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nmz-archiv
nmz 2003/11 | Seite 45-46
52. Jahrgang | November
Dossier:
Klangwerkstatt
Sechzehn Veranstalter organisieren ein Klavierfestival
Das Klavierfestival „Tastentaumel“ in Braunschweig
– neue Allianzen machten es möglich · Von Ann
Claire Richter
Braunschweig, Stadt des Klaviers: Elf Tage lang stand das Instrument
im
Zentrum eines üppigen Programmreigens, den die traditionsreichen
Pianofabriken Grotrian-Steinweg (seit 1835) und Schimmel (seit 1885)
sowie die Stiftung Nord/LB-Öffentliche vom 18. bis 28. September
an zahlreichen Orten des Braunschweiger Stadtgebiets und im nahegelegenen
Wolfenbüttel veranstalteten.
Historie und Einsatzmöglichkeiten des Pianos sollten beim
„Tastentaumel“ in ihren schillernden Ausprägungen
dokumentiert werden: Von Boogie bis Klassik, Klavierkabarett, musikalischen
Lesungen und Fachvorträgen reichte das Spektrum - und geschätzte
10 000 Besucher folgten dem Lockruf der schwarzen und weißen
Tasten. Das Klavier präsentierte sich beim nächtlichen
musealen Marathonspiel ebenso wie bei Schnupperstunden in Einkaufspassagen.
Nicht nur fingerfertige Lokalmatadoren kamen zum Zuge, sondern auch
Nachwuchsgrößen der ansässigen Musikschulen und
weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Vollprofis. Zu
Gast waren unter anderem der holländische Klavier-Entertainer
Hans Liberg, die Boogie-Experten Axel Zwingenberger, Vince Weber,
Gottfried Böttger und Frank Muschalle sowie die Konfrontationskünstler
Christoph Spendel und Ratko Delorko, die häppchenweise Jazz
und Klassik aufeinander prallen ließen. Auch im Kino spielte
das Klavier eine tragende Rolle. Im Rahmen des Festivals waren auf
Großbildleinwänden Kino-Perlen wie „Die Legende
vom Ozeanpianisten“ und der lautlose Klassiker „Orlacs
Hände“ zu sehen, den der Stummfilm-Fachmann Carsten-Stephan
von Bothmer stilecht mit Klaviermusik und anderen Geräuschen
begleitete. Schauspielerin Hannelore Elsner derweil bot beim „Tastentaumel“
Literarisches: eine Lesung aus „Ein Winter auf Mallorca“,
bei dem sie mehr als nur die lückenhaft notierten Erinnerungen
George Sands an ihren Geliebten Chopin aufdeckte.
Die Stiftung von Bank und Versicherung hat das Thema „Braunschweig
- Stadt und Region des Klaviers“ zu einem von fünf Schwerpunkten
für die nächsten Jahre erkoren. „40 Prozent der
gesamten deutschen Klavierproduktion kommen aus Braunschweig“,
betont Grotrian-Steinweg-Geschäftsführer Burkhard Stein.„Der
Gedanke, in Braunschweig ein Klavierfestival zu veranstalten, drängte
sich daher auf“, so Gerd-Ulrich Hartmann, Geschäftsführer
der Stiftung.
Ursprünglich hatte Pianofabrikantin Gabriela Schimmel der
Stiftung lediglich die Förderung des Projekts „Geschichte
des Klaviers“ ans Herz gelegt: ein pädagogisch wertvolles
Mammutprojekt von Ratko Delorko, der 20 historische Instrumente
auf die Bühne des Braunschweiger Staatstheaters wuchten ließ
und mit seinem klingenden Museum eine konzertante Zeitreise unternahm.
Doch das Projekt weitete sich rasch aus, und mit den Initiatoren
saßen schließlich etliche Projektpartner im Braunschweiger
Boot: darunter Staatstheater und Landesmuseum, das Staatsarchiv
Wolfenbüttel, der Dom, das Braunschweig Classix Festival, das
Cinemaxx, die Städtische Musikschule und Städtisches Museum,
das Lessingtheater Wolfenbüttel, der Internationale Filmfestverein
und das Herzog-Anton-Ulrich-Museum. Wie sich am Ende herausstellte:
ein zugkräftiger und flächendeckender Verbund aus 16 Veranstaltern.
Schon der Auftakt war stark. Das Städtische Museum hatte
eigens eine Ausstellung zur 300-jährigen Klaviergeschichte
in Braunschweig zusammengestellt: nach Angaben der Veranstalter
die größte öffentliche Sammlung historischer Instrumente
in Niedersachsen. Sie sollte zeigen, wie Handwerk sich in Kunst
verwandelt, wie aus der Verbindung von Holz und Erz Musik entsteht.
Zu sehen war dabei unter anderem jener Grotrian-Steinweg-Flügel,
dem Clara Schumann bis zu ihrem Tode die Treue hielt. Recht unwillig
soll sie sich - so ist es überliefert - in jenem Jahr 1879
nach Aufforderung an den Flügel gesetzt haben. Zögerlich
habe sie den Handschuh abgestreift und mit der rechten Hand lässig
in die Tasten gegriffen. Dann war es wohl geschehen um die berühmte
Pianistin: „Von heute an spiele ich nur noch dieses Instrument“,
soll sie gesagt haben.
Mitorganisatorin Gabriela Schimmel wertete das Festival als großen
Erfolg. „Es ist uns gelungen, in 40 Veranstaltungen Braunschweig
als das Klavierbauzentrum Deutschlands zu präsentieren. Dies
wird auch dazu beitragen können, dass die Stadt noch größere
Chancen hat, Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2010 zu werden.“
Das Ziel, die Menschen der Region vertraut zu machen mit dem Thema
Klavier und zu vermitteln, dass das Instrument den Menschen in ganz
unterschiedlichen Lebenslagen begegne und sie begleite, und dass
es schlichtweg Genuss bereite, Klaviermusik zu hören oder zu
spielen - „diese gewünschte Bewusstseinsschärfung
ist offensichtlich erfolgt“, so Gabriela Schimmel.
Der „Tastentaumel“ soll keine einmalige Sache bleiben.
Die Resonanz hat den Veranstaltern schließlich Mut gemacht,
das Thema weiter zu verfolgen. Möglich, dass das Festival einen
festen Platz im Braunschweiger Veranstaltungskalender bekommt. Konkrete
Pläne gebe es zwar noch nicht, „aber der Tastentaumel
wird sicher wieder von sich hören lassen“, verspricht
Gabriela Schimmel.