[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 52
52. Jahrgang | November
Dossier:
Klangwerkstatt
Stirbt das Musikinstrumenten-Fachgeschäft?
Musikwirtschaft, Musikverbände und Politik brauchen Bewegung
· Von Anno Blissenbach
Bei der heutigen Situation des Kahlschlags von Musikkultur und
-bildung stellt sich die Frage, ob das Verhältnis zwischen
Musikern, Musikhandel und politischer Ebene nicht einer völlig
neuen Tarierung bedarf. Können sich Musiker und ihre Verbände
auf der einen sowie Musikwirtschaft und deren Organisationen auf
der anderen Seite, künftig noch leisten, in deutlicher Distanz
nebeneinanderher zu laufen? Können Kultur- und Bildungspolitiker
sich noch erlauben, Musik- und Musikwirtschaftsverbände weitgehend
zu ignorieren, zugleich aber in trauter Runde mit den Sparkommissaren
der Finanz- und Innenministerien am (rot)-grünen Tisch den
Abbau von Musikkultur und -bildung zu planen? Kurzum: Können
sich die Sparten der Musikbranche weiterhin das bisherige Kommunikationsdefizit
leisten? Die Antwort lautet: nein!
Musiker neigen dazu, die Musikwirtschaft als eine Zunft von Ausbeutern
zu betrachten, die nichts Besseres im Schilde führt, als ihnen
das – auf Grund viel zu niedriger Honorare – mehr als
sauer verdiente Geld aus der Tasche zu ziehen. Inhaber von Musikfachgeschäften
neigen dazu, diese Kunden-Spezies als weltferne „Künstler“
abzutun, die keineswegs ermessen können, was es bedeutet, ein
Musikfachgeschäft ohne rote Zahlen über die Runden zu
bringen.
Beide fühlen sich aus ihrer jeweiligen Sicht im Recht; würden
sie sich jedoch die Mühe machen, die Sache einmal vom Standpunkt
des Gegenübers zu betrachten, kämen sie zu völlig
anderen Ergebnissen. In beiden Lagern gibt es gleichermaßen
Idealisten, Träumer wie knallharte Geschäftsleute: Dies
ist eine Persönlichkeits- keine Branchen- oder Spartenfrage.
Fakt ist jedoch, dass es heute beiden nicht gut geht und die bestehenden
Probleme überwiegend analoge Ursachen haben. Anders ausgedrückt:
Geht es den Musikern gut, wird es auch dem Musikfachhandel gut gehen
und umgekehrt.
Eine der Hauptursachen der wirtschaftlichen Misere von Musikern
und Musikfachgeschäften: Der Gesamtumfang an finanziellem Branchen-Input
ist zu gering. Warum?
a) Weil die öffentlichen Haushalte marode sind, b) weil der
gesellschaftliche Stellenwert des aktiven Musikmachens heute geringer
ist als der von Tennis, Golf, Urlaub und Videospielen, c) weil die
Branche als Ganze zu zaghaft ist, zu sehr in Sparten zersplittert,
zu wenig über den eigenen Tellerrand hinaus blickt, bisweilen
interne Graben- und Pseudokämpfe führt und insbesondere,
weil sie es bis heute kaum geschafft hat, sich wirksam und schlagkräftig
zu organisieren, und d) weil deshalb die Kultur- und Bildungspolitiker
keine kampagnefähige und Durchsetzungskraft verleihende Lobby
hinter sich haben, wie sie in anderen Branchen selbstverständlich
ist.
Jahrestagung GDM
Mit der Jahrestagung des Gesamtverbandes Deutscher Musikfachgeschäfte,
GDM, hatte diese Sparte vom 28. bis 30.10.2003 in Nürnberg
ihr Forum: Im Instrumenten-Fachhandel besteht Unmut, dass Hersteller
und Importeure die Betreiber reiner Internetshops zu gleichen Konditionen
beliefern wie Musikfachgeschäfte. Der Endkunde nimmt zwar gerne
das Beratungsangebot des Fachgeschäfts in Anspruch, kauft das
hierbei ausgesuchte Musikinstrument dann jedoch oft im billigsten
Internetshop. Kommt keine Modifikation der Händlereinkaufspreise,
stirbt das Musikinstrumenten-Fachgeschäft. Musiker und Fachhändler
erwarten deshalb gemeinsam, dass die Lieferanten künftig Händlern,
die eine Musikinstrumenten-Ausstellung unterhalten und Beratung
durchführen, höhere, und reinen Internetshop-Betreibern
geringere Rabatte gewähren.
Entsorgungskonzepte fällig
In den letzen 20 Jahren wurden Unmengen qualitativ äusserst
geringwertiger Klaviere aus Russland, Polen, Korea und China nach
Deutschland importiert. Obwohl deren Lebensdauer inzwischen ebenso
abgelaufen ist wie die der 100-jährigen deutschen Oberdämpfer,
gelangen sie immer wieder in die Übezimmer der Klavieranfänger.
Beklagen tun dies Klavierlehrer, -händler und -hersteller glei-
chermaßen. Gemeinsames Handeln wäre hier angebracht,
ein wirksames Entsorgungskonzept mehr als überfällig.
Wer die Entsorgung längst realisiert hat, ist Japan: Alle „überflüssigen“
Gebrauchtklaviere werden exportiert – vornehmlich nach Deutschland
und in die EU –, gleichzeitig jedoch der eigene Markt gegen
Importe abgeschottet.
Für den Bereich Musikalien hat der Unternehmensberater und
ehemalige kaufmännische Geschäftsführer des Schott
Verlages, Rolf Reisinger, bei der GDM-Tagung ausführlich dokumentiert,
dass ein Notenfachgeschäft heute kaum noch Gewinn erwirtschaften
kann: Die Betriebsanalysen ergaben durchschnittliche Jahresergebnisse
im Minusbereich. Auf Basis der gesetzlichen Preisbindung werden
von den Verlagen mit den Endverkaufspreisen de facto auch die Handelsspannen
festgelegt. So wundert es nicht, dass die Musikalienhändler
zum Ausgleich ihrer Defizite nach Preiserhöhungen rufen.
Doch woher soll bei sinkenden Realeinkommen diese Kaufkraft kommen?
Am härtesten würde es die Instrumental-Lehrer treffen,
deren Einkommen überproportional sinkt: Die Aufnahmestopps
der kommunalen Musikschulen wirken sich unmittelbar auf den Geldbeutel
der meist als Freie Mitarbeiter beschäftigten Lehrkräfte
aus und im Privatsektor brechen zunehmend ganze Bevölkerungsschichten
weg, die sich aufgrund steigender Steuer- und Abgabenlast keinen
Instrumental-Unterricht mehr leisten können. So würden
Preiserhöhungen die Musikalienhändler keinesfalls in die
Gewinnzone bringen, sondern lediglich die Umsätze der Copyshops
steigern. Musikern ist beim Kopieren durchaus bewusst, etwas Unrechtes
zu tun. Sie tun es trotzdem, weil keine ernsten Sanktionen zu befürchten
sind. So berichtete die Präsidentin des Deutschen Musikverleger-Verbandes,
Dagmar Sikorski, bei der GDM-Tagung vom Prozess gegen einen Chorleiter,
der ein Notenblatt 150-fach kopiert hatte: Das Gericht habe als
Gegenstandswert die Kosten für 150 Kopien zu Grunde gelegt
(etwa 15 Euro) und daraufhin den Prozess wegen Geringfügigkeit
eingestellt.
Die Realitätsferne dieser – geltendes Recht widerspiegelnden
– Beurteilung ist offensichtlich. An genau solchen Stellen
– bei Internethandel wäre es das Wettbewerbs- bei Gebrauchtklavierimport
das Zollrecht – müsste die Lobbyarbeit der Verbände
einsetzen: Die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat mit unabhängigen
Gerichten. Insoweit können und dürfen Gerichte nicht Ziel
von Lobbyarbeit sein. Aufgabe der Lobbyisten ist es, auf Politik
und somit auf Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Das ist völlig
legitim und – wie obige Beispiele zeigen – auch nötig.
Wäre Lobby hier organisierbar?
Beim Beispiel Kopieren ist klar, an welchem Strang die Musikwirtschaftsverbände
ziehen würden. Ebenso klar ist, dass die Musikverbände
stillschweigend den Strang eher in die andere Richtung ziehen würden.
Also bleibt alles beim Alten. Schuld ist der Sparten-Egoismus durch
den sich letztlich alle ins eigene Fleisch schneiden. Würden
– um bei dem Beispiel zu bleiben – ab sofort alle benötigten
Noten regulär erworben statt kopiert, wäre das Ergebnis
eine schlagartige Vervielfachung der zu druckenden, ge- beziehungsweise
verkauften Noten. Auf Grund der Marktgesetze würde dies zu
einer massiven Verbilligung führen.
Gewinner wären alle Sparten: Verlage profitierten durch gesteigerte
Wirtschaftlichkeit, Komponisten, Arrangeure durch steigende Tantiemen,
Musikalienhändler durch steigende Umschlaghäufigkeit bei
sinkenden Ne-benkosten, Musiker durch sinkende Preise und höheren
Komfort (Notenbuch statt „fliegende Blätter“).
Gemeinsame Aktion
Doch vor gemeinsamem Gewinn steht gemeinsame Aktion: a) Musik-
und Berufsverbände müssten ihre Mitglieder von der Sinnhaftigkeit
überzeugen, b) der wiederauferstandene „neue“ Deutsche
Musikrat, DMR – einziger Sparten übergreifender Dachverband,
müsste Federführung und Spartenkoordination übernehmen,
aber insbe- sondere politische Forderungen für wirksame Gesetzgebung
erheben, c) die Lobbyisten müssten – unter Führung
des DMR – die gesetzgeberischen Initiativen kompetent begleiten,
d) Kultur- und Bildungspolitiker sich im Schulterschluss mit Rechts-
und Wirtschaftspolitik der Themen offensiv annehmen. Eine solche
„Konzertierte Aktion“ von Musikverbänden, Musikwirtschaft
und Politik wäre in zahlreichen Branchenfeldern dringend nötig.
Nie war die Chance, den finanziellen Branchen-Input zu erhöhen,
dank PISA- und Bastian-Studie, dank der Erkenntnis, in Bildung investieren
zu müssen, so groß wie heute. Jetzt werden die politischen
Weichen gestellt.
Nur wenn Musikwirtschaft, Musikverbände und Politik sich
jetzt (aufeinanderzu-) bewegen, dann werden sie gemeinsam etwas
bewegen können!