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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 8
52. Jahrgang | Oktober
Kulturpolitik
Ein Dachverband muss Brücken schlagen
Interview mit dem Präsidenten des Deutschen Musikrats Martin
Maria Krüger
Vor einem Jahr begann sich die Insolvenzkrise abzuzeichnen, in
die der Deutsche Musikrat geschlittert war. Jetzt gibt es deutliche
Zeichen der Konsolidierung. Unter neuen Vorzeichen oder unter weitgehender
Wahrung der Kontinuität? Mit dem neuen Präsidenten Martin
Maria Krüger sprach Reinhard Schulz.
nmz: Herr Krüger, als der Musikrat in die Insolvenz
geriet, sprach man von Mängeln der Rechnungsführung, von
Fehlbuchungen et cetera. Sehen Sie auch darin die größten
Versäumnisse des alten Musikrats, oder gab es für Sie
auch andere, also strukturell inhaltliche Versäumnisse?
DMR-Präsident Krüger
beim Kongress „Musik bewegt!?“. Foto: Susanne
Fließ
Martin Maria Krüger: Vielleicht ist nach 50 Jahren
ohnehin einiges in Frage zu stellen. Ein Verband, der sich seit
fünf Jahrzehnten laufend vergrößerte und weiterentwickelte,
sich auch immer mehr verzweigte – was zum Teil die Probleme
der Rechnungsführung erklärt –, bietet sicherlich
immer Ansatz zur Kritik. Aber ich möchte grundsätzlich
festhalten: Die Tatsache, dass man alles tat, um den Musikrat zu
erhalten, auch von Seiten der Politik, spricht ja dafür, dass
der Musikrat eine solch qualitätsvolle Arbeit aufgebaut hatte,
dass man glaubte, auf ihn nicht verzichten zu können.
nmz: Was sind die neuen Zeichen: Kontinuität oder
struktureller Wandel?
Krüger: Das ist kein Entweder-Oder. Kontinuität
muss überall da walten, wo Dinge als gut erkannt werden. Es
gibt ja den Modebegriff der Nachhaltigkeit. Die Mehrzahl aller Projekte
des Deutschen Musikrats sind auf Langfristigkeit angelegt und haben
Enormes bewirkt. Nehmen wir nur „Jugend Musiziert” oder
das Bundesjugendorchester oder auch die CD-Reihe „Edition
Zeitgenössischer Musik“. Was freilich hinzukommen muss,
ist eine größere tagespolitische Orientierung des DMR.
Viele Dinge bewegen sich heute sehr schnell, auf manches muss kurzfristig
reagiert werden. Denken wir an die Ganztagsschule, denken wir daran,
dass der Bundespräsident uns einen wunderbaren Ball mit seinem
„Musikfest für Kinder” zugespielt hat. Das war
ein Startschuss für durchgängige musische und musikalische
Bildung für die Kinder an allen allgemein bildenden Schulen
einschließlich der vorausgehenden Kindertagesstätten.
Hier müssen wir schnell reagieren.
nmz: Ist es nur eine Frage der schnellen und flexiblen
Reaktion oder gibt es auch neue inhaltliche Akzente?
Krüger: Die gibt es wohl und das wird den ganzen Musikrat,
der ja Gruppierungen vereinigt, die manchmal fast widersprüchlich
zueinander stehen, sehr beschäftigen. Vor allem geht es darum,
die Grenzen zwischen der sogenannten U- und E-Musik zu durchbrechen
– sagen wir ruhig, die Grenzen zwischen der Pop-Rock-Musik
und der ernsten zeitgenössischen Musik. Hier liegt eine ganz
große Aufgabe und ich bin zutiefst der Überzeugung: Wenn
uns dies nicht gelingt, wird die zeitgenössische Musik immer
mehr zu einer Nischenkultur in einer Gesellschaft, die sich dafür
nicht interessiert. Wir werden das Interesse bei einem breiteren,
vor allem jüngeren Publikum nur dann wecken, wenn wir auf die
Musik eingehen, womit dieses ganz selbstverständlich aufgewachsen
ist.
nmz: Bislang war es doch eher so, dass sich der Musikrat
gerade für Aktivitäten in Nischen, in Nischen intensiver
musikalischer Arbeit natürlich, eingesetzt hat. Jetzt sieht
es so aus, als würde man sich auf eine Schiene verlagern, die
dem Populismus näher ist.
Krüger: Das denkt man nur. Das ist nicht richtig.
Der DMR muss immer als ein zentrales Anliegen die Pflege und Weiterentwicklung
der, sagen wir, Hochkultur haben. Naturgemäß ist das
eine Pflege von aktiven Minderheiten. Aber wir müssen uns fragen:
Was ist der Musikrat? Wenn er mit dem Anspruch auftritt, er sei
die Vertretung von acht Millionen musizierenden oder musikinteressierten
Leuten, dann kann er das überhaupt nur, wenn er alle Bereiche
einschließt. Ich bin der Überzeugung, dass der Musikrat
als Dachverband die Aufgabe hat, unter seinem Dach Brücken
zu schlagen. Er muss ein Bewusstsein dafür wecken, dass die
Bereiche sich gegenseitig helfen müssen, Sparten, die sich
gar nicht ausschließen. In weiten Bereichen der so genannten
Laienmusik zum Beispiel gibt es die Trennung von U und E in dieser
Form überhaupt nicht.
nmz: Sie kennen die Ängste diesbezüglich: Der
Teufel der geringen Breitenwirkung wird durch den Beelzebub „Masse
erdrückt Qualität“ oder „Event ersetzt musikalisches
Erleben und Wahrnehmen“ ausgetrieben.
Krüger: Wir sehen schon die Gefahren. Teile der Popkultur
können durch Dauerberieselung zu einer alles differenzierte
Hören erstickenden Soße werden. Das aber ist nicht gemeint.
Wir müssen alles ermuntern, was in diesem Bereich Qualitätsvolles
geschieht. Es war immer Auftrag des Musikrates, Qualitätsvolles
zu fördern. Und mit dem Wettbewerb „School Jam“
ist ein erster Einstieg gewählt worden. – Und nun zum
Begriff „Event“. Der ist ja im Grunde nichts Schlechtes.
Ein Event ist die Komprimierung von Einzelereignissen zu einem Ganzen.
Die Salzburger Festspiele sind etwa ein Event. Es ist heute freilich
ein Trend, dass man solche Ballungen intensiver sucht. Der zunehmend
negativ besetzte Begriff Event-Kultur muss eigentlich nichts Negatives
bedeuten. Man muss nur das Richtige daraus machen.
nmz: Welche Hebel will der Musikrat dafür in Gang
setzen?
Krüger: Wir denken daran, im Jahr 2005 ein Festival
oder sagen wir es so: ein Event zu veranstalten, in dem sich die
verschiedenen Sparten der Musik unserer Zeit – ich sage das
einmal so wertfrei – begegnen. Die Grundidee ist, Qualität
aus den verschiedenen Bereichen, von Pop über Crossover bis
zur E-Avantgarde zu konfrontieren. Es ist ein gezielter Versuch,
an junge Menschen heranzukommen und ihre Neugier für anderes
zu wecken. Bisher lief die Arbeit des Musikrats eher so, dass man
versucht hat, in die klassische Konzertsaalsituation die Neue Musik
als etwas Selbstverständliches zu integrieren. Wenn wir ehrlich
sind, ist das weitgehend misslungen. Die in diesem Sinne initiierten
„Konzerte des Deutschen Musikrats“, die vor 20 Jahren
als Anschubmaßnahme gedacht waren, stehen heute noch vor den
gleichen Problemen wie damals. Also haben sie keine unabhängige
Dynamik entwickelt. Wir müssen also nach neuen Wegen suchen.
Auch auf die Gefahr erneuten Scheiterns hin.
nmz: Bedeutet das, dass die in ihrer Intention gescheiterten
Unterstützungsmaßnahmen „Konzerte des DMR”
künftig etwas tiefer gehängt werden?
Krüger: Wir müssen sehen: Es gab eine erfreuliche
Menge Konzerte mit zeitgenössischer Musik. Aber die damit verbundene
Idee der Nachhaltigkeit, des Selbst-Tragens ist nicht erreicht worden.
Die Tatsache, dass die Politik selber – Ministerin Weiss setzt
eine Arbeitsgruppe ein, um Projekte dieser Art zu evaluieren –
die Zügel in die Hand nimmt, ist auch darin begründet,
dass der Musikrat seit gut zwanzig Jahren kaum über neue Wege
nachgedacht hat. Wir wissen natürlich, dass diese Maßnahmen
unter Federführung des großartigen Klaus Bernbacher auch
wesentlich zur Unterstützung von Ensembles für Neue Musik
beitrugen. Hier müssen wir sehen, dass wir nicht plötzlich
Einschnitte vornehmen, die existenzbedrohend sind.
nmz: Wie sieht es mit anderen Projekten aus, zum Beispiel
mit der CD-Reihe „Edition Zeitgenössische Musik”,
derzeit erscheinen vier CDs mit Porträts junger Komponisten
im Jahr? Wird das so weitergeführt?
Krüger: Ich will das heute so nicht sagen. Die Einzelevaluation
der Projekte kann erst jetzt beginnen, das muss mit einer gewissen
Ruhe, einem längeren Atem erfolgen. Die EZM hat ein großes
Renommee, auch international, wenn es Änderungen gibt, dann
nur, wenn man sich sehr genaue Gedanken gemacht hat. Das ist auch
eine Debatte, die mit der Ministerin und ihrer Arbeitgruppe geführt
werden muss. Natürlich müssen wir berücksichtigen,
dass der Musikrat in den letzten Jahren in der Gefahr war, über
seine Verhältnisse zu leben. Das wird derzeit auch nicht besser.
So stehen auch manche Projekte des DMR in Konkurrenz miteinander.
Geld, über das wir nicht gesichert verfügen können,
kann nicht spekulativ verausgabt werden. Das ist Notwendigkeit.
nmz: Was heißt Evaluierung? Dass sich die Projekte
rechnen?
Krüger: Es ist die Frage: Stehen Kosten und Leistung
in einem richtigen Verhältnis? Wenn man etwas als wichtig einschätzt,
dann muss man sich fragen, wie man Gelder dazu bekommt. So verstehe
ich hier Evaluierung.
nmz: Früher war es so, dass der Musikrat die einzelnen
Projekte beantragte. Daran hat sich nun etwas geändert.
Krüger: Im Grundsatz gilt das weiter. Aber wir haben
durch die Festbetragsfinanzierung einen größeren Bewegungsspielraum
– in gewissem Umfang. Schwerpunkte können bei Bedarf
jährlich neu gesetzt werden. Es gibt eine viel deutlichere
Trennung zwischen der politischen Verbandsarbeit und der projektbezogenen
Arbeit, da die Projektmittel jetzt in der Deutscher Musikrat gemeinnützige
Projekt-GmbH abgeschichtet wurden. Dort wird ein Aufsichtsrat installiert,
in dem neben dem alleinigen Gesellschafter Deutscher Musikrat (mit
einer Mehrheit von einer Stimme) auch Vertreter der öffentlichen
Hand und der größten privaten Geldgeber sitzen werden.
nmz: Musik in der (Ganztags-) Schule, im Lichte von PISA.
Das ist ein Schwerpunkt, der jetzt unmittelbar aufgegriffen werden
soll.
Krüger: Es geht darum, dass musische Bildung –
also auch andere Künste und Sport – wieder intensiver
in die schulische Ausbildung integriert wird. Es hat sich längst
die Einsicht breit gemacht, dass die großen Ausbildungsbereiche
– schulisch und außerschulisch, also hier Musikschulen
und Privatmusikerzieher, auch Verbände und Orchester –
zusammenarbeiten müssen, um ein tragfähiges Bildungskonzept
zu schaffen.
nmz: Einen Hebel sehen sie hier auch in der Hinwendung zu
popularen Bereichen?
Krüger: Ich gelte ja inzwischen schon fast als Palastrevolutionär,
auch wenn ich gar nicht aus dem Bereich komme. Aber eines sage ich
ganz klar: Wenn es uns als Deutscher Musikrat nicht gelingt, die
Menschen, deren zentrales Interesse sich auf die Popularmusik richtet,
zu erschließen und zu einer gewissen Identifikation mit uns
zu bringen, so dass wir sagen können: Der Deutsche Musikrat
steht für „die Musik“ in Deutschland – wie
zum Beispiel der Deutsche Sportbund für „den Sport“
–, dann werden wir regelrecht unsere Existenzberechtigung
verlieren.
nmz: Die Zusammenlegung des Bundesfachausschusses Neue Musik
und Popmusik geht in diese Richtung?
Krüger: Diesen Beschluss hat das Präsidium soeben
geändert: Es wird zunächst zwei eigenständige neue
Bundesfachausschüsse „Populäre Musik” und
„Neue Musik” geben –auch letzteren gab es ja bisher
nicht, vielleicht der tiefere Grund für fehlende innovative
Impulse in den zurückliegenden Jahren! Ziel bleibt aber mittelfristig
die Zusammenführung. Und manche Themen sollen bereits gemeinsam
bearbeitet werden: Wenn beispielsweise ein Grundkonsens entsteht,
dass eine musische Bildung, die erfolgversprechend sein soll, beide
Komponenten einbezieht, dann kann der Musikrat Stoßkraft entwickeln.
Entweder werden die Schlachten von den Fachleuten selber geschlagen,
als Ringen um das Anliegen „Beförderung der musischen
Bildung”, oder aber es herrscht eine gegenseitige Nicht-Wahrnehmung,
was dazu führt, dass eine zentrale Druckwelle in Sachen Musik
gar nicht entsteht.
nmz: Wäre dies Ihr Wunsch zum 50. Geburtstag des Deutschen
Musikrats?
Krüger: Wir haben ja, unseren gegenwärtigen Voraussetzungen
entsprechend, relativ still gefeiert; die Stadt Bonn schenkte uns
gewissermaßen eine Geburtstagsveranstaltung. Hauptwunsch ist,
dass uns der von mir immer wieder geforderte Brückenschlag
zwischen den verschiedenen Bereichen der Musik unserer Zeit und
unserer Zeitgenossen gelingt und dass in wenigen Jahren Dinge, um
die wir heute ringen, selbstverständlich geworden sind.