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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 1
52. Jahrgang | Oktober
Leitartikel
Der Musikerkorpus als Notgroschengrab
Auf der Suche nach Geld: freie Ensembles · Von Gerhard
Rohde
Die Rechnung erscheint einfach: Wenn hundert Privatpersonen pro
Kopf vierhundert Euro spenden, kommen vierzigtausend Euro zusammen.
Diesen Betrag könnte beispielsweise das in Hamburg ansässige
„Ensemble Resonanz” in Zeiten sinkender Zuschüsse
und zaudernder Konzertveranstalter gut gebrauchen. Die Sache, die
sich die „Resonanz”-Musiker in diesen Tagen überlegen,
hat aber einen aparten Nebenaspekt: Die jeweilige Privatperson zahlt
die Zuwendung nicht pauschal an das Ensemble, sondern jeweils für
einen einzelnen der insgesamt achtzehn Mitglieder des Orchesters.
Unwillkürlich denkt man dabei – um bei der Musik zu
bleiben – an Flotows Oper „Martha“, in der sich
hübsche Mägde auf dem Markt von Richmond gegen ein kleines
Handgeld reichen Pächtern verdingen. Im „Resonanz“-Fall
wäre zu befürchten, dass sich die betuchten Wohltäter
zunächst alle auf die hübscheste Geigerin kaprizieren,
während für den unscheinbaren Flötisten womöglich
niemand einen Hunderter zu berappen bereit ist. Wie der musikalische
Sklavenhandel auch ausgehen mag: Er wirft ein bezeichnendes Licht
auf das Musikland Deutschland, in diesem Fall insbesondere auf die
Situation freier Ensembles. Da kann der Bundespräsident noch
so hochgestimmt das Hohe Lied auf Frau Musica und deren wichtige
Aufgabe für die Erziehung des Menschengeschlechts anstimmen,
es hört keiner drauf: Musikschulen werden weiterhin hinter
seinem Rücken zugesperrt oder bis zur Unkenntlichkeit verkleinert,
Kultur und Bildung müssen sich überall schmerzhafte Sparkuren
verordnen lassen, obwohl sich häufende internationale Expertisen
bedrohliche Defizite bei der deutschen Kopfarbeit diagnostizieren
– es hilft alles nichts, weil der Fisch bekanntlich vom Kopf
stinkt, und die uns regierenden Fische offensichtlich keine Nasen
besitzen, um auch nur den eigenen Aasgestank zu bemerken.
Das Beispiel des „Ensemble Resonanz“ in Hamburg steht
für vieles andere. Da finden sich vor zehn Jahren achtzehn
junge, hochqualifizierte Instrumentalisten zusammen und gründen
ein Ensemble: Eine freie Gruppe in der Rechtsform einer GmbH, in
der jeder einzelne Musiker zugleich Gesellschafter ist, auch der
Geschäftsführer besitzt diesen Gesellschafterstatus. Die
Musiker rekrutieren sich vornehmlich aus der Jungen Deutschen Philharmonie,
weshalb sich das Ensemble zunächst in Frankfurt am Main niederlässt.
Zwei Jahre später wird der Sitz nach Hamburg verlegt, dort
haben etliche Mitglieder studiert oder ihre Heimat, auch erscheinen
die Entfaltungsmöglichkeiten günstiger. In Frankfurt agiert
auch das Ensemble Modern, das eine ähnliche Organisationsstruktur
aufweist, aller-dings konsequent auf Neue Musik und Avantgarde ausgerichtet
ist. Das „Ensemble Resonanz“ pflegt dagegen ein breites
Repertoire vom Barock bis in die Gegenwart. Auch die Besetzung unterscheidet
sich erheblich, im „Resonanz-Ensemble“ finden sich vornehmlich
Streicher.
In Hamburg hat man sich im Verlauf der Jahre seit 1996 eine solide
Basis, künstlerisch und auch finanziell erarbeitet. Die Konzerte
im Kleinen Saal der Musikhalle sind durchschnittlich von rund vierhundert
Musikfreunden besucht. Wenn demnächst der Geiger Frank Peter
Zimmermann mit Mozart-Konzerten auftritt, werden im Großen
Saal zwölfhundert Besucher erwartet. Solche Auslastungen sind
aber auch dringend notwendig, damit die Musiker des Ensembles zu
Geld kommen, für Saalmieten, Materialkosten et cetera und natürlich
auch für den privaten Lebensunterhalt, der ohnehin karg genug
erscheint. Bisher brachte das Ensemble neunzig (!) Prozent seines
Gesamtetats durch die Konzerte in Hamburg und auswärts selbst
auf. Die öffentlichen Zuwendungen blieben so überschaubar
wie ein Gericht auf den Tellern der einstigen Nouvelle Cuisine.
Die Hamburger Kulturbehörde weist dem Ensemble aus dem Etat
für Freie Gruppen gerade einmal dreitausend Euro zu. Dabei
entfalten die „Resonanz“-Künstler über ihre
Konzerte hinaus etliche Aktivitäten, die dem Musikleben ei
ner Stadt und ihrer Bürger zum Vorteil gereichen: Man organisiert
Gesprächskonzerte in Schulen, lädt zu sogenannten „Hörproben“
ein, gibt Einführungen in Konzerte und andere musikalische
Darbietungen etwa beim Hamburger Musikfest, kurz und gut: Es sind
alles Unternehmungen, die das komplexe Musikleben einer großen
Bürgerstadt zum Vorteil der Musikfreunde bereichern und die
mehr wert sein dürften als dreitausend Euro.
Das weitgehende Fehlen einer grundlegenden Förderung des
Ensembles (und es steht als Beispiel immer auch für viele andere
vergleichbare Institutionen) verschärft die existenzielle Situation
in einem Augenblick, in dem das gesamte Kunst- und Kulturleben unter
den finanziellen Restriktionen leidet. Das „Ensemble Resonanz“
stößt auch an die Grenzen der Konzertveranstalter. Diese
reduzieren die Zahl ihrer Konzerte, verzichten zunehmend auch auf
ungewöhnliche Programme und speziell auf Werke zeitgenössischer
Komponisten, kürzen auch die bislang gezahlten Honorare. So
kommt eines zu anderem, und wenn dann noch der Deutsche Musikrat
seinen Einsatz für die Moderne (Konzerte des Deutschen Musikrats)
„herunterfährt“, die Ensembleförderung auf
Projektförderung umstellt, außerdem der Rundfunk sich
immer sparsamer präsentiert, dann kommt für ein freies
Ensemble die existenzielle Krise schnell in Sicht.
Wer nun achselzuckend antwortet, das sei eben das Risiko einer
unabhängigen Existenz, dem müsste man antworten: Wer ermuntert
denn junge Menschen zum Wagnis der freien beruflichen Arbeitsform?
Wer freut sich in Sonntagsreden mit dem Bundespräsidenten über
junge Musiker und deren Engagement für die Kunst? Nur wenn
es Ernst wird und das eigene Engagement für die Kultur eines
Landes gefordert wird, dann verstehen speziell Politiker immer nur
den berüchtigten „Bahnhof“. Sie übersehen
dabei geflissentlich auch die negative Wirkung, die ihr Handeln
in der Welt auslöst. Nicht nur die Berliner Philharmoniker
bewahren den guten Ruf des deutschen Musiklebens im Ausland. Orchester
wie das Ensemble Modern (das ebenfalls derzeit mit finanziellen
Problemen kämpft, aber dabei einige Hoffnungszeichen erhalten
hat), das ensemble recherche, die Musikfabrik Nordrhein-Westfalen,
die Deutsche Kammerphilharmonie, die Junge Deutsche Philharmonie,
das Bundesjugendorchester und das Bundesjazzorchester tragen ebenso
wie das „Ensemble Resonanz“ dazu bei, dass das geistige
Niveau in Deutschland nicht nur mehr durch das Palavern im Bundeskabinett
über Dosenpfand und Lastwagenmaut bestimmt wird. Dieses immer
wieder sagen zu müssen, ist zwar lästig, aber unerlässlich
solange, bis sich zumindest etwas zum Besseren wendet.