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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 45
52. Jahrgang | November
Dossier:
Klangwerkstatt
Feintuning
Ein Luftfahrttechniker will das Fagott optimieren
Der hochrote Kopf eines Fagottisten nach einem Solo ist sozusagen
berufsbedingt. Hohe, aber auch besonders tiefe Töne auf dem
Instrument zu spielen, erfordert viel Kraft. Denn immer- hin muss
eine drei Meter lange Luftsäule erzeugt werden. Schweißausbrüche
und bestens durchblutete Köpfe im Orchestergraben könnten
aber bald der Vergangenheit angehören, denn ein Luftfahrttechniker
der Technischen Universität Dresden nahm sich jetzt des Fagotts
an und stellte fest, dass die Tücke des Instruments in seiner
Strömungsmechanik verborgen ist.
Ein bestimmter Ton verfolgte Roger Grundmann, seit er als Schüler
ein Fagott zum ersten Mal hörte: „Immer wenn der tiefste
Ton kam, wackelte die Tafel. Die alten Tafeln von damals, die konnten
sich nicht wehren gegen solch einen schönen Ton. Natürlich
hat sich das bei mir in den neuronalen Netzen eingeprägt und
seitdem sind die tiefen Töne das zu erreichende Ziel.“
Nach 45 Jahren erfüllte er sich seinen Traum: Grundmann kaufte
sich ein Fagott und begann zu üben – immer auf der Jagd
nach dem schönen tiefen Ton. Zu seiner Überraschung spürte
der Professor für Luft und Raumfahrttechnik an der Technischen
Universität Dresden, dass es ihn mal mehr, mal weniger Kraft
kostete, die tiefen Töne zu blasen, je nachdem welchen S-Bogen
er einsetzte. S-Bögen sind – wie der Name es sagt –
S-förmig gebogene dünne Metallröhrchen zwischen dem
Mundstück und dem eigentlichen Fagottkörper aus Holz.
Die Ursache für den Unterschied war schnell gefunden –
ein S-Bogen war ein klein wenig verbogen. Nachdem Grundmann ihm
die richtige Form gegeben hatte, ließ er sich genauso leicht
blasen wie der andere.
Na und dann ging’s los – dann war klar, das konnte
nur ein strömungsmechanisches Problem sein.
Grundmann analysierte die Luftströmungen in den S-Bögen
und stellte fest: Durch die S-Form entstehen zwei Wirbelpaare hintereinander,
die sich entgegengesetzt drehen. Weil die Luft im Wirbel schneller
strömt, bedeutet das mehr Reibung an der Außenwand, die
überwunden werden muss. Welche Kraft das kostet, sieht man
am hochroten Kopf des Fagottisten. Mit Hilfe der numerischen Strömungsmechanik,
die Grundmann normalerweise nutzt, um Flugzeugflügel zu modellieren,
optimierte er nun den S-Bogen des Fagotts.
„Ich hab diese beiden mit Wendepunkt versehenen Krümmungen
so gelassen, habe sie aber nur an die richtigen Stellen geschoben,
also diesen einen graden Teil eingeführt, der verzichtet auf
einen großen geschwungen Bogen und habe einen kleineren daraus
gemacht.“
Das Ergebnis: 30 bis 40 Prozent weniger Reibung. Die Fagottisten
sind begeistert. Andreas Börtitz, Solo-Kontrafagottist der
Sächsischen Staatskapelle Dresden testete den neuen S-Bogen
in seinem Arbeitszimmer.
„Ich habe den Eindruck, dass die Tiefe und auch die Höhe
besser anspricht, so dass so manche Tonrepetition besser ausführbar
ist. Perfekt ist der Klang damit noch nicht. Das weiß auch
Roger Grundmann. Weitere Verbesserungen soll ein Fagottprüfstand
bringen.
„Wir werden mit Hilfe eines hochempfindlichen Druckmessgerätes,
das auch Töne aufnimmt, versuchen, für die einzelnen S-Bögen,
für die einzelnen Töne, die ein Fagott spielen kann, Statistiken
anzufertigen, um zu sehen, welche Obertöne den spezifischen
Fagottklang abgeben. Und wo es weiter hingehen soll.“
Das Fagott soll nicht das einzige Instrument bleiben, dem Roger
Grundmann mit Hilfe der Strömungsmechanik Unarten austreibt.
Schon haben Hornisten und Oboisten bei ihm angerufen, die ihre Instrumente
ebenfalls perfektioniert haben wollen.