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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 4
52. Jahrgang | November
Cluster
Kultur-Recall
Es ist die alte Geschichte des Tellerwäschers, der zum Millionär
wird. Eine ganze Generation von Jugendlichen ist im medialen Goldrausch.
Dieter Bohlen hat vorgemacht, dass es zu Reichtum und Berühmtheit
nicht einer gesellschaftlichen Vorbildung bedarf. Man macht sich
selber. Das Programm ist so erfolgreich, dass es auch die deutsche
Kulturpolitik längst erfasst hat. Einer Förderung des
Musischen bedarf es daher nicht, denn was gut ist – oder sich
zumindest so darstellt – wird sich so oder so durchsetzen.
Rundfunkanstalten quer durch Deutschland stimmen da mit ein, einige
Kulturminister beginnen ein Großreinemachen wie der Grüne
Michael Vesper in Nordrhein-Westfalen oder die schwarze Dana Horákova
(„Bild dir meine Meinung“ ist der heimliche Slogan der
ehemaligen Vermischtes- & Kultur-Redakteurin von „Bild“
und „Bunte“) in Hamburg.
Und schnell ist in Hamburg mal ein Ingo Metzmacher mit Etatkürzungen
herausgemobbt wie nebenbei das Gebäude des Instituts für
Friedensforschung verscherbelt – Frieden ist langweilig. Alles
auf Null, alles auf Anfang, sagt Vesper, alles muss raus, sagt Horákova.
Die gesamte Kulturpolitik scheint in eine selbsterschlichene Insolvenz
zu gehen, ja, sie geradezu zu provozieren. Ich sehe schon, wie Vesper
und Horákova mit der Kulturstaatsministerin Christina Weiss
in der Jury „Deutschland sucht die Superkultur“ sitzen,
Businesspläne bemängeln in denen der Ton nicht getroffen
wird, aber exotische Events von Leichenschauen bis plastinierten
Klassik-Konzerten die Gold-Nuggets einheimsen. Und der unscheinbare
kulturelle Rest hofft, dass er durch die Maschen einer Kulturbilanzprüfung
durch Nichtauffallen hindurchrutscht.
Das Bohlen-Prinzip führt zurück in ein kastriertes 19.
Jahrhundert, nur eben nicht als Aufbruch eines verfassten Bürgertums
sondern als fortschreitende Entbürgerlichung und Reinfantilisierung
von Kunst und Kultur: Kultur ist, was auf den Tisch kommt und das
wird gegessen. „Solange ihr eure Füße unter meinen
Tisch stellt, tut ihr was wir wollen – bitte bis zum kulturellen
Recall auswendig lernen.“