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Deutscher KulturratDeutscher Kulturrat

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nmz 2003/11 | Seite 15
52. Jahrgang | November
Deutscher Kulturrat

Wie geht es nach dem Scheitern weiter?

Cancún nur Mosaikstein in Liberalisierungsbestrebungen der WTO, Teil I · Von Olaf Zimmermann

Am 14. September 2003 war die 5. Ministerrunde der Verhandlungen über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen in Cancún (Mexiko) endgültig gescheitert. Angeführt von so genannten Schwellenländern wie Indien oder Brasilien haben die so genannten Entwicklungsländer mitgeteilt, dass sie die vorgeschlagenen Kompromisslinien ablehnen und damit die Verhandlungen scheitern lassen.

Bei vielen Nichtregierungsorganisationen brach daraufhin Jubel aus und auch Vertreter der Entwicklungsländer verbuchten es als Erfolg, vor dem reichen Norden nicht eingeknickt zu sein. Andere sehen die Entwicklungsländer als die eigentlichen Verlierer. Sie vertreten die Auffassung, dass bei den nun stattfindenden bilateralen Verhandlungen Entwicklungs- und Schwellenländer über weniger Verhandlungsmacht verfügen. Weiter wird von anderen das Scheitern der Verhandlungen in Cancún als Autoritätsverlust für die Welthandelsorganisation insgesamt gedeutet.

Hauptstreitpunkt in Cancún war der Agrarhandel und hier besonders die Frage, wie die Länder der so genannten Dritten Welt Zugang zu den hochsubventionierten Agrarmärkten der Ersten Welt erhalten können.

Die Abschottung der Ersten Welt vor den Agrargütern der so genannten Dritten Welt, die Subventionierung der Agrarproduktion in den Industrieländern, das waren die „Knackpunkte“ dieser Ministerrunde. Die Verhandlungen über den Handel mit den Dienstleistungen, so auch Kultur, traten dabei in den Hintergrund. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Gefahr gebannt ist. Die Verhandlungen werden jetzt zum einen bilateral fortgesetzt, zum zweiten werden die Gespräche zur Liberalisierung des Dienstleistungshandels innerhalb der Welthandelsorganisation nun bis zur nächsten Ministerrunde, die bislang noch nicht terminiert ist, auf der Beamtenebene fortgeführt.

Die Gefahr für die Kultur ist also keineswegs gebannt. Es ist vielmehr den laufenden Verhandlungen höchste Aufmerksamkeit zu schenken, da nun weiterverhandelt wird ohne das Rampenlicht einer Ministerkonferenz.

Die Entscheidungen müssen dafür nicht weniger nachhaltig sein.

Vom GATT zum GATS

Die Welthandelsorganisation (WTO) wurde am 15. April 1994 in Marrakesch (Marokko) gegründet. Ihr Vorläufer war das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, GATT (General Agreement on Tariffs and Trade). GATT wurde im Jahr 1947 ins Leben gerufen. Ziel war es, weltweit Handelsbarrieren und vor allem Zölle abzubauen. Die Gründer des GATT erhofften sich durch diese Handelsliberalisierung weltweiten Wohlstand und die Vermeidung von kriegerischen Auseinandersetzungen. Bereits im GATT wurden die wesentlichen Prinzipien festgelegt, deren Einhaltung heute von der WTO überwacht werden:

  • Gegenseitigkeit, das heißt handelspolitische Leistungen, die sich die WTO-Mitglieder gegenseitig einräumen, müssen gleichwertig sein,
  • Liberalisierung, das heißt Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse müssen abgebaut werden,
  • Meistbegünstigung, das heißt Zoll- und Handelsvorteile, die sich WTO-Mitglieder gegenseitig einräumen, sollen anderen Unterzeichnerstaaten ebenfalls zugute kommen.

Die Welthandelsorganisation hat seit dem 1. Januar 1995, ihrem Inkrafttreten, ihren Sitz in Genf. Derzeitiger Generaldirektor ist Supachi Panitchpakdi (Thailand). Der Welthandelsorganisation gehören im Jahr 2003 insgesamt 146 Mitglieder an und zwar 145 Vertragstaaten sowie die Europäische Union in Vertretung ihrer Mitgliedstaaten. Die Europäische Union wird von der Europäischen Kommission vertreten. Verhandlungsführer ist zur Zeit der EU-Handelskommissar Pascal Lamy.

Dreißig Staaten haben zur Zeit einen Beobachterstatus bei der Welthandelsorganisation. Zu diesen Staaten zählt unter anderem Russland. Die so genannten Entwicklungs- und Schwellenländer sind wie in anderen internationalen Organisationen den Industrienationen zwar zahlenmäßig überlegen, in ihrer Wirtschaftskraft und damit auch Verhandlungsmacht aber unterlegen.

Ziel der WTO ist es, die internationalen Handelsbeziehungen zu organisieren und dabei die Einhaltung der genannten Prinzipien, Gegenseitigkeit, Liberalisierung und Meistbegünstigung, zu überwachen. Neben dem Generalsekretariat in Genf kommt dem Generalrat, bestehend aus Experten aller Mitgliedstaaten, eine wichtige Rolle zwischen den Ministerrunden zu. Bislang fanden folgende Ministerrunden statt:

  • 1996 Singapur
  • 1998 Genf (Schweiz)
  • 1999 Seattle (USA)
  • 2001 Doha (Katar)
  • 2003 Cancún (Mexiko)

Sowohl der Ministerrat als auch der Generalrat unterliegen dem Einstimmigkeitsprinzip. Als Unterorgane wurden eingesetzt:

  • Rat für Warenhandel (GATT)
  • Rat für den Handel mit Dienstleistungen (GATS, General Agreement
    on Trade in Services)
  • Rat für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums
    (TRIPS, Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights).

Das Besondere der WTO ist, dass ein Streitschlichtungsverfahren vereinbart wurde. Verstößt ein Mitglied der Welthandelsorganisation nach Auffassung eines anderen gegen eines der Abkommen, so kann es ein Streitschlichtungsverfahren in Gang setzen. Dafür wird ein unabhängiges Panel eingesetzt. Dieses muss seine Rechtsauffassungen zu dem Streitfall in einem Bericht niederlegen.

Der Bericht wird dem Rat vorgelegt. Wird der Bericht nicht einstimmig abgelehnt, ist er angenommen und die auf diese Weise als den WTO-Abkommen widrigen Maßnahmen sind aufzuheben. Ein Beispiel für ein laufendes Streitschlichtungsverfahren ist der Streit um die Stahlsubventionen der USA. Hier klagt die Europäische Union gegen die USA.

Durch eine Besonderheit sticht die WTO hervor. Einmal vereinbarte Liberalisierungen können nur sehr schwer wieder rückgängig gemacht werden. Staaten, die von einmal vereinbarten Liberalisierungen zurücktreten wollen, müssen hierfür den anderen WTO-Mitgliedstaaten eine „Entschädigung“ in Form von Liberalisierungen in einem anderen Bereich anbieten.
Die WTO unterscheidet sich darin grundsätzlich vom deutschen bzw. europäischen Gesetzgebungsprozess.

So ist man es in Deutschland gewohnt, dass Gesetze revidiert oder zurückgenommen werden, wenn sie sich nicht bewährt haben. Auch werden auf der Bundesebene zumindest bei jeder Bundestagswahl, also alle vier Jahre, Grundsatzentscheidungen über die politische Zielrichtung getroffen. Demgegenüber ist die Zielrichtung der WTO in den genannten Grundprinzipien festgelegt. Ein Zurück zu mehr Protektionismus ist nicht vorgesehen.

Spezifische Verpflichtungen

Neben den angeführten allgemeinen Verpflichtungen des GATS werden spezifische Verpflichtungen getroffen. Dabei wird zumeist ein ganzes Bündel an Verpflichtungen zwischen Mitgliedstaaten der WTO eingegangen. Zu den spezifischen Verpflichtungen gehören die Marktzugangsregeln, das heißt der Zugang darf quantitativ nicht eingeschränkt werden und die so genannte Inländerbehandlung, das bedeutet, dass in- und ausländische Anbieter von Dienstleistungen gleich behandelt werden müssen. Ist ein Sektor im Sinne des GATS liberalisiert, dürfen ausländischen Anbietern Subventionen, die inländische Anbieter erhalten, nicht vorenthalten werden.

Die spezifischen Verpflichtungen erstrecken sich zum einen auf horizontale Verpflichtungen, also alle Sektoren übergreifende Verpflichtungen sowie sektorale Verpflichtungen.

Vor den jeweiligen Ministerrunden findet jeweils ein Abgleich der Forderungen (request) und Angebote (offers) statt. Das heißt, die WTO-Mitgliedstaaten teilen sowohl mit, welche Liberalisierungen sie von anderen WTO-Mitgliedstaaten erwünschen, als auch machen sie Angebote, inwieweit sie bereit sind, ihre eigenen Märkte zu öffnen.

Was hat das mit Kultur zu tun?

Für den Kulturbereich relevant sind vor allem zwei Abkommen, das GATS-Abkommen und das TRIPS-Abkommen. Innerhalb von GATS wurden zwölf Bereiche an Dienstleistungen klassifiziert und zwar:

  1. Unternehmerische und berufsbezogene Dienstleistungen,
  2. Kommunikationsdienstleistungen,
  3. Bau- und Montagedienstleistungen,
  4. Vertriebsdienstleistungen,
  5. Bildungsdienstleistungen,
  6. Umweltdienstleistungen,
  7. Finanzdienstleistungen,
  8. Medizinische und soziale Dienstleistungen,
  9. Tourismus und Reisedienstleistungen,
  10. Erholung, Kultur und Sport,
  11. Transportdienstleistungen,
  12. sonstige nicht aufgeführte Dienstleistungen.

Kulturelle Dienstleistungen sind in folgenden Kategorien zu finden:

  • Kommunikationsdienstleistungen, hier werden audiovisuelle Dienstleistungen wie Hörfunk, Fernsehen, Film, Video- und Musikproduktion aufgeführt,
  • Baudienstleistungen, sofern Architekten davon betroffen sind,
  • Bildungsdienstleistungen, hier werden Bildungseinrichtungen von dem Kindergarten und der Grundschule über die Schulbildung, die Berufs beziehungsweise Universitätsausbildung, Erwachsenenbildung sowie andere Bildungseinrichtungen genannt,
  • Erholung, Kultur und Sport mit den Unterkategorien Unterhaltungsdienstleistungen (inklusive Theater, Live-Bands und Zirkus), Nachrichtenagenturen, Büchereien, Archive, Museen und sonstige kulturelle Dienstleistungen.

Von Seiten einer Reihe von Staaten besteht ein ganz besonderes Interesse an einer Liberalisierung der Kommunikationsdienstleistungen und hier besonders an der Unterkategorie der audiovisuellen Dienstleistungen. Hier existieren sowohl attraktive Märkte als auch große Unternehmen mit einem entsprechenden Expansionsdruck sowie, nicht zu vergessen, zumindest in einigen WTO-Mitgliedstaaten wie den Mitgliedern der Europäischen Union nicht unerhebliche Subventionen zur Stärkung der heimischen Märkte. Fallen diese Märkte unter das GATS-Regime, müssen ausländischen Anbietern dieselben Subventionen gewährt werden wie den inländischen. Das wäre in Deutschland und auch in Europa das endgültige Ende der Subventionierung der heimischen Filmwirtschaft. Der europäische Film würde wahrscheinlich gegenüber der kapitalkräftigen US- amerikanischen Filmindustrie dauerhaft ein Schattendasein führen.

Bislang hat die Europäische Kommission noch keine Liberalisierungsangebote im audiovisuellen Bereich gemacht. Es wird vielmehr auch von Seiten des zuständigen EU-Handelskommissars Pascal Lamy immer wieder betont, dass der europäische Sektor audiovisueller Dienstleistungen geschützt werden soll. Doch stellt sich die Frage, wie lange die europäische Kommission angesichts von Liberalisierungsforderungen, die sie an WTO-Mitgliedstaaten in anderen Sektoren richtet, diese Haltung noch aufrechterhalten kann.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des Deutschen Kulturrates mit der ARD und der Heinrich-Böll-Stiftung am 8. September 2003 zum Auftakt der Verhandlungen in Cancún wies der Stellvertretende ARD-Vorsitzende und Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Fritz Pleitgen, darauf hin, dass noch bei der Ministerkonferenz 1999 in Seattle er zu den wenigen gehörte, die vor einer Liberalisierung im audiovisuellen Bereich gewarnt haben. Diese Warnung wurde zwischenzeitlich von verschiedenen Seiten aufgenommen und sowohl die deutsche als auch die europäische Politik und Zivilgesellschaft für das Thema sensibilisiert.

Gefahren durch TRIPS

Im Vorfeld der Ministerrunde von Doha (2001) hat der Deutsche Kulturrat in seiner „Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zu den GATS 2000-Verhandlungen der WTO über bestimmte audiovisuelle Dienstleistungen und über Kulturdienstleistungen“ vom 19. Juni 2001 vor einer Liberalisierung des Kultur- und Medienbereiches gewarnt. Besondere Gefahren drohen nach Auffassung des Deutschen Kulturrates über das TRIPS-Abkommen. Es besteht bei der Liberalisierung des audiovisuellen Bereiches die Gefahr, dass Trittbrettfahrer aus WTO-Mitgliedstaaten urheber- und leistungsschutzrechtliche Ansprüche in Deutschland geltend machen, ohne dass deutsche Künstler in anderen Staaten diese Rechte ebenfalls in Anspruch nehmen können, da sie dort nicht in der Form wie in Deutschland existieren. Dieses gilt besonders für den US-amerikanischen Film- und Fernsehmarkt. Der Deutsche Kulturrat tritt daher vehement für einen Schutz des nationalen audiovisuellen Sektors ein, um so die kulturelle Vielfalt in diesem wichtigen kulturellen Bereich zu sichern.

Aber auch andere Kulturbereiche, die auf den ersten Blick als weniger attraktiv und gewinnträchtig erscheinen, sind vom GATS-Abkommen betroffen. In den vergangenen Jahren wurden zuvor in der Trägerschaft der öffentlichen Hand befindliche Kultureinrichtungen scheinprivatisiert. Scheinprivatisiert deshalb, weil sie zwar in eine private Rechtsform wie eine GmbH oder eine Stiftung überführt wurden, nach wie vor aus eigener wirtschaftlicher Kraft ihre Aufgaben aber nicht erfüllen können, sondern auf laufende Zuschüsse von der öffentlichen Hand angewiesen sind.

Eine Liberalisierung dieses Kulturbereiches würde bei strikter Anwendung der Inländerbehandlung zur Folge haben, dass ausländische Anbieter, mit denen entsprechende Vereinbarungen innerhalb des GATS getroffen wurden, auf dem deutschen Markt wie inländische Anbieter behandelt werden müssten, das heißt einen Anspruch auf dieselben Subventionen hätten.

Frankreich hatte zum Schluss der Urugay-Runde, vielmehr zum Abschluss des GATT und der Überführung in die WTO eine exception culturelle gefordert. Der Kultursektor sollte also von den WTO-Verhandlungen ganz ausgenommen werden. Dieser Vorschlag fand keine Mehrheit.

In Deutschland wird von Seiten des bei den Verhandlungen federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit immer wieder auf die bestehende Flexibilität des GATS-Abkommen verwiesen. Es stellt sich aber dennoch die Frage, warum sich die gesamte Europäische Union nicht hinter den französischen Vorschlag gestellt hat, wenn jetzt doch Ausnahmen unter Umständen ausgeschöpft werden sollen. Die bereits eingegangenen Liberalisierungsverpflichtungen im Bildungsbereich, von denen das öffentliche Schulwesen ausgenommen ist, sollten für den Kulturbereich ein Lehrstück sein. Liberalisierungen, die hier eingegangen wurden, können nun nicht mehr zurückgeholt werden.

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