitteilen
kann.
nmz: Komponieren mit Kindern und Jugendlichen hat nicht
den Stellenwert wie der Unterricht in Klavier, Flöte oder Geige...
Seither: Das wäre gerade wichtig, weil man in der
Schule oder in anderen Arbeitszusammenhängen nur selten Gleichaltrige
findet, die sich in der selben Entwicklungssituation befinden. Bei
der Weikersheimer Kompositionswerkstatt finden Kinder andere, die
Gleiches erleben. Es ist eine wichtige Erfahrung zu spüren,
dass man nicht allein ist – auch wenn man dies als Kind nicht
immer kommunizieren kann.
nmz: Gibt es noch Werke aus der Zeit Ihres Kammermusikkurses
oder geben Sie die nicht an die Öffentlichkeit?
Seither: Ja, es gibt diese Stücke. Ein Stück
heißt „Kleiner, einsamer Nachklang“. Es ist zwar
nicht in Weikersheim geschrieben, steht aber im Weikersheimer Arbeitszusammenhang
und wird bis heute regelmäßig gespielt. Ich war 1980
in Weikersheim, das Stück entstand 1981.
nmz: Wie oft besuchten Sie den Kurs?
Seither: Zweimal den Kurs „Schüler komponieren“
sowie einmal den Kurs „Orgel-Improvisation“ bei Theo
Brandmüller. Das Improvisieren war mir wichtig, weil man sich
hier auch körperlich an der Orgel ausdrücken konnte. Ich
habe es stets genossen, diese Kräfte auch im Akt des Musizierens
zu verspüren und sie dabei regelrecht aus mir herauszuschleudern.
Man macht sich vorab Gedanken über den Aufbau und die Gestalt
einer Improvisation, aber im konkreten „In-die-Tasten-greifen“
ist alles doch ganz anders. Das ist etwas Wunderschönes. Ich
empfinde bis heute eine große Lust an der freien Improvisation.
nmz: Jetzt als Weikersheimer Stadtkomponistin sind sie in
die Rolle des Dozenten geschlüpft. Was ist das grundsätzlich
andere, wenn man mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam komponieren
will, im Gegensatz zu einem „normalen“ Meisterkurs?
Seither: Die emotionale Bedürftigkeit dieser Kinder
und Jugendlichen ist eine andere, weil viele Male der Zerbrechlichkeiten
noch offen liegen. Es geht dabei nicht nur darum, dass man etwas
über Instrumentation oder ähnliches lernt – das
lernen die Schüler relativ schnell –, sondern ein Gespür
dafür zu entwickeln, wo diese Menschen ihre ganz persönliche
Innenwelt auffalten, die irgendwann zu ihrer eigenen, musikalischen
Sprache wird, sie davor zu schützen, dass nicht irgendeine
Kerbe in ihre Zerbrechlichkeiten schlägt. Dass man sieht: Aus
diesem Menschen kann irgendwann einmal eine Musik hervorbrechen,
von der er selbst noch gar nichts weiß.