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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 7
52. Jahrgang | November
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Harakiri
Seit John Cage über seine Kompositionen sagte, man müsse
sie ja nicht Musik nennen, wenn es einem lieber sei, haben sich
Scharen von Schlaumeiern und Scharlatanen auf ihn berufen, um den
Dilettantismus ihrer Nichtkunst zu rechtfertigen. Sie verkannten
allerdings, dass Cage, der sich damals auf seiner Reise zu Buddha
befand, diese Äußerung mit einer Perspektive der absoluten
Negation machte: Angesichts der Leere ist eh alles eins. Es ist
die ästhetische Metaphysik eines amerikanischen Puritaners,
dessen Kritik an der Dingwelt sich durch asiatische Lehren radikalisierte,
bis sie in heitere Gleichgültigkeit umschlug.
Ganz anders seine ignoranten Imitatoren hier zu Lande, die zwar
den Buchstaben, aber nicht den Geist ihres Gurus verstanden haben.
Mal unbedarft, mal mit theoretischem Stirnrunzeln schichten sie
Geräusch auf Geräusch, Geräusch auf Klang, Klang
auf Geräusch und bieten das Ganze als räumlich-akustischen
Event oder Klangobjekt an, das sich selbst genügen und im übrigen
die Wahrnehmung als solche in Gang setzen soll. Das macht allerdings
auch jede Plakatreklame und jedes vorbeifahrende Auto.
Die Botschaft dieser Positivisten besteht nicht im Verweis auf
das Nichts, sondern auf ein konkretes Material, und indem ihr Bastlerbewusstsein
den Materialaspekt verabsolutiert, lenkt es von der Tatsache ab,
dass es sonst nichts mitzuteilen hat. Von denen, die daran zu glauben
versuchen, werden solche Produkte üblicherweise als „interessant“
taxiert. „Interessant“ ist das häufigste Nullwort
in avantgardistischen Kreisen. Es wird dazu benutzt, auf die Frage
„Wie fanden Sie’s denn?“ Engagement für eine
Sache zu heucheln, die kein Engagement zu wecken in der Lage ist.
Der Diskurs, der sich unter Berufung auf Cage Eingang in zahlreiche
Köpfe verschafft hat, ist von enormer Verlogenheit. Er profitiert
von der Tatsache, dass sich vor allem in Deutschland eine Reihe
Musikveranstalter und -kommentatoren den dubiosen Leitspruch zu
eigen gemacht haben und mit theorieschwerer Autosuggestion die Hervorbringungen
musikalischer Dilettanten bewundern – wohl mit dem Hintergedanken,
damit etwas für die Kritik am „verkrusteten Musikbetrieb“
getan zu haben, den sie selbst mitverantworten. So werden Maler
mit Laptops bewaffnet und nette Lebenskünstler auf Sinfonieorchester
losgelassen in der Erwartung, dass das geneigte Publikum dabei die
Wahrnehmung erweitern werde. Was es aber, mit Ausnahme der korrekten
Adabeis, die zu allem „interessant“ sagen, auf diese
Weise partout nicht will und sich damit wieder einmal als hoffnungslos
verbohrt erweist. Ein Glück für die Bastler und ihre Hilfstrupps:
Sie fühlen sich nun in ihrer Mission bestätigt, denn bekanntlich
wird ein echter Avantgardist vom Publikum nicht verstanden.
Und schon ist eine neue Kunst des Widerstands geboren.
In dieser Szene wird immer wieder vollmundig die „Krise
der Konzertform“ beschworen, der nur mit der Integration szenischer
und „installativer“ Elemente in die Konzertsituation
zu begegnen sei. Abgesehen davon, dass alle diese Versuche bisher
meist so jämmerlich endeten, dass nicht die Krise der Konzertform,
sondern die Krise der Kritik der Konzertform augen- und ohrenfällig
wurde: Mit den Rezepten von Bastlern oder, um im Bild zu bleiben,
von Quacksalbern ist dem Patienten nicht zu helfen.
Cage hat seine Klangexperimente ursprünglich nicht in Konzertsälen,
sondern in Galerien und Universitäten vorgeführt; er wusste
um die unterschiedliche Logik der Institutionen. Seine Orchesterwerke
halten sich trotz ungewöhnlicher Binnenkonstellationen meist
brav an die institutionellen Vorgaben. Die Revolution im Konzertsaal
– laut Tucholsky ein deutscher Ersatz für die ausbleibende
Revolution auf der Straße – hat er nie beabsichtigt.
Zwar stellte er den europäischen Werkbegriff radikal in Frage.
Doch in den USA gab es dafür gar keinen richtigen Ansatzpunkt.
Das hört man auch dem New Yorker Uraufführungsmitschnitt
seines Klavierkonzerts von 1958 an: Das Publikum beklatscht das
„revolutionäre“ Stück als intellektuellen
Spaß. Cage, der Revoluzzer? Eine typisch deutsche Erfindung.
Wenn die hiesigen Veranstalter der von ihm initiierten Entwicklung
heute bereitwillig die Türen zu Institutionen wie Konzertsaal
und Sinfonieorchester öffnen, müssen sie sich nach den
Motiven und Konsequenzen fragen lassen. Ist es ästhetische
Spielerei? Ein Versuch, europäischen Kulturballast über
Bord zu werfen? Steckt dahinter die Absicht, die „Krise der
Konzertform“ zu beschleunigen, indem man demonstriert, dass
es in Produktion und Rezeption von Musik nicht mehr auf ein qualifiziertes
Hören ankommt, sondern auf die pauschale Wahrnehmung von räumlich-akustischen
Gegebenheiten, inszeniert von aufs Sehen fixierten Konzeptkünstlern?
Damit würde unter dem Banner des Forschritts allerdings das
Geschäft der Politik besorgt. Gibt es doch für einen heutigen
Finanzminister nichts Schöneres als Kunst, die vor lauter Progressismus
Harakiri macht. Einer solchen Leiche würde niemand nachweinen.