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nmz-archiv
nmz 2003/10 | Seite 31
52. Jahrgang | Oktober
ver.die
Fachgruppe Musik
Auf den Flügeln das Gesanges
Über das Wie und Warum von Opernsängeragenturen ·
Von Gerta Stecher
In Deutschland gibt es (noch immer) eine stattliche Zahl von Opernhäusern.
Und Musikhochschulen, die Jahr für Jahr eine stattliche Zahl
von Sängern ausbilden. Wie kommen die zusammen? Die Opernhäuser
zu Sängern? Zumal neben der natürlichen Fluktuation noch
die Engagements wechseln. Weshalb die Frage auch umgekehrt heißt:
Wie kommen die Sänger zu Opernhäusern?
Früher hielt sich jeder halbwegs berühmte Solist einen
Impresario. Als festangestellter Sekretär eines Sängers
regelte er die Engagements, besonders die Gagenhöhe, er besorgte
Hotels, Schiffspassagen und Taxis, Einladungen zu Empfängen
und Garderobe für den Sängeralltag. Auch die Großen
von heute leisten sich noch immer ihre Dienste.
Aber die kleinen und mittleren Größen unter den Sängern,
die Berufs- oder Seiteneinsteiger, die alltäglich die Opernaufführungen
bestreiten, haben mitnichten Privatsekretäre. Nun können
sie selber auf Tippeltour gehen, wollen sie neue Engagements oder
weg von der Straße, wenn ihr Vertrag nicht verlängert
wird: dieses Mehrspartentheater im Ruhrgebiet oder jenes Opernhaus
in der Bundeshauptstadt anschreiben, rundum zum Vorsingen antreten,
zuvor Unterkünfte und Fahrkarten buchen und nachher mit ihnen
in Verhandlung treten. Oder sie können sich in die Hände
eines Opernagenten begeben.
Der nimmt ihnen diese lästigen Arbeiten ab, hält ihnen
den Rücken frei für die Kunst. Er steht aber nicht mehr
einem einzigen Maestro, sondern mehreren Sängern zu Diensten,
arbeitet im eigenen Büro, von wo er sie mit Arbeit versorgt
und ihre Karriere aufbaut. Wenn es klappt. Nur dann bekommt er Provision,
zur Hälfte vom Künstler, zur anderen vom Opernhaus. Nach
Honorarordnung.
Ich sprach mit zwei Agenten, mit Günter Ocklenburg aus Hamburg
und Sigrid Rostock (nein, nicht aus Rostock, aber doch aus der Ex-DDR)
aus (Ost-)Berlin, wo sie bis 1989 in der staatlichen Künstleragentur
arbeitete. Sigrid Rostock hätte wieder festangestellt arbeiten
können, gab aber der Zentralen Bühnen-, Film- und Fernsehvermittlung
(ZBF) einen Korb, um sich 1991 selbstständig zu machen. Was
heißt, dass es auch in der BRD eine staatliche Vermittlungsinstanz
für Musikhochschulabsolventen und Opernsänger gibt, die
stempeln gehen.
Die Bundesanstalt für Arbeit hatte früher das Monopol
auf Arbeitsvermittlung, über ihre Dienststelle ZBF also auch
für Opernsänger(!). Erst mit der Aufgabe dieses Monopols
und der Möglichkeit, dass private Arbeitsvermittler gewinnorientiert
in diese Branche einsteigen, schlug die große Stunde der Opernagenturen.
Zunächst über Teil-Lizenzen, Ocklenburg durfte anfänglich
nur fünf Sänger betreuen, erhielt aber 1984 die Voll-Lizenz.
Bis 1994 mussten die angehenden Agenten einen Befähigungsnachweis,
nämlich Referenzen, beibringen. Das betraf Ocklenburg wie Rostock
gleichermaßen. Seit 2002 private Arbeits- und Ausbildungsvermittler
freien Marktzugang erhielten und damit auch die privaten Künstlervermittler,
stehen nun eine schwer überschaubare Zahl von Agenturen untereinander
sowie mit der ZBF im Wettbewerb. Letzteres zum Ärger aller
Agenturen, wie Ocklenburg und Rostock beteuern. Denn Hauptaufgabe
und damit auch Haupteinnahmequelle ist für sie die Arbeitsvermittlung,
die aber das ohne Provision arbeitende und damit für Sänger
und Theater kostengünstigere Arbeitsamt auch betreibt. Dafür
kümmern sich private Agenturen, ähnlich wie einst der
Impresario, um viele Dinge, für die staatliche Vermittler weder
Zeit, Nerv noch Auftrag haben.
Günter Ocklenburg, dem auch die Nachwuchsförderung am
Herzen liegt, wirbt in den Musikhochschulen, in denen er Ausschau
nach großen Begabungen hält, schon für die Zusammenarbeit
von Jungsängern und Agenten. Karriere, meint er, kann niemand
auf eigene Faust machen, die fast immer mit einem Festvertrag an
einem der rund 70 Opernhäuser beginnt. „Er müsste
70 Bewerbungsmappen verschicken: Bin lyrischer Bariton und suche
einen Job.“ Gibt es jedoch in ganz Deutschland nur drei lyrische
Vakanzen, verschickt er von vornherein 67 Mappen umsonst.
Andersherum sucht nicht nur ein einziger lyrischer Bariton Arbeit.
Der Agent, der seine Schützlinge genauestens kennt, schickt
nicht alle seiner stellungslosen Baritone zum Vorsingen, sondern
nur den einen, von dem er überzeugt ist, dass er die Vakanz
erhält. „Zu 80 Prozent führt ein solches Vorsingen
auch zum Engagement. Wenn nicht, dann liegt das am Typ des Sängers,
den sich der Regisseur für die Partie anders wünscht.“
Fleißarbeit der Agenturen
Für eingeführte, also seit langem bestehende Agenturen
wie die Ocklenburgische gilt: Ihr Kontakt zu Opernhäusern ist
so eng, dass sie deren Vorstellungen kennen und sogar ahnen, welche
Inszenierungen sie planen könnten. Sie stellt einem Opernhaus
einen Sänger auch ohne Vakanz vor. „Wir sagen, das ist
ein neuer Name, der singt jetzt einen ,Papageno‘ und zwar
sehr gut. Der wäre unser Tipp, sollten sie an Ihrem Haus eine
,Zauberflöte‘ inszenieren.“
Nach genauem Abwägen, welcher Sänger auf welche Vakanz
passt, beginnt die Fleißarbeit der Agentur: Arrangieren des
Vorsingens mit dem künstlerischen Betriebsbüro, Besorgen
von Unterkunft, Flug- und Zugbillets. Ocklenburg spricht mit dem
Anwärter auch das Vorsingen durch. „Es geht so weit,
dass wir sagen, welche Kleidung an welchem Haus angebracht ist:
Jeans oder Anzug.“
Der Agent berät auch bereits fest engagierte Künstler,
die sich verändern wollen, aber nicht wissen, wo im In- wie
Ausland die Vakanzen sind. Gewöhnlich folgen noch zwei, drei
Spielzeiten an verschiedenen Häusern im Festvertrag, um viele
Partien gesungen und unter diversen Dirigenten und Regisseuren Erfahrungen
gesammelt zu haben, bevor der Sprung in die Selbständigkeit
gewagt wird. Um die vorzubereiten, sorgt der Agent noch während
der Festverträge für Gastauftritte. Viele Gastverträge
an vielen Häusern schaffen einem Sänger den Namen, der
ihm die freiberufliche Arbeit gestattet. Was für seinen Agenten
allerdings heißt, immerfort Gastpartien anbieten zu können.
Rundumbetreuung
Es gibt Sänger, die freischaffend sind, obwohl sie (noch)
keinen Namen haben und niemals festangestellt waren. Sei es, weil
keine Vakanz zu ihrer Stimme oder ihre Stimme zu keinem Typ passte.
Oder weil sie sich nicht an ein Haus binden wollen. Auch für
diese finden Agenten Betätigungsfelder: kleine Partien in konzertanten
Opernaufführungen, in Oratorien oder Konzerten. – Fraglich
allerdings in welchen zeitlichen Abständen.
Es passiert, dass über längere Zeit keine Vermittlung
gelingt, obwohl der Agent rotiert. Tendiert der Erfolg gegen Null,
trennen sich Agentur und Künstler voneinander. Für Freiberufler
ist der Arbeits-, Zeit- und Geldaufwand der Agentur hoch. Es ist
ja eine Rundumbetreuung, charakterisieren Ocklenburg und Rostock
ihre Tätigkeit. Zur Arbeitsbeschaffung gehört das Aushandeln
des Vertrags, inbegriffen Probengeld und Reisekosten.
„Ich führe auch den Kalender, habe alle Termine, kann
neue vereinbaren für Verträge, Vorsingen, Interviews,
Platteneinspielungen.“ – Was sie zuvor aber alles erst
organisiert hat, wie Sigrid Rostock erklärt.
Agent als Pschychologe
Für Günter Ocklenburg bedarf eine gute Rundumbetreuung
auch einiger Psychologie-Kenntnisse. Um eine Karriere zu bremsen
zum Beispiel, wenn sie zu schnell läuft. Ist nach vier, fünf
Jahren die Stimme kaputt und die Laufbahn beendet, schadet das nicht
nur dem Künstler, sondern auch ihm. „Da muss der Agent
raten, auf ein Angebot zu verzichten, auch auf das schnelle Geld.“
Bei Krisen muss sich der Sänger an seinen Agenten wenden können.
„Der sollte den richtigen Arzt kennen oder einen schönen
Ort zum Ausspannen.“ Ein Agent stößt auch auf auch
eigene psychologische Grenzen. Ocklenburg wie Rostock legen auf
eine stimmige Chemie Wert. Rostock: „Mit einer, die zu viel
Diva ist, würde ich nicht arbeiten.“ Ocklenburg: „Es
gibt Künstler, die eine wunderbare Stimme haben, sehr präsent
auf der Bühne sind, aber menschlich kommt man mit ihnen nicht
zurecht.“ Einen solchen Fall hatte er gerade und hat sich
von dieser Künstlerin getrennt.
Vakanzen in Erfahrung zu bringen, ist Grundvoraussetzung fürs
Überleben. Ihre Kenntnis basiert auf engen Kontakten zu Intendanten,
Dramaturgen und künstlerischen Betriebsbüros der Opernhäuser.
Günter Ocklenburg hält mit seinen beiden Mitarbeitern
Kontakte zu allen Opernhäusern: „Ob Stadttheater oder
internationales Haus, sogar bis ins Ausland.“ Sigrid Rostock,
die allein arbeitet, kann nicht alle Häuser kontaktieren.
Manch kleineres Haus allerdings verschickt Rundschreiben mit Stellenangeboten.
Findet die Agentin Passendes für ihre Sänger, muss sie
sich sputen, die Erste zu sein. Sonst hat ihr die Konkurrenz die
Vakanz schon weggeschnappt. „Bei den großen Häusern
muss man im Vorzimmer sitzen, warten und antichambrieren.“
Da fühlt sie sich dann wie eine Staubsaugervertreterin. Kontakte,
die nicht zu einer Vertrauensbasis zwischen Agentur und Opernhaus
führen, sind nichts wert. „Wenn man einem Opernhaus zweimal
den falschen Künstler angeboten hat, dann geben die einem keine
Vakanzen mehr“, weiß Ocklenburg. Und bevor ein Opernhaus
einen Agenten anruft, dass abends die „Lucia“ ausgefallen
ist und umgehend Ersatz gebraucht wird, vergehen nach seiner Erfahrung
15 Jahre Zusammenarbeit.
Informationen über die Opernszene im In- wie Ausland holen
sich Agenten auch ganz schlicht aus Feuilletons, weshalb Ocklenburg
sechs Zeitungen studiert. Andere Quellen sind Gespräche während
der Premierenfeiern. Rostock wie Ocklenburg besuchen alle Premieren
ihrer Sänger. Das allein bedeutet für Günter Ocklenburg,
im Dauergespräch zu stecken. Seine Agentur betreut rund 25
Künstler intensiv. Und eine größere Zahl weiterer,
die nur gelegentlich kontaktiert werden wie bei kurzfristigen Besetzungen.
Da es sich um Sänger aller Stimmfächer handelt, kann seine
Agentur Vakanzen in allen Fächern besetzen.