[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 16
52. Jahrgang | Oktober
Portrait
Der Herr der Mikrofone, Kabel und Kanäle
Der Sounddesigner und Toningenieur Norbert Ommer und seine Arbeit
vor der Bühne
„Was macht der Mann am Mischpult mitten in der Berliner
Philharmonie?“ mag sich mancher Zuhörer gefragt haben,
der neulich ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern und Simon
Rattle besuchte. Auf dem Programm „Surrogate Cities“
von Heiner Goebbels. Würde es nicht reichen, wenn die Tonband-
und Sampleraufnahmen von einem Pult aus dem Off eingespielt würden?
Techniker im Dienste der
Musik: Norbert Ommer. Foto: nmz-Archiv
Norbert Ommer ist die skeptischen Blicke gewohnt. Er hat gelernt,
mit seiner Tätigkeit den Respekt der Mitwirkenden zu gewinnen.
Die Zuhörer wissen oft nicht, was seine Aufgabe ist, denn hören
im eigentlichen Sinne soll man das, was er macht, nicht. Dabei beeinflusst
seine Arbeit am Pult in nicht unerheblichem Maße den Eindruck,
den ein Musikstück beim Hörer erweckt und könnte
doch Komponisten, Dirigenten und Musikern erheblich ins Handwerk
pfuschen. Norbert Ommer will „das Unhörbare hörbar
machen“ so liest man auf seiner Web-Seite.
Es geht um Sounddesign. Auch in der akustisch wunderbaren Berliner
Philharmonie gilt es, den Stücken, die mit Elektronik arbeiten,
ihre optimale Klangbalance und Dynamik zu geben. Im Sinne des Komponisten
müssen die verschiedenen Klangquellen miteinander verschmolzen
oder gegeneinander abgesetzt werden. Es geht um das Verhältnis
der Instrumente und anderer Klangquellen zueinander, zum optischen
Geschehen und zum Raum.
In „Surrogate Cities“ müssen zum Beispiel alle
Klangquellen (Solisten, Orchester und Sampler) verstärkt werden.
Norbert Ommer gibt hierzu den Sängern drahtlose Mikrofone und
Monitorboxen auf der Bühne, wie man es in der Pop-Musik kennt.
Der so verstärkte und über Lautsprecher zu hörende
Klang muss sich mit dem akustischen Klang des Orchesters vermischen
und von jedem Platz der Philharmonie aus optimal zu hören sein.
Dazu brauchen einige Instrumente Unterstützung, damit sie nicht
ganz im Klangbild verschwinden. Um diese Synthese zu erreichen,
sind Kenntnisse und Erfahrungen aus der Aufnahmetechnik von Klassik
und Pop Musik sowie aus der Raum-/Elektroakustik gefragt.
Beim jüngsten Erfolgsstück von Heiner Goebbels und dem
Ensemble Modern „Landschaft mit entfernten Verwandten“
laufen etwa hundert Kanäle auf dem Mischpult auf. Es gibt allein
50 Mikrofone im Orchestergraben und auf der Bühne sowie 35
drahtlose Mikrofone, die nach einem festgelegten Plan Spieler und
Instrumente wechseln. 6 Assistenten arbeiten hinter der Bühne,
um den reibungslosen Ablauf, das präzise An- und Umstecken
bei den 235 wechselnden Kostümen zu ermöglichen. Hinzu
kommen noch CDs, die vom Pult exakt abgefahren und moduliert werden
müssen. Klangdesign, das heißt nicht, eine glatte Oberfläche
zu schaffen, das heißt, differenzierte Wahrnehmung zu ermöglichen,
Wahrnehmung einer Musik, wie der Komponist sie im Kopf hat, das
heißt bei Heiner Goebbels auch ganz speziell, immer wieder
größtmögliche Textverständlichkeit. In der
Partitur steht das nicht. Das muss der Klangregisseur am jeweiligen
Ort unter den jeweiligen Bedingungen entwickeln. Was bedeutet das
für den Klangregisseur? Partiturlesen, Zuhören, technisches
Handwerkszeug und Erfahrung. Norbert Ommer ist Musiker, Klangregisseur
und Sounddesigner. Er studierte Klavier und Klarinette in Köln
und im Anschluss daran Musik und Nachrichtentechnik an der Robert
Schumann Hochschule in Düsseldorf, wo er sein Examen als Diplom-Ton-
und Bildingenieur abschloss.
Schon als Schüler hatte ihn die Arbeit mit der Elektronik
fasziniert, als 17-Jähriger saß er bei Stockhausens „Mixtur“
auf der Bühne an einem kleinen Mischpult, Peter Eötvös
hat dirigiert. Überhaupt hat er viel von Stockhausen gelernt
und bedauert, dass der Meister ihn nicht tiefer in seine Arbeit
hat blicken lassen. Aber die Präzision des Handwerklichen hat
er auf jeden Fall von ihm gelernt.
Mit 18 Jahren hat Norbert Ommer als Tontechniker die Sendungen
des WWF-Club im Fernsehen gefahren, damals wurde der Sound noch
Halb-Play-Back oder live gesendet, man musste oft ohne Probe den
richtigen Sound produziern. 1992 arbeitete er beim Ensemble Modern
am legendären Zappa-Projekt „Yellow Shark“ mit
und machte bald die Klangregie bei Produktionen des Ensemble Modern
mit Heiner Goebbels wie „Black on White“ und „Atlantis“.
Seit 1992 verbindet ihn eine regelmäßige Zusammenarbeit
mit dem Ensemble Modern – seit 1997 ist er dort Gesellschafter.
Als Sounddesigner und Klangregisseur hat Norbert Ommer sich bei
zahlreichen Uraufführungen international einen Namen gemacht,
darunter auch Frank Zappas „Greggery Peccary & Other Persuasions“,
Peter Eötvös’ „Atlantis“, Heiner Goebbels’
„Eislermaterial“ und „Walden“, Mark Anthony
Turnages „Blood on the Floor“, Steve Reichs „Proverb“,
„City Life“ und „Three Tales“ oder Michael
Gordons „Decasia“. Und er taucht auch gern mal ein in
eine „andere Welt“ wie er es nennt, die Welt von Patti
Austin, die neulich mit der WDR- Bigband Konzerte in Montreux gab.
Zu den Komponisten, für die er regelmäßig arbeitet,
gehören Peter Eötvös, Steve Reich, John Adams, Louis
Andriessen, Kaja Saariaho und Fred Frith.
Dabei geht es ihm häufig wie bei Helmut Lachenmanns „Schwankungen
am Rand“, dass die anfängliche Skepsis der Komponisten
gegenüber der Technik schnell in Begeisterung des Komponisten
für seine Arbeit umschlägt. Was bei der CD-Aufnahme selbstverständlich
ist, dass man den Klang im nachhinein optimal abmischt, bedarf bei
der Aufführung im Konzert noch der Überzeugungsarbeit.
Man spürt schnell, dass Norbert Ommer die Macht der Technik
nicht ausnutzt, im Dienste der Musik unaufdringlich, aber mit klarem
Konzept arbeitet und dabei aus einem großen Fundus an Möglichkeiten
und Erfahrungen schöpft.
Das Wichtigste ist für den Musiker und Klangregisseur immer
wieder, das Vertrauen der Komponisten und Dirigenten zu gewinnen.
Bei alledem geht er keine faulen Kompromisse ein.
Unmißssverständlich erklärt er auf seiner Homepage:
„Klangregie ist die kompromißsslose Umsetzung von Partitur,
Raumakustik und Elektronik.“ Für seine Arbeit an der
Video-Oper von Steve Reich „Three Tales“ wurde Norbert
Ommer im November 2002 der „Goldenen Bobby“ des Verbandes
Deutscher Tonmeister für „herausragendes Sounddesign
und Klangregie“ verliehen. Das schönste Kompliment aber
ist für Norbert Ommer, wenn man von der Technik im Konzert
gar nichts bemerkt hat. Dann hat er das Ziel seiner Arbeit erreicht:
den Klang im Sinne des Komponisten und seines Werkes so für
den Zuhörer zu designen, wie es unseren heutigen Hörgewohnheiten
und den ästhetischen Vorstellungen des Komponisten entspricht.