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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 38
52. Jahrgang | Oktober
Jazz, Rock, Pop
Der schwarze Mann des Country ist tot
Die musikalische Seele Amerikas: Legende Johnny Cash
Er war der „Man in Black“: Johnny Cash. Und er war
eine der „Stimmen“ Amerikas, wie Frank Sinatra, Elvis
Presley oder Bob Dylan. Um seine Kunst zu verstehen, muss man zurückgehen
in die Roaring Twenties, als die ersten Country Music-Aufnahmen
entstanden. Damals setzten die legendäre Carter Family und
der jodelnde Jimmie Rodgers die hohen Standards der „Hillbilly
Music“, wie sie noch genannt wurde. Als diese Musik im Jahre
2000 durch den Coen-Brothers-Film „O Brother, Where Art Thou?“
wiederentdeckt wurde, merkte dazu der Cash & Country-Fan Franz
Dobler treffend an: „Die Musik ist von gestern, der Sound
nicht mehr von unserer Welt. Aber der Drive, die Art zu singen,
die Songs und das, was sie zu sagen haben, wurden am Anfang des
dritten Jahrtausends plötzlich so überraschend beliebt
wie der kubanische Son des Buena Vista Social Club.“ Ein verlorener
musikalischer Kontinent war plötzlich wieder am Horizont aufgetaucht,
der Lichtjahre entfernt schien vom zeitgenössischen Nashville-Sound.
Johnny Cash war mit diesem Kontinent immer verbunden gewesen –
auch durch seine Heirat mit June Carter.
Hank Williams war gerade in seinem Cadillac verstorben, als Johnny
Cash aus Arkansas in Sam Phillips’ Sun-Studios in Memphis
auftauchte, um dort Probeaufnahmen zu machen. Kurze Zeit später
nahm er dort 1955 zusammen mit seinen Label-Kumpels Elvis, Jerry
Lee Lewis & Carl Perkins noch einige Rockabilly-Songs auf, die
erst in den Siebzigern veröffentlicht wurden. Sein doppelseitiger
Hit „I Walk The Line/Get Rhythm“ war in noch in den
Charts, als er sich von Sun Records verabschiedete und einen Plattenvertrag
mit Columbia schloss, der bis 1986 hielt. In diesen 30 Jahren prägte
der ewige Drifter mit seinen Songs („Ring Of Fire“,
„A Boy Named Sue“) und Alben („Ride This Train“,
„At San Quentin“) wie kein zweiter Country-Sänger
das musikalische Unterbewusstsein Amerikas.
Als Cash 1993 in die Produzentenhände des HipHop-Fans Rick
Rubin geriet, sollte sich das noch einmal als Glücksfall erweisen.
Die „American Recordings“-Serie festigte erneut seinen
Ruf als Country-Ikone. In den letzten Jahren war Cash schwer von
seiner Krankheit gezeichnet, und so dürfte er bei den Aufnahmen
seiner letzten Platte gewusst haben, warum er mit gebrochener Stimme
das „Dr. Seltsam“-Lied sang: „We’ll meet
again, don’t know where, don’t know when ...“.
Am 12. September starb Cash im Alter von 71 Jahren in Nashville,
Tennessee.