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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 20
52. Jahrgang | Oktober
Rezensionen
Stürmen und bremsen
Bellinis „Norma“ auf DVD – bekannte Klänge
in neuem Licht
Bellini, Norma: June Anderson (Norma), Daniela Barcellona
(Adalgisa), Shin Young Hoon (Pollione), Ildar Abdrazakov (Oroveso)
und andere; Verdi Festival Chor, Europa Galante, Fabio Biondi; Inszenierung:
Roberto Andò, Kostüme: Nanà Lecchi; Bühnenbild:
Giovanni Carluccio; Bildregie: Carlo Battistoni (2001, live)
TDK/Naxos DV-OPNORM
Ist Bellinis „Norma“ wirklich nur eine Schatzkiste
für Melomanen, sinnentleertes Vehikel für die selbstverliebten
Trapezkünste eitler Sänger? Die Zeitgenossen empfanden
die Oper anders – nämlich als Ausdruck des Risorgimento,
der italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen im 19. Jahrhundert.
Der martialische Chor „Guerra, guerra“ geriet in den
Jahren nach der Uraufführung sogar zur italienischen Marseillaise.
In der dieser Aufzeichnung aus dem Teatro Regio in Parma drängt
sich einem diese vergessene Facette förmlich auf: Bei Fabio
Biondi stürmen und drängen die Originalklang-Bläser,
grazile Darmsaiten zeichnen in herbstlich-empfindsamen Farben, straffe
Rhythmen treiben die Handlung unaufhaltsam voran. Doch sobald die
Sänger ins Spiel kommen, bekommt Biondi wieder Angst vor der
eigenen Courage und drosselt den schroffen Gestus auf Schrittgeschwindigkeit.
Man erlebt ein stürmisches Orchesterkonzert mit obligaten Arien
in gemächlichem Tempo.
Wollte er Rücksicht nehmen auf die technischen Möglichkeiten
der Solisten? Bei der Norma von June Anderson wirkt es so: Die übernatürlichen
Anforderungen der Partie meistert sie nicht ganz souverän.
Shin Young Hoon als Pollione kann mit unidiomatischem Italienisch
wenig dagegenhalten. Bleibt Daniela Barcelona, eine stimmlich volle,
reife Adalgisa. Klingt gut, widerspricht aber der Partitur, wo sie
von Norma als „giovinetta“ (junges Mädchen) tituliert
wird. Und in Bezug auf die Inszenierung konnte ich einen Gedanken
nicht los werden: So müssen Ring-Produktionen in der Ära
vor Wieland Wagner ausgesehen haben. Trotz allem: Der wahre Bellini-Fan
sollte Biondis Interpretation zumindest einmal gehört haben.