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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 37
52. Jahrgang | Oktober
Jazz, Rock, Pop
Neugierde wecken mit einem Curriculum für die Weltmusik
Die österreichische Sängerin Timna Brauer will das
Wissen über ihre musikalischen Wurzeln weitergeben
Auf der Musikmesse Frankfurt 2003 stellte die Wiener Universal
Edition eine neue World Music Notenreihe vor, mit leichten Arrangements
von Volksliedern aus aller Welt (Russland, Israel, Amerika, Irland,
Kuba). Als künstlerische Mitarbeiterin für den mit Musik
aus Israel wurde Timna Brauer gewonnen. Anlässlich der Ziehung
eines UE-Preisrätsels unter dem Thema World Music stellte die
neue musikzeitung der Wiener Künstlerin einige Fragen.
nmz: Seit Ihrer Ensemblegründung gemeinsam mit Elias
Meiri 1985 sind Sie der Weltmusik verpflichtet und haben in fast
jedem Ihrer musikalischen Projekte diese als Schwerpunkt. Würden
Sie sich selbst als Pionierin der Weltmusik bezeichnen?
Timna Brauer (li) und Marion
Hermann: Die UE verloste eine Reise in die USA.
Timna Brauer: Die anderen sollen mich als Pionierin bezeichnen.
Ich selbst fühle mich überhaupt nicht als irgendeine Pionierin,
ich gehe nur meinem Instinkt nach. Mein Mann, Elias Meiri, ist ausgebildeter
Jazz Pianist, ich habe eine klassische Gesangsausbildung, habe an
der Sorbonne auch Jazz parallel zu den Musikwissenschaften studiert.
Es war aber von Anfang an so, dass das, was wir aufgenommen, arrangiert
oder produziert haben, immer diesen World Music Touch hatte, sprich:
Ich habe mich immer meiner orientalisch-israelisch-jemenitischen
Wurzeln besonnen, ebenso wie meiner österreichisch-wienerischen.
Und es hat mich immer die Frage fasziniert, wie man diese authentischen
Klänge verweben kann. Das Orientalische ist also ebenfalls
immer präsent und in meinen Werken drückt sich auch die
Sehnsucht nach dem Orient immer mit aus – egal ob wir einen
Duke Ellington im Swingstil haben oder Mozart verjazzen.
nmz: Inwiefern ist im Hinterkopf auch die Absicht präsent,
mit Ihrer Musik eine Brücke zwischen den Parteien zu schlagen,
bei denen Krieg und Auseinandersetzung schon so lange fast selbstverständlich
im täglichen Leben stehen?
Brauer: Das ist ein ganz großer Wunsch und gerade
„Voices for Peace“, ein Projekt für zwei Chöre,
Solisten und Orchester, versucht diesen umzusetzen. Der Grundgedanke
ist, einen israelischen und einen palästinensischen Chor gemeinsam
auf der Bühne singen zu lassen und die Rollen zu tauschen –
orthodoxe Juden singen über Allah und Maria und Muslimen und
Christen singen die heiligsten Gebete der Juden. Wir haben ganz
bewusst keine Folklore oder rituellen Gesänge, sondern dieses
heikle Thema der Religion für das Repertoire ausgesucht, und
glauben, dass dieser Rollentausch etwas bewirkt in den Köpfen.
In dieser Gruppe funktioniert das nun schon seit vier Jahren und
egal wie die Situation noch eskalieren mag – diese Gruppe
hält zusammen. Dies ist quasi mein Beitrag. Es ist zwar sicher
nur ein Tropfen auf den heißen Stein, doch es bedarf vieler
solcher Tropfen und wenn jeder ein klein wenig dazu beitragen würde,
dann würde die Welt auch ganz anders aussehen.
nmz: Welche Möglichkeit zum gemeinsamen Musizieren
sehen Sie grundsätzlich in der Weltmusik?
Brauer: Was uns neben den angesprochenen gemeinsamen Musikprojekten
seit vielen Jahren begleitet, sind Weltmusikprojekte für Kinder,
wobei das Hauptprogramm mit dem Titel „Reise durch die Weltmusik“
genau diese Thematik in den Mittelpunkt stellt. Ich bin dabei mit
einem multikulturellen Ensemble unterwegs, um auf humorvolle Weise
die vielen verschiedenen Stile der Weltmusik zu präsentieren.
Das heißt, Kinder ahmen Stimmtechniken nach oder erraten,
aus welchem Land diese oder jene Musik kommt. Die Kinder komponieren
auch aus dem Stegreif und erlernen Rhythmen. Das Ganze endet in
einem großen Fest, bei dem die Kinder auf die Bühne kommen
und Rhythmen in Tänzen wie Tango, Bauchtanz, Afro und Walzer
umsetzen.
Dabei ist es erstaunlich, wie selbstverständlich und frei
sich ein Sechsjähriger in unserer eher steifen westeuropäischen
Kultur mit Bewegungen aus dem Bauchtanz oder einem afrikanischen
Lied identifiziert – er ist dann der Häuptling, der Afrikaner,
weil Kinder einfach noch keine Vorurteile haben. Und dieses Konzept
funktioniert von 4-jährigen Kindern bis hin zu 16-jährigen
Teenagern. Gerade weil niemand belehrt werden soll, sondern auf
der Bühne der Spaß bei der Sache vorherrscht, mit der
sich alle identifizieren. Wichtig ist, etwas gemeinsam zu tun, damit
Vorurteilen vorzubeugen und zu Offenheit, Toleranz und vor allem
zur Neugierde zu erziehen.
nmz: Wie würden Sie in unserer „Pop-Gesellschaft“
den Stellenwert der Weltmusik nun einordnen?
Brauer: Ich glaube, sehr viele Künstler inspirieren
sich hier. Die Popmusik ist beherrschend und gerade von der östlichen
Seite war wohl Ofra Haza hier Pionierin, indem sie ihre Lieder „verpopt“
und diese in die weite Welt hinausgetragen hat.
nmz: Sie haben in der Reihe World Music der Universal Edition
den Band „Israel“ herausgegeben. Welchen Stellenwert
spielt die Weltmusik für Sie in der Musikpädagogik?
Brauer: Sie steckt sicher noch in den Kinderschuhen –
gerade hier in Österreich ist es relativ schwer, überhaupt
einen Lehrer für bestimmte nicht-westliche Instrumente zu finden.
Es hat sich in der Ausbildung leider noch keine Weltmusik-Szene
etabliert. Doch bin ich der Meinung, dass es wichtig ist, in der
Schule nicht nur Mozart zu vermitteln, sondern beispielsweise auch
eine klassische vietnamesische Musik zumindest zu erwähnen.
nmz: Können Sie den Aufbau Ihres pädagogischen
Ensembleheftes World Music „Israel“ kurz beschreiben?
Brauer: Inhaltlich wollten wir die Vielfalt der israelischen
Musik präsentieren. In Europa ist eher das Osteuropäisch-jüdische
populär, sprich Klezmer, Klarinette, die charakteristische
jüdische Hochzeitsmusik, das jiddische Lied. Weniger bekannt
ist das Sephardische, also das Jüdisch-spanische aus dem Mittelalter
und das Orientalische. Das Jemenitische ist überhaupt unbekannt.
Diese Vielfältigkeit ist, was Israel ausmacht. Es gibt in Israel
mittlerweile nicht nur die Musik der Länder, aus denen die
Juden kamen, sondern es gibt auch eine eigenständige israelische
Musik sowohl im Pop-Bereich als auch in der Neuen Musik, aber die
Gesamtheit aller ursprünglichen Einflüsse auf die israelische
Musik sind dennoch spürbar und das sollte in diesem Band vermittelt
werden.