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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 5
52. Jahrgang | Oktober
Musikwirtschaft
Mit Musikalienhandel in die mediale Zukunft
Das Detmolder „Haus der Musik“ startet durch –
analog und digital
In Detmolds Premium-Geschäftslage, mitten in der Fußgängerzone
unweit des Marktplatzes hat Wolfgang Meyer-Johanning sein Domizil
aufgeschlagen. Sein „Haus der Musik“ ist ein schmuckes
Gründerzeitgebäude, in dem er auf vier gar nicht mal so
großen, dafür aber einigermaßen verwinkelten Etagen
Noten, Instrumente und Musikbücher anbietet. Der ideale Standort
und die ortsansässige Musikhochschule von bundesweiter Bedeutung
sorgen seit der Eröffnung im Jahr 1998 für hohe Umsätze.
Stolzer Hausbesitzer: Wolfgang
Meyer-Johanning. Foto: Archiv
Dabei war der erste Versuch des gelernten Musikalienhändler
Meyer-Johanning, sich in seinem Ausbildungsberuf selbstständig
zu machen, gescheitert. Die Übernahme des Geschäftes seines
alten Arbeitgebers kam nicht zustande. Auf die eigene Kündigung
folgte jedoch nur eine kurze Frustrationsphase, denn binnen einer
Woche war die Anregung eines Freundes umgesetzt, ein leerstehendes
Haus in Detmolds Zentrum zu mieten und Instrumente zu verkaufen
– ausschließlich Instrumente, denn Noten kamen zunächst
nicht in Frage. Zu kundenunfreundlich empfand Meyer-Johanning das
bis dahin praktizierte umständliche Bestellsystem.
Die Instrumentenkäufer verlangten jedoch – logischerweise
– immer wieder nach passender Literatur. Also musste Meyer-Johanning
in den damals für ihn noch sauren Apfel beißen und die
ungeliebten Druckerzeugnisse anbieten. Aber wenn überhaupt,
so überlegte er, dann anders als die anderen. Die neuen Medien,
insbesondere das Internet, boten die Plattform, die der passionierte
Surfer – nach eigenen Angaben einer der ersten Stunde –
für die Umsetzung seiner neuen Geschäftsidee nutzen wollte.
Internetshops gab es viele, auch für Noten, aber das Ziel war,
einen Shop aufzubauen, der sich von den anderen unterschied. Schnell
sollte es gehen, schneller als die üblichen vier bis sechs
Wochen, bis die Kunden ihre Noten erhielten. Trotz der Anonymität
des Internet sollte eine persönliche Kundenbindung aufgebaut
und ein Vertrauensverhältnis zwischen Händler und Kunde
geschaffen werden. Innerhalb von 48 Stunden erhält der Kunde
seine bestellte Notenware, egal ob durch telefonische, Fax- oder
E-Mail-Bestellung. Der telefonische Kontakt sorgt für die Kundenbindung,
das Geheimnis liegt jedoch in der ultraschnellen Bearbeitung der
Bestellungen. Die eigens dafür entwickelte Software kann nahezu
selbstständig die erforderlichen Daten aus den Mails herauslesen
und in Bestelllisten übertragen, die dann dem Grossisten übermittelt
werden. Wer bis 13.00 Uhr bestellt, hat in der Regel nach 48 Stunden
die Noten zu Hause auf dem Tisch liegen. Dabei werden die Notenbestände
des Geschäftes kaum berührt. Die hält das „Haus
der Musik“ für die vielen Studenten und Schüler
vor, deren Lehrer bei der Geschäftsgründung die Grundausstattung
mitbestimmt haben.
Inzwischen ist aus dem Zwei-Mann-Betrieb vom Herbst des Jahres
1998 ein fast mittelständisches Unternehmen mit sechs festen
Mitarbeitern und drei Aushilfen geworden. Die dritte Etage an der
Detmolder Bruchstraße reicht inzwischen kaum noch aus, den
Versandverkehr abzuwickeln. Meyer-Johanning überlegt, diese
Sparte in andere Räumlichkeiten auszulagern. Über 11.000
zufriedene Kunden aus ganz Deutschland lassen sich vom „Haus
der Musik“ beliefern und täglich kommen neue hinzu.
Der erfindungsreiche Geschäftsmann gibt selbst zu, dass viele
Ideen seines Webshops schon vorher vorhanden waren. Er hat sie nur
für sein Geschäft gebündelt und angepasst. Daher
war es logisch, dass irgendwann auch der Instrumentenverkauf über
das Internet erfolgen sollte. Seit Mai 2003 enthält der Webshop
auch einen Teil des Instrumentenangebots. Vorzugsweise handliche
Blasinstrumente bestimmen das Sortiment, ergänzt durch Gitarren,
E-Pianos und das übliche Zubehör wie Notenständer,
Metronome und andere musikalische Kleinteile.
Die „Vertrauenssache“ Instrumentenkauf auf das unpersönliche
Internet zu übertragen, ist wohl das größte Geschäftsrisiko,
dass Meyer-Johanning eingehen konnte. Daher ist der Webshop in der
Instrumentensparte auch ohne direkte Kaufoption ausgestattet. Der
Interessent kann sich am Ende seines virtuellen Schaufensterbummels
lediglich per E-Mail, SMS, Fax oder – eher als Spielerei –
per elektronischer Voicemail ein Angebot zukommen lassen. Erstrebt
ist danach die persönliche Kontaktaufnahme mit den kompetenten
Mitarbeitern im Detmolder Geschäft. Besteht Interesse, kann
sich der Kunde das Instrument nach Hause schicken lassen. 14 Tage
hat er Zeit, sich eine Meinung darüber zu bilden. Eine leichte
Umdeutung des Fernabsatzgesetzes macht’s möglich. Es
schreibt vor, dass ein Anbieter, der seine Waren versendet, dem
Kunden ein Rückgaberecht von zwei Wochen einräumen muss.
Meyer-Johanning nutzt dieses Gesetz zu seinem – und letztendlich
auch zu seiner Kunden – Vorteil. Bezahlt werden muss die Ware
zunächst aber auf jeden Fall. Und zwar zu einem Preis, den
der Kunde – zumindest begrenzt – selbst bestimmen kann.
Meyer-Johannings Grund für die Staffelung der Preise, die bei
bestimmten Instrumentengruppen für bis zu 30 Prozent Rabatt
sorgen kann, nennt er selbst Kanalkonflikt. Hintergrund ist die
berechtigte Kundenfrage, warum ein Instrument im Vertriebskanal
Internet zu deutlich geringeren Preisen verkauft wird als im Vertriebskanal-Geschäft.
Meyer-Johannings Antwort: weil die Beratungsleistung, kombiniert
mit Reparatur- und anderen Servicediensten, die eben nur in einem
persönlichen Gespräch erbracht werden können, einen
Mehrwert darstellen, der sich in einem höheren Kaufpreis niederschlagen
muss. Aber das scheint die Kunden nicht abzuhalten. Das erste Ziel,
drei Instrumente pro Woche über das Internet zu verkaufen,
ist längst erreicht.
Service ist das Schlagwort, nach dem Meyer-Johanning seine Kunden
betreut. Das beginnt mit portofreiem Versand und einer gebührenfreien
Rufnummer, die rund um die Uhr erreichbar ist (Tel. 0800/00-687
45). Die zusätzlichen Kosten scheinen sich aber zu rechnen.
Die magische Rentabilitätsgrenze von zehn Euro pro Bestellung
wird zwar häufiger unterschritten, für das „Haus
der Musik“ haben solche Sendungen daher eher Werbecharakter.
Meyer-Johanning setzt darauf, dass die Kunden erstens weitere Bestellungen
tätigen und zweitens Mund-zu-Mund-Propaganda betreiben. Überzeugender
von den Vorzügen eines Unternehmens kann keine Werbekampagne
berichten.
Das schraubt die Erwartungen der Kunden an das Geschäft natürlich
in die Höhe, aber Meyer-Johanning begegnet dem mit Souveränität.
Er hält nichts von der alten Devise, der Kunde sei König.
Für ihn sind seine Kunden gleichgestellte Partner, mit denen
er deren Wünsche erörtern und am Ende erfüllen kann.
Wolfgang Meyer-Johanning hat eine Nische für sein Geschäft
gefunden, die trotz aller pessimistischer Vorraussagen für
die Branche eine ertragreiche zu sein scheint. Wahrscheinlich ist
die Nische ohnehin für den lokalen Einzelhandel und die Branche
langfristig die einzige Überlebenschance.
Die neue musikzeitung und das „Haus der Musik“ kooperieren
seit der Juni-Augabe dieses Jahres: So kann man jetzt im Internetangebot
der nmz per Knopfdruck bei Buch- und Notenrezensionen die entsprechenden
Produkte im „Haus der Musik“ bestellen.
Umgekehrt erhalten die Internet-Nutzer im „Haus der Musik“
Entscheidungshilfen durch Verweise auf Buch- und Notenrezensionen
in der nmz. mh