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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 35
52. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Spiegelungen in die Musik-Theater-Zukunft
Die Stuttgarter Oper legt sich ein Laboratorium zu: erster Versuch
mit einer Breitscheidt-Premiere
In den späten Sechziger- und den Siebziger-Jahren legten sich
die Opernhäuser, soweit sie vom Geist des Fortschritts ergriffen
waren, so genannte Opernstudios zu, kleinere Theaterräume meist
unter dem eigenen Dach oder im Keller. Dort fanden ambitionierte
Uraufführungen oder zumindest Erstaufführungen statt.
Oft erhielten vorwiegend jüngere Komponisten Aufträge,
eine möglichst nicht zu ausufernde neue Oper zu komponieren.
Prominentes Paradebeispiel: Wolfgang Rihms Kammeroper „Jakob
Lenz“ wurde 1979 in der Opera Stabile der Hamburgischen Staatsoper
uraufgeführt. Eine Zeitlang flossen der „alten“
Oper von den Studios lebendige Impulse zu.
Kein Blumenfreund: Marc
Babé in Andreas Breitscheidts Musiktheater nach Heiner
Müllers „Bildbeschreibung“. Foto: A.T.
Schaefer
In der Gegenwart mögen sich die Operntheater nicht mehr mit
der puren szenischen und musikalischen Umsetzung einer bereits vorliegenden
Opernarbeit zufriedengeben. Forschungsarbeit ist angesagt: Denn
es gibt nicht länger nur Noten, Sängerkehlen oder traditionelle
Instrumente. Die Elektronik hat schon seit geraumer Zeit Einzug
ins Komponieren gehalten. Video, Film, mediale Techniken kamen hinzu,
das Guckkastentheater wird zunehmend als Hemmnis empfunden, Raum-Klang
heißt das magische neue Wort.
Die Stuttgarter Oper unter ihrem Noch-Intendanten Klaus Zehelein
(sein Nachfolger wird schon ziemlich intelligent und gebildet sein
müssen, soll Stuttgarts Oper so bleiben wie sie unter Zehelein
geworden ist) hat aus den veränderten Aspekten die Konsequenzen
gezogen und sich ein entsprechendes „Studio“ zugelegt,
das den Namen „Forum Neues Musiktheater“ erhielt, genauer
gesagt jedoch ein Laboratorium sein soll, in dem nicht nur Aufführungen
stattfinden, sondern mehr noch Forschungen über ein Musiktheater
des 21. Jahrhunderts, deren Ergebnisse dann von Zeit zu Zeit der
interessierten Öffentlichkeit präsentiert werden. Für
das Projekt wurde auf dem Gelände des Römerkastells in
Bad Cannstatt ein quaderförmiger, holzverschalter Theaterbau
erstellt, dessen Inneres sich zunächst als „leerer Raum“
à la Peter Brook darstellt, nur mit den notwendigen technischen
Installationen bestückt. Komponisten, Medienkünstler,
Filmemacher, Regisseure und kreative Techniker werden hier über
künftiges Musik-Theater nachdenken, über Formen und Inhalte,
über die Einbeziehung neuer Medien, über variable Raum-Konzeptionen
und so fort.
Ein erster Versuch zur Eröffnung des „Forums“
war schon zu besichtigen. Andreas Breitscheidt, künstlerischer
Mitarbeiter der Stuttgarter Oper und nun auch Leiter des „Forums“,
konzipierte ein Musik-Theater auf Heiner Müllers vielschichtigen
Text einer „Bildbeschreibung“, den Müller selbst
als eine „Übermalung“ der „Alkestis“
bezeichnete, als die Beschreibung einer „Landschaft jenseits
des Todes“. Breitscheidts Szenarium für zwei Schauspieler,
eine Tänzerin, eine Sängerin und vier Instrumentalisten
wirkt wiederum wie eine Übermalung von Müllers Text: Kompositorische
Strukturen, Spielaktionen, gesprochene Texte, Vokalisierungen und
filmische, zeichenhafte Einblendungen verbinden sich in einer verrätselnden
Magie, die enge Koinzidenzen zum Müller-Text herstellt.